Julia Lezhneva ist als Poppea der eigentliche Star des Abends. Was für eine Geläufigkeit der Stimme, schimmernden Perlen gleich ist ihre Emission, glitzernde Staccati, wunderbar klangvolle, lang gehaltene Piani, aber auch berückende Tonbindungen führen nach ihrer Auftrittsarie beim enthusiasmierten Publikum zu überwältigendem, lang anhaltenden Jubel.
Staatsoper Hamburg, 15. Dezember 2021
Georg Friedrich Händel, Agrippina
Foto: Franco Fagioli (Nerone), Alice Coote (Agrippina), Julia Lezhneva (Poppea), Iestyn Davies (Ottone), Luca Tittoto (Claudio), Renato Dolcini (Pallante), vorn Riccardo Minasi (musikalische Leitung) (Foto RW)
von Dr. Ralf Wegner
Ich würde mich nicht als Freund von Barockopern bezeichnen, zu viel ratternde Nähmaschine, zu hoch liegende Männerstimmen, zu viel Kammerspiel, oft zu elegisch und von der Handlung her hahnebüchen bis undurchsichtig. Das gilt auch für Händels Oper Agrippina.
Schon die altrömische Historie ist komplex: Agrippina die Jüngere (16-59), Gründerin der Stadt Köln, Urenkelin des Kaisers Augustus (-63-14), Tochter des Germanicus (-15-19), in dritter Ehe mit ihrem Onkel, Kaiser Claudius (-10-54), verheiratet, versucht, ihrem Sohn aus erster Ehe, Nero (37-68), die kaiserliche Nachfolge zu sichern. Die schöne Poppea (32-65) heiratet in zweiter Ehe Otho (32-69), einen Gefolgsmann Neros, aber offenbar mit dem Hintergedanken, über diesen den Kaiser Nero selbst zu ehelichen; was ihr in dritter Ehe gelingt. Die ihr im Wege stehende Agrippina wird von Nero ermordet, Poppea später von Nero ebenfalls getötet.
Händels Oper Agrippina schildert eine raffinierte, intrigante Agrippina und eine ebenso mit weiblicher Raffinesse vorgehende Poppea. Die beiden Damen gegenüber stehenden sechs Männer sind mehr oder weniger selbstverliebte Gockel, die den Frauen auf den Leim gehen. Einzig Ottone, wunderbar weich und mit samtiger Grundierung gesungen von dem britischen Countertenor Iestyn Davies, enthält sich der Intrige und kämpft um seine geliebte Poppea. Julia Lezhneva ist als Poppea der eigentliche Star des Abends. Was für eine Geläufigkeit der Stimme, schimmernden Perlen gleich ist ihre Emission, glitzernde Staccati, wunderbar klangvolle, lang gehaltene Piani, aber auch berückende Tonbindungen führen nach ihrer Auftrittsarie beim enthusiasmierten Publikum zu überwältigendem, lang anhaltenden Jubel. Weit über reine technische Beherrschung hinaus spielt Lezhneva mit den Tönen, gibt den Noten Sinn und Sentiment. Seit Edita Gruberovas Zerbinettenarie habe ich keine Sopranistin wieder so Koloratur singen und interpretieren hören.
Alice Coote hatte es als Agrippina zumindest vor der Pause schwer, gegen Lezhneva zu bestehen. Ihre Stimme zeigte gelegentlich eine gewisse Schärfe, die allerdings gut zur Rolle der darzustellenden Intrigantin passte. Nach der Pause gelangen auch ihr stimmlich bewegende Momente. Gleiches gilt für Franco Fagiolis Nerone. Anfangs war bei dem argentinischen Countertenor nicht recht zwischen Koloratur und übermäßigem Vibrato zu unterscheiden. Sein sehr heller Stimmklang glich zudem einem echten Sopran, was es manchmal schwierig machte, ihn stimmlich von seiner Mutter zu unterscheiden. Seine große Koloraturarie nach der Pause gelang ihm dann perfekt und wurde viel bejubelt. Luca Tittoto (Claudio), Renato Dolcini (Pallante), Vasily Khoroshev (Narcisco) sowie Chao Deng (Lesbo) trugen zum hohen Niveau der Aufführung bei. Vor allem ist aber das aus dem Graben leicht hochgefahrene, meisterlich aufspielende Ensemble Resonanz unter der Leitung von Riccardo Minasi zu loben.
Trotzdem, es war eine sehr lange Aufführung, die um 18:30 Uhr begann und uns erst um 22:50 Uhr wieder auf der Straße sah. Abzüglich der einen Pause lag die Nettospielzeit wohl bei mehr als dreieinhalb Stunden. Dem Publikum war es nicht zu lang, denn auch der Schlussbeifall war jubelnd und lang, lang anhaltend.
Dr. Ralf Wegner, 15. Dezember 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
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