Frieder Bernius in der Türkei: Wie Musik Kulturen verbindet

Rezonans, Frieder Bernius, Burak Onur Erdem,  Atatürk Kültür Merkezi Istanbul, 14. November 2021

Frieder Bernius. Foto: © G. Bublitz

Atatürk-Kulturzentrum (Atatürk Kültür Merkezi) Istanbul
14. November 2021

Rezonans-Chor Istanbul
Dirigent: Frieder Bernius
Einstudierung: Burak Onur Erdem

„Es ist die ungebremste Freude an der Musik, es sind die vielen leuchtenden Augen, die dieses Konzert zum Erfolg machen.“

von Leon Battran

Der deutsche Dirigent Frieder Bernius hat in der Türkei ein Konzert geleitet, das ganz im Zeichen kultureller Begegnung stand. Gemeinsam mit rund 40 türkischen ChorsängerInnen führte Bernius im frisch eingeweihten Atatürk Kültür Merkezi (AKM) in Istanbul deutsche geistliche Barockmusik auf und sorgte damit für große Begeisterung.

Zu hören gab es Chor-Musik aus dem zeitlichen und musikalischen Umfeld Johann Sebastian Bachs. Die Stücke ließ Bernius dabei auch von traditionellen türkischen Instrumenten begleiten. Bach also mal ganz anders als gewohnt, im neuen östlich gefärbten Klanggewand.

Wieder geöffnet: Das neue Atatürk-Kulturzentrum in Istanbul.

Zwei Motetten von Johann Sebastian Bach, „Ich lasse dich nicht“ und „Komm, Jesu, komm“, stehen im Mittelpunkt des Programms. Darüber hinaus erklingen Werke des Bach-Schülers Gottfried August Homilius sowie von Johann Ludwig Bach, umrahmt von romantischen Chorstücken von Felix Mendelssohn Bartholdy und Anton Bruckner.

Und die Energie ist da. Sie fließt. In Bernius’ abgeklärtem Dirigat, in den zahlreichen Chorstimmen, die hier zueinanderfinden, und im Spiel von Orgel, Violoncello, Ney und Tambur. Es ist die ungebremste Freude an der Musik, es sind die vielen leuchtenden Augen, die dieses Konzert zum Erfolg machen.

Ein Herzensprojekt
Chorleiter Burak Onur Erdem.

Der Rezonans ist ein engagierter Laienchor. Die Mitglieder arbeiten sonst in einer Bank oder im Büro, erklärt der Leiter des Chors, Dr. Burak Onur Erdem. Der türkische Dirigent und Musiktheoretiker hat Rezonans im Jahr 2010 gegründet. Es ist sein Herzensprojekt. Als Chorleiter ist Erdem international tätig. Mit dem Rezonans-Chor möchte er Musik aus aller Welt in der Türkei aufführen und umgekehrt auch die türkische Musiktradition international erlebbar machen. Seit 2017 leitet Erdem außerdem den Turkish State Choir. Acht Profis aus dem Staatschor komplettieren und verstärken heute den Rezonans-Chor.

Der Aufführung im AKM in Istanbul ging eine Probenphase von etwa einem Jahr voraus. Dabei war das Proben aufgrund der Corona-Pandemie lange Zeit nur online möglich gewesen. Das große Engagement und die sorgfältige Probenarbeit, die dahintersteht, lässt sich im Konzert nur erahnen. Es ist ein kleines Wunder, mit welcher Leichtigkeit und Musikalität, mit welcher Selbstverständlichkeit die türkischen Sängerinnen und Sänger diese barocken Motetten in deutscher Sprache intonieren.

Kulturen verbinden durch Musik: Burak Onur Erden und der Rezonans-Chor Istanbul.

„Ich bin sehr stolz auf meinen Chor“, sagt Burak Onur Erdem im Anschluss an das Konzert, das er so minutiös über einen langen Zeitraum hinweg vorbereitet hat. Heute hat er sich im Hintergrund gehalten und die Leitung seines Rezonans einem anderen überlassen: Frieder Bernius. Die Galionsfigur dieses Konzertabends.

Bernius, der zahlreiche Einspielungen des Repertoires besorgt hat, war ein wichtiger Referenzpunkt für Burak Onur Erdem und seine künstlerische Arbeit. „Bernius’ Wort ist Gold wert“, sagt Erdem. Deswegen wollte er den 74-Jährigen auch in die Türkei holen, was nun geglückt ist. Bernius gastiert auf Einladung des Ministeriums für Kultur und Tourismus zum ersten Mal in der Türkei. Neben dem Konzert in Istanbul steht auch eine weitere Aufführung in Ankara im Kalender.

„Es geht mir um mehr als um das bloße Gelingen eines Konzerts“, so Bernius. „Ich möchte auch meine eigene Handschrift hinterlassen.“ Die Arbeit an Betonung und Phrasierung stand dabei im Mittelpunkt der Proben, auch der Text und seine Aussprache: Offene und geschlossene Vokale, Schwa-Laute, das alles gelte es zu differenzieren, erzählt der Maestro. Detailarbeit an den Charakteristika des Deutschen. Die Musik tritt dabei gleichsam als Mittlerin und Übersetzerin auf und leistet einen entscheidenden Beitrag zum Verstehen, auch wenn man die Sprache nicht spricht.

Frieder Bernius probt mit dem Rezonans-Chor im AKM Istanbul. Foto: Leon Battran
Bach mit türkischen Instrumenten

Mit orientalischen Instrumenten hört man diese Stücke zweifellos nicht oft. Süleyman Yardım spielt die Ney, eine orientalische Längsflöte, unterstützt wird er von Kağan Ulaş am Tambur, einer türkischen Laute. Diese Instrumente werden seit mehreren Tausend Jahren im arabischen Raum gespielt und sind damit deutlich älter als das europäische barocke Instrumentarium.

Die klangliche Mischung mit der Musik der Bachzeit lässt daher besonders aufhorchen und fasziniert. Der Klang der Ney ist hauchiger als der einer modernen Querflöte und schwebt gewissermaßen über dem soliden und geerdeten Klang des Tamburs. Es ist ein urtümlicherer Klang, anders als gewohnt, offener und luftiger. Hier und da doppelt die Ney die Sopranstimme, während das Tambur akkordisch tremoliert. Zwischen den Stücken improvisieren Ney und Tambur, spielen sich gegenseitig die Bälle zu, entfernen sich voneinander und kehren schließlich wieder zueinander zurück.

Probe mit Frieder Bernius. Ney: Süleyman Yardım; Tambur: Kağan Ulaş.
Foto: Leon Battran

„Es ist nicht genau festgelegt, wie die begleitenden Instrumente zu besetzen sind. Bach hätte gesagt, das passt!“, meint Frieder Bernius, der diese interpretatorische Freiheit schätzt. „Ney und Tambur sind in der religiösen Tradition verwurzelt“, weiß Burak Onur Erdem. „Sie drücken daher gewissermaßen die gleiche Idee aus wie Bachs Musik.“

Kulturelle Verständigung über Musik, das kann gelingen. Das haben Burak Onur Erdem, Frieder Bernius und vor allem die Sängerinnen und Sänger des Rezonans-Chors eindrucksvoll unter Beweis gestellt und dabei nicht nur sprachliche Hürden, sondern auch aufführungspraktische Gepflogenheiten hinter sich gelassen. So war dieser Konzertabend im besten Sinne unkonventionell und gleichzeitig sehr traditionsbewusst.

Leon Battran, 19. November 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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