Interview: Wie man über Gleichberechtigung mit Barockmusik spricht

Interview: Inken Rahardt, „Semiramis – Wie geht Karriere?“  Opernloft Hamburg, 21. November 2021

Foto: Susann Oberacker – Künstlerische Betriebsleitung und Inken Rahardt – Intendanz, Copyright: Silke Heyer

Gespräch mit der Intendantin Inken Rahardt über ihre Produktion „Semiramis – Wie geht Karriere?“ im Opernloft Hamburg.

Ein Regisseur, der sich mit Operntheater beschäftigt, sollte eine musikalische Ausbildung haben und sich bewusst sein, wie der Körper eines Sängers funktioniert. Inken Rahardt erfüllt diese Bedingung perfekt. Sie studierte Operngesang in Hamburg und in New York. 2005 machte sie ihr Diplom im Studiengang Kultur- und Medienmanagement in Hamburg. Seit 2007 beschäftigt sie sich mit Regie und bringt sowohl Barockopern als auch große romantische Werke auf die Bühne. Unter ihren Inszenierungen befinden sich „Carmen“, „Tristan und Isolde“, „Tosca“ sowie „Die Winterreise“ und „Heimliches Flüstern“. 2010 erhielt Inken Rahardt den Theaterpreis Hamburg – Rolf Mares für die Inszenierung von „Tolomeo“, 2015 für „Orlando furioso“. Außer im Opernloft führte sie Regie im Ernst Deutsch Theater Hamburg für „Ein Maskenball“ und „Carmen“. Im Opernloft kann man ihre zwei anderen Produktionen sehen: „Tosca“ und „La Traviata“.

von Jolanta Łada-Zielke 

Liebe Inken, wie ist die Idee von „Semiramis – Wie geht Karriere?“ entstanden?

Auf die Idee bin ich schon 2019 gekommen. Wir fingen mit „Semiramis…“ noch während des ersten Corona-Lockdowns an und mussten nach der ersten Hauptprobe abbrechen. Ich finde, die Barockmusik eignet sich hervorragend für neue Themen, weil sie im Gegensatz zur Romantik sehr transparent ist. Mit der Barockmusik lässt sich vieles erzählen, sie spiegelt verschiedene Emotionszustände wider, die man gut aufgreifen und umwandeln kann.

Haben Sie auch berücksichtigt, dass die Hauptheldinnen der Barockopern – Frauen aus der griechischen Mythologie  – häufig sehr stark und zielstrebend sind?  

Eigentlich werden weibliche Heldinnen selten stark und zielgerichtet dargestellt. Die Frau wird entweder mystifiziert oder böse gezeigt, oder sie verfügt über übernatürliche Kräfte, durch die sie nach der Macht greift. Von Semiramis ausgehend gibt es verschiedene Überlieferungen. Einerseits sollte sie ganz Asien regieren, anderseits ihren Mann umgebracht haben, um an seiner Stelle herrschen zu können. Laut einer weiteren Idee sollte sie als Mann gekleidet für ihren Sohn regieren, weil der zu schwach oder zu jung wäre. Und wenn man alle diese Ansätze ins Heute transportiert – wie wir das im Opernloft tun – fragt man sich, was für eine zeitgenössische Heldinnengeschichte anhand davon zu erzählen wäre. Doch unsere modernen Heldinnen führen auch ihre Kämpfe – nicht auf dem Schlachtfeld, aber in der Gesellschaft, denn die Gleichberechtigung zwischen Frauen und Männern ist immer noch nicht erreicht. Für „Semiramis…“ haben wir uns intensiv mit diesem Thema beschäftigt. Frauen werden in vielen Bereichen benachteiligt – vor allem auch in der Arbeitswelt. Und davon handelt das Stück.

In Ihrer Fassung der Oper „Semiramis“ bewerben sich fünf Personen um eine Führungsposition. Darunter gibt es drei Frauen, die schon am Ausgangspunkt weniger Chancen haben.

Ja, darum geht es die ganze Zeit. Man sieht, welche Chancen die fünf Charaktere haben. Die Frauen scheitern häufiger am System. Aber auch die Männer hadern mit ihren Rollenklischees, die sie nicht immer erfüllen oder auch nicht erfüllen möchten. Man sieht fünf Menschen mit individuellen Schwierigkeiten, und wie sie versuchen, darüber hinwegzukommen. Ein Bewertungssystem, das nach gesellschaftlichen Stereotypen funktioniert, beurteilt sie alle.

Wie hängt das alles mit der Musik zusammen? Die fünf Sänger führen die Arien von verschiedenen Komponisten auf: Georg Friedrich Händel, Johann Adolph Hasse, Claudio Monteverdi, Nicola Porpora, Antonio Vivaldi…

…und noch mehr. Wir haben zum Beispiel nur ein einziges Stück von Hasse, aber eine ganze Menge von Händel, weil er viel komponiert hat und viele seiner Werke zugänglich sind. Leider haben wir nicht das ganze Notenmaterial bekommen, das wir noch gerne dabei gehabt hätten. Manche Stücke stehen nur fragmentarisch zur Verfügung, oder man müsste nach Italien fliegen und in der Bibliothek die Faksimiles anschauen. Deshalb haben wir uns an verschiedenen Opern bedient und dabei so viele großartige Kompositionen gefunden, die wir vorher nicht kannten. Die Situationen haben wir im Probenprozess entwickelt. Jeder hat seine Erfahrungen mit der Arbeitswelt. Es sind also auch Improvisationen mit eingeflossen, dazu die Recherchen unserer Dramaturgin Susann Oberacker. Wir haben dann die jeweiligen Musikstücke an die Geschichte der einzelnen Charaktere angepasst. Wichtig war uns, dass die Emotion der Musik zum Gefühl der Person passt. Das Ganze war eine Stückentwicklung. Ich hatte die Idee, wie die Charaktere sein sollen und habe sie entsprechend besetzt. Dann habe ich aus dem Ensemble heraus die Rollen entwickelt und die Szenen dieser Geschichte geschaffen.

Frauen als Zuschauerinnen sind bei dieser Vorstellung privilegiert und bezahlen 20% weniger für die Eintrittskarten. Wie hat das bisher funktioniert?

Generell sehr gut und wir haben sehr positives Feedback erhalten. Es gab aber ein paar E-Mails von Männern, die sich diskriminiert gefühlt haben. Wir mussten natürlich darauf reagieren. Ein solches Gefühl fällt nicht jedem Mann leicht, weil sie an Diskriminierung wegen des Geschlechts nicht gewöhnt sind. Männer können jetzt aber erfahren, wie es Frauen in solchen Situationen geht.

Aber das Publikum kommt zahlreich zu diesem Spektakel?

Zunächst war es schwierig, mehr Publikum dafür zu gewinnen, aber dann ist das Interesse immer größer geworden. Dies bestätigt, dass wir ihren Geschmack getroffen haben. Die Oper ist berührend, wird gut gesungen und gespielt, also soll man sich das unbedingt anschauen. Jedenfalls waren die Vorstellungen im November ausverkauft.

Sie sind ausgebildete Opernsängerin. Benutzten Sie diese Erfahrung nur als Regisseurin oder singen Sie auch in einigen Aufführungen?

Ich glaube, es ist gut für mich als Regisseurin, dass ich außerdem Sängerin bin. Ich kann sehen, wie man den Körper einsetzen soll, dass man nicht das Instrument klein macht, oder ein Sänger in seinem Singen nicht eingeschränkt wird. Aber selbst zu singen, geht für mich eigentlich nicht, es sei denn jemand wird krank, dann kann ich diese Person „von der Seite“ vertreten. Ich mache jedoch keine Stimmbildung mehr. Ich habe mich entschieden, die Regie zu machen und in diesem Beruf erfülle ich mich.

Danke für das Gespräch.

Jolanta Łada-Zielke, 21. November 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Die weiteren Vorstellungen von „Semiramis – Wie geht Karriere?“ werden im Februar unter 2G fortgesetzt.

Semiramis – Wie geht Karriere?, Opernloft im Alten Fährterminal Altona, 21. November 2021

Die Geschichte der Gesangvereine in Deutschland – Teil 1.

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