Fotos: Evgeny Kissin beim Klavier-Festival Ruhr in der Philharmonie Essen (c) Christian Palm
Klavier-Festival Ruhr: Eine Erkrankung Sir András Schiffs führt zum Kuriosum, dass Evgeny Kissin zweimal innerhalb von vier Tagen dasselbe Programm beim selben Festival gibt
Essen, Philharmonie, 1. Juli 2022
Johann Sebastian Bach (1685-1750) – Toccata und Fuge in d-Moll, BWV 565 (Bearbeitung für Klavier von Carl Tausig)
Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791) – Adagio in h-Moll, KV 540
Ludwig van Beethoven (1770-1827) – Klaviersonate Nr. 31 in As-Dur, op. 110
Frédéric Chopin (1810-1849) – Mazurken opp. 7/1, 24/1, 24/2, 30/1, 30/2, 33/3, 33/4; Andante spianato et Grande Polonaise Brillante in Es-Dur op. 22
Evgeny Kissin, Klavier
von Brian Cooper, Bonn
Konzerte zweier Pianistinnen bzw. Pianisten werden schon mal gerne als „Gipfeltreffen“ vermarktet, was naturgemäß in Zeiten von G7- und Nato-Gipfeln im ersten Moment ein wenig irritieren kann. Beim Klavier-Festival Ruhr hat es im Laufe der Jahre bereits etliche Gipfeltreffen gegeben – darunter auch, metaphorisch gesprochen, sehr, sehr viele Achttausender. Man denke nur an die Abende mit Martha Argerich. Der legendäre Schumann-Abend am 25. Mai 2010 in Essen beispielsweise bleibt unvergessen.
Nun, da das hochkarätige Festival in diesem Sommer allmählich auf die Zielgerade einbiegt, sollte eigentlich ein bedeutendes Konzert zweier Tastengötter das Wochenende einläuten, wiederum in Essen: Sir András Schiff und Evgeny Kissin, vierhändig und an zwei Flügeln, ein tolles Programm von Mozart bis Smetana. Schön wäre das geworden, so ein richtiges… nun, Gipfeltreffen.
Leider war Ersterer kurzfristig erkrankt (gute Besserung an dieser Stelle), und zwar an Covid, wie Intendant Franz Xaver Ohnesorg in seiner dieser Tage üblichen kurzen einleitenden Ansprache präzisierte. Geschickt nutzte er die Überleitung, um darauf hinzuweisen, dass ja zwar im Saal derzeit keine Maskenpflicht herrsche, man aber durchaus eine tragen dürfe, so man sich damit wohler fühle. (Nur schätzungsweise die Hälfte des Publikums trug letztlich Masken.)
Das Handy hingegen, das während seiner Ansprache klingelte, diese Steilvorlage, nutzte er leider nicht, um sein Publikum freundlich daran zu erinnern, alle Endgeräte stumm- bzw. auszuschalten. Diesmal ging es gut, und zumindest bis zum Zugabenblock klingelte kein Handy.
András Schiffs Erkrankung führte nun also zum Kuriosum, dass Evgeny Kissin im Rahmen desselben Festivals zweimal innerhalb von vier Tagen dasselbe Programm spielte, wenngleich in einer anderen Spielstätte. Am Montag hatte er ja in Wuppertal einen sensationellen Auftritt gehabt.
Klavier-Festival-Ruhr, Evgeny Kissin Wuppertal, Historische Stadthalle, 27. Juni 2022
Die Macher des Festivals boten an, den Kaufbetrag zu erstatten, in einen Gutschein umzuwandeln oder aber der Stiftung zu spenden. Bei Stornierung bitte einfach melden, hieß es. Das ist unkompliziert und ohne nervige Prozeduren: vorbildlich.
Aber mal im Ernst: Wer würde sich ein Kissin-Rezital entgehen lassen, wenn man in einer vertretbaren Entfernung wohnt? Egal, ob man das Programm bereits gehört hat oder nicht, den Mann kann man einfach nicht oft genug hören. Und es führt natürlich Festival-Stammgäste zu einem interessanten Vergleich mit dem Abend in Wuppertal.
Der ist schnell gezogen: Auch in Essen wurde es großartig. Kissin erzählte in allen Stücken Geschichten. Und das ist ein Kompliment, mit dem sparsam umgegangen werden sollte. Faszinierend war insbesondere die Gestaltung von Melodielinien, etwa im Mozart-Adagio oder im Kopfsatz der Beethoven-Sonate. Man konnte eintauchen, dem Künstler folgen und ertappte sich beinahe beim zustimmenden Nicken: So, ja, und nicht anders. (Das ist natürlich Unsinn – jede Interpretation hat ihre Berechtigung, sofern sie stringent dargeboten wird.)
Faszinierend auch, wie der stets bemerkenswert hochkonzentrierte Kissin aus einer einzigen Mazurka eine ganze Welt formt, in der so viel zu sehen, zu erleben und zu hören ist. Und wenn schon eine Mazurka eine Welt darstellt, dann ist so ein op. 22 ein zwölfminütiger Kosmos…
Es gab großen Jubel seitens des Publikums. Zufriedenheit war in vielen Gesichtern zu erkennen, und Dankbarkeit zu spüren, dass dieser Abend gerettet werden konnte, und es gab stehende Ovationen für einen großen Künstler.
Der bereits erwähnte Zugabenteil war, wie auch in Wuppertal, mit vier Werken großzügig bemessen. Nur war die Stimmung in Essen nach der ersten Zugabe – Bach/Busoni: Nun komm, der Heiden Heiland, man dachte unweigerlich an den viel zu früh verstorbenen Dinu Lipatti – plötzlich irgendwie anders, zirkushafter.
Gleich drei Menschen in Reihe 9 filmten sich ab Zugabe 2 schon mal ihre persönlichen Konzerterinnerungen für den nächsten Lockdown zusammen (das ist illegal, Kinder, und überdies für den Künstler und das restliche Publikum störend!), und eine Person fotografierte auf der Chorempore schamlos mit Blitzlicht, während Kissin gerade Chopins op. 53 spielte, was nicht gerade ein technisch anspruchsloses Stück ist. Chorempore, Klavier-Festival Ruhr, Handyfilmen, und das in Essen – war da nicht was? Richtig, Krystian Zimerman verließ seinerzeit im Zorn die Bühne. Was hätte Sir András getan?
Glücklicherweise konnte das Fehlverhalten einer Minderheit – und lasst uns nicht vergessen: Es ist immer eine Minderheit – einen wunderbaren Abend nicht trüben. Bleibt zu hoffen, dass uns Herr Kissin bald wieder beehrt. Er ist ein Künstler, der sich völlig in den Dienst der Musik stellt. Vielleicht kann ja sogar das Gipfeltreffen mit Sir András nachgeholt werden. Dann hoffentlich bei ausverkauftem Haus.
Dr. Brian Cooper, 2. Juli 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Jewgenij Kissin, Mariss Jansons, Berliner Philharmoniker, Philharmonie Berlin, 17. Januar 2019
…vielen dank für ihren beitrag und auch neben und hinter mir wurde eifrig gefilmt und aufgenommen – während des ganzen konzertes.
was ich allerdings im wesentlichen vielmehr als veritabel störend empfand, war das hochfrequente pfeiffen aus verschiedenen richtungen.
zunächst dachte ich an tomatensuppe und kartoffelbrei – in der tat waren es aber wohl falsch eingerichtete hörgeräte.
lang lebe das rüsten der technik.
thorsten tonski
Hörgeräte, die pfeifen – ein Horror! Die haben mir schon die ein oder andere Vorstellung zerstört.
Jürgen Pathy