Noa Wildschut. Foto: Esther de Bruijn
Herrlich erfrischend und mit südosteuropäischem und karibischem Flair
Kulturpalast Dresden, 21. Juli 2022
Béla Bartók, Rumänische Tänze
Johann Sebastian Bach, Violinkonzert E-Dur BWV 1042
Antonín Dvořák, Serenade für Streichorchester E-Dur op. 22
Deutsche Streicherphilharmonie
Wolfgang Hentrich, Dirigent
Noa Wildschut, Violine
von Pauline Lehmann
Die Sommerferien sind größtenteils schon in vollem Gange, in den südwestlichen Bundesländern stehen sie vor der Tür: Am vergangenen Freitag haben sich im baden-württembergischen Weikersheim die besten Nachwuchsstreicherinnen und -streicher aus allen bundesdeutschen Musikschulen zu ihrer diesjährigen Sommerarbeitsphase getroffen. Mit einem Gastspiel im Dresdner Kulturpalast eröffnen die jungen Musikerinnen und Musiker der Deutschen Streicherphilharmonie unter der Leitung ihres Chefdirigenten Wolfgang Hentrich und gemeinsam mit dem Rising Star der Klassikszene par excellence, der 21-jährigen niederländischen Violinistin Noa Wildschut, ihre Tournee, die sie in den kommenden Tagen in die Lutherstadt Wittenberg (23.07.), zu den Festspielen Mecklenburg-Vorpommern nach Greifswald (24.07.) und Rostock (27.07.) sowie anlässlich des MDR Musiksommers nach Köthen (29.07.) und schließlich nach Wien (31.07.) führt.
Hochkonzentriert und professionell präsentieren die 11- bis 20-jährigen Musikerinnen und Musiker ihr virtuoses Können, ihre beeindruckende Musikalität sowie ihr Vermögen, sich innerhalb kürzester Zeit auf das Ensemble einzulassen und zu einem homogenen, vollen Klangkörper zusammenzuwachsen. Nicht wenige geben in Dresden ihren musikalischen Einstand bei den jungen Profis.
Den Opener bilden Béla Bartóks „Rumänische Tänze“, die er im Jahr 1915, seinem „rumänischen“, zunächst fürs Klavier komponierte und zwei Jahre später fürs Orchester bearbeitete. Inmitten des derben Streichersounds meint man sich in einer (stilisierten) bäuerlichen Welt im heute zu Rumänien gehörenden Siebenbürgen wiederzufinden, auf einem sonntäglichen Marktplatz oder in einer zünftigen Dorfschenke mit einer niedrigen, hölzernen Decke, wo die wilden Schritte und Sprünge der Tänzerinnen und Tänzer den Staub aufwirbeln. Einen Kontrast zu den schroffen Klängen des „Jocul cu bâta“, eines Stocktanzes, des „Brâul“, eines Rundtanzes, und der Rumänischen Polka bilden die beinahe ätherischen Klänge der Solovioline im „Pe loc“ und im Tanz aus Bucsum, die vom Orchester fast durchsichtig schimmernd begleitet werden.
Béla Bartók liebte nicht nur die Natur und die Bergwelt, vor allem das von ihm als einfach und unverdorben erachtete Landleben, die Bauern und Dörfler und insbesondere deren Tänze und Melodien hatten es ihm angetan. Angespornt dadurch, neue Impulse für die hiesige Kunstmusik und für das eigene musikalische Schaffen zu gewinnen, reiste der Komponist, der sich übrigens auch seine Budapester Wohnung im bäuerlichen Stil einrichten ließ, in den Jahren von 1907 bis 1918 – teils durch den Ersten Weltkrieg unterbrochen – mit seinem Edison-Phonographen und Notenpapier nach Siebenbürgen, wo er slowakische, ungarische und rumänische Volksmusik sammelte.
Auf ihrer Tournee mit der Deutschen Streicherphilharmonie hat Noa Wildschut die zwei Solo-Violinkonzerte von Johann Sebastian Bach im Gepäck, wobei in Dresden jenes in E-Dur BWV 1042 erklingt. Wolfgang Hentrich, der die Besetzung des an die 90-köpfigen Streicher-Ensembles verkleinert, balanciert das Zusammenspiel zwischen Tutti und Solo wunderbar aus und die Solistin entdeckt aus dem Moment heraus Bachs viel gespieltes und oft gehörtes Violinkonzert neu. Mit ihrer Geige wird sie in den freien Solo-Episoden wie der Kadenz des ersten Satzes und dem zweiten Satz, einem in cis-Moll stehenden Adagio, in dem das Elegische zauberhaft durchschimmert, zu einer musikalischen Entdeckerin und Geheimnissuchern. Als Zugabe spielt sie vor einem staunenden und begeisterten Publikum die dritte von Astor Piazzollas Tango-Etüden und zeigt abermals ihr originelles musikalisches Gespür. Im kommenden Jahr übernimmt die euphorische junge Künstlerin im Rahmen der Festspiele Mecklenburg-Vorpommern, wo sie bereits seit 2018 regelmäßig gastiert, die Künstlerische Leitung des 11. Festspielfrühlings auf der Insel Rügen vom 17. bis zum 26. März 2023.
Am Abschluss des offiziellen Programms steht ebenfalls ein Werk in E-Dur: Antonín Dvořáks Streicherserenade op. 22. Mit ihrem heiteren, unbeschwerten Gemüt, in das sich teils expressive Züge mischen, spiegelt sie die glückliche berufliche und familiäre Lebenssituation des Komponisten wider, konnte Dvořák doch zunehmend musikalische Erfolge für sich verzeichnen, überdies hatte er geheiratet und war Vater eines Sohnes geworden. Die fünf Sätze des im Mai 1875 komponierten Werkes gleichen farbenfrohen Sommerbildern und die weiten, ausladenden Melodiebögen klingen auch heute noch freudestrahlend in mir nach.
Schade ist es, dass viele Plätze im Saal unbesetzt bleiben. Entweder wurde nicht das vollständige Platzkontingent in den Verkauf gegeben oder es wurden (wegen der Urlaubszeit) gar zu wenig Karten verkauft? Die Freude des anwesenden Publikums trübt dies jedoch nicht. An einen herzlichen und stürmischen Applaus schließen sich drei Zugaben an. Nach Udo Lindenbergs „Cello“ darf keinesfalls Captain Jack Sparrow fehlen, die für Streichorchester bearbeitete Fassung des „Fluchs der Karibik“ ergänzen die jungen Musikerinnen und Musiker durch eine einfallsreiche Perkussion.
Schließlich steht auch Wolfgang Hentrich selbst mit der Violine in der Hand auf der Bühne, der den Dresdnerinnen und Dresdnern als Konzertmeister der hiesigen Philharmonie wohlbekannt ist, und steigt in den vor Hitze schwermütigen zweiten Satz von Antonio Vivaldis „Sommer“ aus den „Vier Jahreszeiten“ ein. Im finalen Allegro gibt Wolfgang Hentrich das Solo an den Konzertmeister weiter, der die Solopartien grazil-virtuos und luftig-leicht nimmt. Das Orchester musiziert nun im Stehen und gibt sich unglaublich vital und energiegeladen.
Pauline Lehmann, 22. Juli 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Dresdner Musikfestspiele, Lange Nacht des Cellos Kulturpalast Dresden, 26. Mai 2022