„Meine Seele sang, nicht meine Kehle!“

Die stumme Serenade, Komödie mit Musik von Erich Wolfgang Korngold,  Theater Lübeck, 12. November 2021

Foto: © Olaf Malzahn

Theater Lübeck, 12. November 2021

von Dr. Andreas Ströbl

„Ist das wirklich Korngold?“ –. Das Theater Lübeck hat seine „Komödie mit Musik“ in jeder Hinsicht farbenfroh inszeniert und diejenigen, die mit der „Stummen Serenade“ so etwas Ähnliches wie seine „Tote Stadt“ erwarteten, konnten eine echte Überraschung erleben.

Der von den Nazis in die Emigration getriebene Komponist hat bekannterweise in den USA bahnbrechende Filmmusik geschrieben und den Klang Hollywoods maßgeblich geprägt. Genau das ist die Art leichter musikalischer Unterhaltung, die „Die stumme Serenade“ zu dem macht, was sie ist: eine spritzige Nummern-Revue, die auf eingängige Melodien und Situationskomik setzt.

Die Handlung ist etwas konstruiert und wirkt manchmal wie eine Parodie auf Puccinis „Tosca“: Es gibt eine wunderschöne Frau, einen machtgierigen Ministerpräsidenten, einen systemstützenden Polizeichef, einen unbekannten anarchistischen Bombenleger und das Versprechen auf eine letztlich nicht durchgeführte Hinrichtung. Und dazu einen Schneider, nein – einen genialen Modeschöpfer.

Foto: © Olaf Malzahn

Alles im hitzigen Neapel, mit viel Temperament und großen Gefühlen. Der Schneider Andrea Coclé liebt die schöne Frau, die Schauspielerin Silvia Lombardi, die aber die Geliebte des Ministerpräsidenten Lugarini ist. Die wird nachts angeblich von einem Unbekannten heimgesucht und jetzt sucht man einen vermeintlichen Frauenräuber, auf dessen Vergehen in Neapel die Todesstrafe steht. Zugleich findet man unter dem Bett des Ministerpräsidenten eine Bombe, die aber nicht hochgeht. Dieser Attentatsversuch muss durch den Polizeichef Caretto umgehend aufgeklärt werden, sonst verliert der seinen Posten.Ein Sündenbock ist schnell gefunden, denn der verliebte Schneider hat sich im Garten der Angebeteten aufgehalten, dort aber seine sehnsuchtsvolle Serenade, nun, eben nicht erklingen lassen. Der stummgebliebene Unschuldige soll alles auf sich nehmen, denn, so wird ihm versichert, eine zu erwartende Begnadigung durch den greisen König würde alles auflösen und alle wären zufrieden. Der König stirbt, es droht der Strang, aber es bricht glücklicherweise eine Revolution los, infolge derer der Ministerpräsident verhaftet wird. Coclé soll seine Stellung übernehmen, aber da erscheint plötzlich eine Anarchistin (im Original ist es ein Mann), die hinter dem Attentatsversuch steckt. Der überlässt der von der Politik unbeleckte Schneider seinen Sessel, und kann nun endlich seine Geliebte, die glücklicherweise entdeckt hat, wen sie wirklich liebt, heiraten. Den nächtlichen Überfall hat sie nur geträumt.

Louise, die Mitarbeiterin im Modestudio, darf auch heiraten und zwar den Reporter Sam Borzalino, der die turbulenten Ereignisse journalistisch begleitet hat. Großes Finale, alle sind glücklich, nur der Ministerpräsident muss bei karger Knastkost im modisch missratenen Streifenanzug darben.

Foto: © Olaf Malzahn

All das ist herzerfrischend harmlos, die Musik flott, leicht und voller reizender Melodien, aber in der Tat keiner der ganz großen Würfe Korngolds. Im Programmheft wird zu Recht darauf verwiesen, dass diese Musik 20 Jahre zu spät kam, denn zur Zeit der Uraufführung 1954 hatte sich der Geschmack bereits deutlich gewandelt.

Tatsächlich hätte diese leicht, aber gut gemachte Muse in den 20er oder 30er Jahren erfolgreich eingeschlagen. So verwundert es nicht, dass zwischen der Uraufführung und der Wiederaufnahme 63 Jahre liegen.

Aber das Philharmonische Orchester der Hansestadt Lübeck unter der Leitung des jungen Dirigenten Paul Willot-Förster bringt diesen mitunter swingenden Klang ungemein luftig und schmissig rüber. Das makellos spielende Orchester ist kein großer Symphonie-Klangkörper, der hätte auch zu pathetisch geklungen.

Ein wirklich intelligenter Kunstgriff dieser Inszenierung von Michael Wallner und dem Bühnenbildner Heinz Kauser ist es, diese Produktion wieder in die Zeit des Art déco zurückzubringen. Ausgesprochen stimmig wirken so die schwarz-weißen, bunten und geometrischen Tapetenmuster des Bühnenhintergrunds. Auch die Kostüme von Aleksandra Kica mit Dior-Anleihen passen wunderbar dazu.

Letztlich ist es ein Musical, denn das Stück besteht aus Textpassagen und manchmal an Schlager erinnernde Lieder. Das Textverständnis ist zwar gut, zumal bei Steffen Kubach als Modeschöpfer, der ohnehin einer der Abräumer in der Produktion ist und sowohl im Gesang als auch dem gesprochenen Wort sehr sympathisch und komödiantisch überzeugt.

Allerdings hätte man sich bei den Liedern dann doch die vertrauten Übertitel gewünscht. Naturgemäß sind die Damen textlich schlechter zu verstehen, aber man hätte gerne gewusst, was sie singen. Alle sind mit Mikrophonen ausgestattet, um in der Lautstärke ein Gleichgewicht mit dem Orchester zu erzielen, was aber manchmal zu Unschärfen in der Artikulation führt.

Foto: © Olaf Malzahn

Amelie Müller gibt eine umwerfend attraktive und glamouröse Silvia; gerade in den Höhen ist sie großartig. Außer ihr sind alle Darsteller Karikaturen, das Stück lebt von der Überzeichnung. Nataliya Bogdanovas Louise ist mit ihrer blonden Mähne mehr als ein Marilyn Monroe-Verschnitt, Noah Schaul gibt einen typischen „Lassen Sie mich durch, ich bin von der Presse“-Reporter; er wirkt als Schauspieler noch etwas unsicher.

Rudolf Katzers Ministerpräsident Lugarini ist eine witzige Karikatur auf all die Trumps und Berlusconis dieser Welt – den Applaus für den testosterongesteuerten Popanz spielt ihm sein treuer Diener (Thomas Stückemann) immer auf der Schallplatte vor. Boris Boehringer als Polizeichef Caretto nimmt man seine opportunistische Wendenatur am Ende kaum übel. Jörn Kolpe als Pater und vor allem Richter vertritt zwar die Unerbittlichkeit eines rigiden Systems, lässt aber beim fröhlichen Finale alle Form fahren. Bewusst überzogen ist auch die Sprechrolle von Imke Looft als Geschäftsführerin Laura mit einem heftigen Chprachfehler, ihre Frisur erinnert an die von Anna Wintour, der Chefredakteurin der amerikanischen „Vogue“.

Foto: © Olaf Malzahn

Wirklich spaßig sind die Zofen/Mannequins Elisa Pape, Marlou Düster und Lorena Mazuera Grisales (Choreographie von Andrea Danae Kingston), wobei Elisa Pape auch die Anarchistin gibt. Die Polizistinnen sind offenbar einem Fetisch-Magazin entstiegen. Das wirkt albern und soll es auch, ebenso wie das zu bunte Kostüm von Iris Meyer als Kammerfrau Bettina.

Das Happy-End gelingt rasant und in bester parodistischer Hollywood-Manier. Man hätte sich nicht gewundert, wenn plötzlich ein paar von den „Muppets“ mit auf der Bühne erschienen wären.

Wundern konnte man sich allerdings über die teilweise versteinerten Mienen des Regieteams beim Schlussapplaus. Irgend etwas Unklares schwang mit beim vom Publikum bejubelten Finale.

Dr. Andreas Ströbl, 13. November 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Die Glasmenagerie, Choreographie von John Neumeier nach Tennessee Williams, Hamburgische Staatsoper, 3. November 2021

Renée Fleming, Alan Gilbert, NDR Elbphilharmonie Orchester, Elbphilharmonie Hamburg, 14. Oktober 2021

 

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