Christian Thielemann: © Matthias Creutziger
Staatsoper Unter den Linden, 28. Juni 2022
Richard Wagner: Vorspiel und Liebestod aus „Tristan und Isolde“
Anton Bruckner: Sinfonie Nr. 7 E-Dur
Berliner Staatskapelle
Christian Thielemann, Dirigent
Christian Thielemann übernahm für Herbert Blomstedt
von Kirsten Liese
Dieses Konzert wird Geschichte schreiben. Vielleicht als dasjenige, mit dem der Grundstein für eine neue Partnerschaft gelegt wurde, die man sich nie hätte träumen lassen.
Aber der Reihe nach. Herbert Blomstedt, der die letzten Abonnementkonzerte dieser Saison mit der Berliner Staatskapelle leiten sollte, stürzte am Tag vor der Generalprobe unglücklich, so dass er ins Krankenhaus kam. Für ihn übernahm – und hier wird es pikant – Christian Thielemann. Die beiden Abende waren seine ersten mit diesem Orchester überhaupt.
Auch wenn öffentlich nicht ein schlechtes Wort gefallen ist, eine gewisse Rivalität existierte zwischen Barenboim und Thielemann natürlich über viele Jahre, zumal beide Giganten dieselben Repertoire-Vorlieben teilen. 2004 verließ Thielemann bekanntlich die Deutsche Oper Berlin, weil er nicht hinnehmen wollte, dass sein Orchester tarifvertraglich schlechter gestellt wurde als Barenboims Staatskapelle. Das hätte jeder andere Spitzendirigent wohl genauso gemacht. Aber das sind alte Kamellen, so dass es Zeit wurde, darunter mal einen Schlussstrich zu ziehen. Jedenfalls dirigierte Thielemann jetzt sozusagen das „Konkurrenz“-Orchester. Und das ließ sich mit nur einer Probe so phänomenal gut an, dass man meinen könnte, da sei schon über lange Zeiträume etwas zusammengewachsen, was zusammengehört.
Bei dem von mir besuchten zweiten Abend in der Philharmonie sitzt Daniel Barenboim sogar im Publikum, auch das hat es so meines Wissens zuvor nicht gegeben. Barenboim hätte den Abend auch zur Chefsache machen können, aber er überlässt dem Kollegen das Feld und erweist ihm die Ehre. Damit zeigt er Größe!
Mit Bruckners Siebter im Zentrum wirkte das Programm ohnehin wie auf Thielemann zugeschnitten, hat sich doch in den vergangenen beiden Jahren wohl kaum ein anderer so intensiv mit dem sinfonischem Oeuvre des Oberösterreichers beschäftigt wie eben er, der gerade seinen Bruckner-Zyklus mit den Wiener Philharmonikern vollendet hat und auf einer Tournee mit der Sächsischen Staatskapelle Dresden ebenfalls mehrfach Bruckners Neunte zu Gehör brachte. Nur die ursprünglich vorgesehene Mozartsinfonie vor der Pause ersetzte er durch „Vorspiel und Liebestod“ aus Wagners „Tristan“.
Das war durchlebt von leidenschaftlicher, schier überschäumender Ekstase, von tiefstem Seelenschmerz und spannungsvollem Knistern in jenen Momenten, wo die Musik nahe der Unhörbarkeit ganz leise wird.
In den für ihn typischen Bewegungen aus der Rückenlage oder Kniebeuge erschien Thielemann dabei wieder einmal unverkennbar, und zugleich vermittelte sich unterschwellig sein Respekt vor diesem Orchester, mit dem er sicherlich auch dank der langen erfolgreichen Orchesterarbeit Barenboims so schnell so trefflich arbeiten konnte. Barenboim hat die Berliner Staatskapelle mittlerweile über 30 Jahre lang geprägt und damit noch länger als sein Vorgänger Otmar Suitner, der das alte Traditionsorchester ein Vierteljahrhundert lang leitete.
Und doch bestimmte vor allem seine Wiedergabe von Bruckners Siebter Thielemanns markante Handschrift. Das wird zuerst in der Weise ohrenfällig, wie beseelt er die Musik entfaltet, wie packend er sie beschleunigt und entschleunigt, wie sorgfältig er Übergänge vorbereitet und wie subtil er dynamisiert.
Wie bei seiner letzten Siebten vor einem Jahr in Salzburg mit den Wienern wird das feierliche Adagio zum Herzstück des Abends. Wunderbar majestätisch erstrahlt da das erste Hauptthema mit seinen breiten Akkorden und markigen Achteln, berührend zärtlich die Melodie im Moderato mit den beruhigenden Achtelbewegungen mit ihrer wiegenliedhaften Anmutung in den tiefen Streichern. Alles wirkt bis aufs I-Tüpfelchen klanglich ausbalanciert, den trefflichen Bläsersolisten – das mit lyrischem Feinsinn aufwartende Holz und das brillant tönende Blech – ist die Inspiration durch den Dirigenten anzumerken. Es ist ein gegenseitiges Geben- und Nehmen. Der geniale Brucknerdirigent lässt sich von der Musik berühren und berührt seinerseits die Musiker, die es sichtlich genießen, wie er ihre schönsten Klänge aus ihnen hervorzaubert.
Wie herrlich tönen vor allem auch die Celli, mit deren Aufgängen der erste Satz schon beginnt.
Sehr dankbar bin ich wieder einmal dafür, dass Thielemann das Scherzo, wiewohl mit „sehr schnell“ überschrieben, moderat angeht, so kommt die Trompete gleich mit ihrem Hauptmotiv wunderbar zum Leuchten. Überhaupt wirkt bis zu den beunruhigenden Wirbeln der Pauke alles wie abgezirkelt. Der Gesamtklang nimmt sich schlank und heller als bei der Sächsischen Staatskapelle Dresden. Und wie fein strukturiert wirkt bis in alle feinen Verästelungen und Nebengedanken hinein der Finalsatz! Und wie edel tönt das Orchester noch in den Kulminationspunkten langer Crescendi!
In die mal elegischen, mal trostreichen Klänge vertieft, drängt sich mir auf, was für tolle Chancen sich damit verbinden, dass das Eis zwischen Thielemann und der Berliner Staatskapelle nun gebrochen ist: Barenboim ist gesundheitlich angeschlagen und wird sie über viele Jahre nicht mehr als Chefdirigent begleiten können, so dass es beizeiten eines Nachfolgers bedarf, und die Auswahl an adäquaten Spitzendirigenten, zumal solchen, die das Kern-Repertoire von Wagner, Strauss, Beethoven, Brahms und Bruckner grandios zu bedienen verstehen, sehr gering. Zugleich läuft Thielemanns Vertrag in Dresden 2023/24 aus, so dass er zur Disposition stünde. Eigentlich eine naheliegende Sache, denkt man näher darüber nach. Perfekter könnte das Timing kaum sein, einen besseren Nachfolger für Barenboim und sein künstlerisches Erbe ließe sich für die Berliner Staatskapelle nicht denken. Und der vom Publikum mit Ovationen gefeierte Berliner Thielemann wäre endlich wieder in Berlin.
Kirsten Liese, 30. Juni 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
NDR Elbphilharmonie Orchester, Herbert Blomstedt, Dirigent Elbphilharmonie, 17. Juni 2022
Wiener Philharmoniker, Daniel Barenboim, Mozart_programm Staatsoper Unter den Linden, 6. April 2022