Staatsoper Hamburg, 16. März 2022
Giacomo Puccini, Turandot
Foto: Hans Jörg Michel ©
von Harald N. Stazol
Ich hoffe, als in der Wolle gefärbter, überzeugter Alice-Schwarzer-Feminist nicht der Misogynie bezichtigt zu werden, wenn ich konstatiere:
Wenn die einzige Antwort einer Frau auf jede kleinste Kleinigkeit ein beständiges “Kopf ab!” ist, hat man es entweder mit einer Eppendorfer Hysterikerin zu tun, wenn Gucci am Neuen Wall Inventur hat – oder eben mit Prinzessin Turandot.
Naja, die Tochter des Kaisers von China ist ja eher traumatisiert, aber, glauben Sie mir, bei manchen Frauen changiert das, von einem ins andere, bzw., wie es in der Psychologie heisst, “rapid cycling”, – haben doch schon Hippokrates, ja, und auch Paracelsus den Sitz der Hysterie in der Gebärmutter vermutet, daher ja auch der Name, aber wir schweifen ab…
Also besser in den Kaiserpalast in Peking – und was für ein Palast das ist, hier auf dem Prospekt der Hamburger Staatsoper, in einer Aufführung, die einen mit geradezu patriotischem Stolz auf unser Haus und sein Orchester, ja, eine auch im internationalen Vergleich phantastische Besetzung, die sich neben dem “Festival d’Orange” 2012 – eben auch ob der luxuriösen Ausstattung – oder der Inszenierung an der Metropolitan Opera 1988 oder 2017 oder durchaus sehen lassen kann, nur das in New York natürlich bei gigantischer Bühne ein ganz anderer Etat vorliegt…
Denn da kommt sie ja her, dieser Schatz, dieses Juwel, diese Trouvaille von Stimme: Guanqun Yu, ich erkläre sie hiermit zu unserer Hamburger Staats-Sopranistin! Ich wies an anderer Stelle schon auf diese fast fliegende Leichtigkeit, mit der sie jede Schwierigkeit mit Bravour nimmt. Wobei schon erstaunlich ist, dass sie als Liù in der Todeszene wirklich mit völlig zerzausten Haaren, von den Schergen übelst hin und her gestoßen wird, hat man sie doch keine drei Tage zuvor beim Ukraine Abend hören können, da allerdings ganz gesittet, aber eben im Abendkleid.
Von denen heute einige Prachtstücke zu sehen sind, drinnen wie draussen, im Foyer schon ein langes Tüllkleid in rosé, eines in tankblau, hier eine Fee in roten Marlene Dietrichhosen, drinnen der Umhang des Kaisers in gelben Brokat und Fellbesatz, Turandot in Haute Couture – auch unsere Kostümbildner müssen keinen Vergleich zu Weltbühnen scheuen! Bis ins kleinste Detail: Sehe ich doch draussen in der Pause eine Reedersgattin mit einem lupenreinen, tropenförmigen Top Wesselton Dreikaräter, drinnen, nach der Pause, hat jede der Choristinnen ein glitzerndes Ohrgehänge – solche kleinen Details machen Kritiker glücklich.
Ach, und die Kleinen! Der Kinderchor! Also sowas von entzückend! Da gehen sie im Palast mit mal weissen, mal roten Lampions umher und singen dabei. Sehr hübsch. Da muss Luiz de Goday mit seinen Élèven aber ordentlich geübt haben!
Ach ja: Hin- und Her. Die “Hamburger Bühne” erlaubt ja, dass die ganze Kulisse von rechts nach links geschoben werden kann, man denke an das Aufschieben einer “Mon Cheri” Schachtel, was den unglaublichen Effekt hat, dass man meint, die ganze Oper drehe sich von Rechts nach Links. Ich empfehle, dies nach einem hervorragenden Weissburgunder mal zu testen, (wenn man sich ihn denn leisten kann…), Sie werden überrascht sein!
Der junge Prinz von Persien, Frederik Börner, verdient besonderer Erwähnung, also wirklich, vor einem vollen Haus mit nacktem Oberkörper, blutüberströmt mit einem mittelalterlichen Fesselbrett um den Hals, kniend, Minuten lang, Chapeau dem Recken, – echt der burner!
Womit wir bei der brennenden Frage des heutigen Abends sind, ja, die ganz Hamburg jetzt mit zerreißender Spannung erfüllt, “the suspense kills me” denke ich im Stillen, kann Grunde seinen Premierentriumph vom Sonntag wiederholen, ja, sogar noch übertreffen, sein unvergleichliches “Nessun dorma”, und ich sage Ihnen, das war schon am Ukraine Liederabend am Vortag der Premiere einfach nur stupend!
Und der Tenor wird zum stupor mundi! Man ahnt nicht, woher dieser wuchtige Mann noch immer seine Kraft findet, und wahrlich, es gelingt ihm. Hat sich das wohl berühmteste Thema der Welt doch schon im 2. Akt angekündigt, da denk ich schon, jetzt gehts los, aber Puccini täuscht nur an. Und dann gehts los, aber wie! Am Besten wäre es, Sie überzeugen sich selbst von dieser Inszenierung, die schon als die Beste der letzten 10 Jahre gehandelt wird, was bei den reservierten Hanseaten bei aller Zurückhaltung geradezu ekstatisch, ja, orgasmisch klingt. Wir erinnern uns an die Gebärmutter… Jedenfalls hoffe und wünsche ich mir Grunde in Zukunft so oft wie möglich zu hören. Ich glaube, das ist der Beginn einer wunderbaren Freundschaft.
Man mag die Turandot anlegen, wie man will, sie muss kalt sein und grausam, und das mag dazu führen, dass die ansonsten brillierende Anna Smirnova ein wenig presst, wie mir scheint, was wohl auch an der herrschenden Lage liegen mag – dass sie hier und heute als “leading role” singt und singen darf, ist mir als Wahl-Hanseat, dem “Hamburger Toleranzedikt”, wie ich es nenne. Dass Russen-Embargo führt zum Verlust von Dirigenten, wird den Kulturbetrieb knöchern und isoliert und durch einen großen Graben, tiefer vielleicht, als der Eiserne Vorhang hoch, zerstören, ja, reisst jetzt schon Ballette auseinander, wie kürzlich traurigerweise im Mariinsky. Der Smirnova gebührt alle Achtung – und deutlich, allein aus Anstand, mehr Bravo!, meine Damen und Herren. Wäre ich Kulturstaatsminister, würde ich dieser sinnlosen Politisierung von Kunst und Kultur aufgrund des falschen Passes per Dekret unterbinden.
Was uns zu den Uniformen bringt. Schwarz, am Rande des Italo-Faschismus, aber eher k.u.k., der ganze Chor, rechts und links die Bühnengänge entlang, die in den Zuschauerraum ragen, und nun stelle ich diesem Forum anheim sich und seine Meinung zu äussern:
IMMER DIESE UNIFORMEN!!! Ich kann sie nicht mehr sehen. Schon beim “Kleist-Projekt” am Deutschen Theater, Berlin, 1988 waren sie mir zuwider, und jedesmal wenn sie in Mailand, ich erinnere mich, in der Sommersaison 1998 von Etro bis Ferragamo zu Zegna schwappte, die Mode der HJ-Uniform, aufs Geringste abgewandelt, echauffierte ich mich damals so, dass der Kollege der “Daily Mail” mich zu dem Thema interviewte. Andererseits ist natürlich eine schwarz uniformierte Menge, die sich auf eine Köpfung freut und den Henker anfeuert, wieder sinnig. Mir erscheint es dennoch widersinnig. Jedesmal, wenn ich Reitstiefel trage am Dammtor, nähern sich deutlich ältere Damen, und sagen mir, wie “schneidig” ich aussähe.
Tant Pis!
Einmal, drei Sekunden versetzen sich Chor und Orchester, aber eben nur einmal, und das sind ja nun wirklich Petitessen. Triumphal die Trompeter und Posaunisten des routinierten Orchesters, dessen Dirigat von einem Schlaks von jungem Maestro, Giacomo Sagripanti, er selbst, der derzeit interessanteste Nachwuchsdirigent, dem weitere, geneigte Aufmerksamkeit zu widmen sein wird – ich jedenfalls werde seine Karriere mit Interesse verfolgen.
Harald “dies hören, und ist sehr glücklich”, “en éntendant”, Heinrich Manns Übertragung des Gérondifs in “Henry Quatre”, und das Ganze ist derart mitreissend, dass man gefühlt erst auf dem Vorplatz, dann in der Pause, und plötzlich wieder auf der Strasse sich befindet. Tempora stat. Die gesamte Aufführung über.
Die Musik Puccinis ist ja auch schon ein Vorgriff auf die Filmmusik des späteren 20. Jahrhunderts, seine Todesstunde, am 29. November 1924, in Brüssel, er kann das Werk nicht vollenden, Toscanini unterbricht hier einst, dreht sich zum Publikum um uns spricht “Hier starb der Meister” – in Hamburg projiziert man das Totenbett des Genies, was einen in der Stille der zwei Gedenkminuten doch sehr an ein “de mortuis nihil nisi bene” gemahnt. Erschütternd. Aber, keine Sorge, man wird ja gleich wieder getröstet.
Einmal, so glaube ich, werden junge, zaristische Kadetten übergroß eingeblendet, ich wähne an ihren schwarzen Karakutschaf-Baretten, aus dem “Leib-Garde-Preobraschenski” Regiments, der Leibgarde Nicolaus des Zweiten, das Gruppenbild scheint mir aus meinem Photographie-Prachtband “Nicolaus II.” bekannt zu sein – aber ich kann mich irren, – die Allusionen aber der südkoreanischen Star-Regisseurin Yona Kim – wieder eine Trouvaille! – sind hintergründig und ahnungsvoll:
So schildere ich meiner Chefin vom Dienst – nach der Oper für mich immer in Bereitschaft – glühend von dem Hellblau und Gold, der Säale des Palastes, der mir unseren Wohlstand und unsere Sicherheit und die Schönheit unserer intakten Bauten in Erinnerung ruft, wohl acht Meter hoch uns 12 Meter breit –
Und werde mir in einem Schlage, nun drei Stunden nach diesem nicht weniger als epochal zu nennenden Abend, bewusst, dass Hellblau und Gold die Farben des lichten Himmels und der goldenen Weizenfelder sind.
Harald N. Stazol, 17. März 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Giacomo Puccini, Turandot (Premiere) Staatsoper Hamburg, 13. März 2022