Foto: Joseph Keilberth, de.wikipedia.org
von Peter Sommeregger
In der letzten Woche erschütterte der plötzliche Tod des Dirigenten Stefan Soltész die Opernwelt. Der international erfolgreiche Musiker brach während eines Dirigats der Strauss-Oper „Die schweigsame Frau“ im Nationaltheater München am 22. Juli 2022 plötzlich am Pult zusammen. Im Krankenhaus konnte man nur noch seinen Tod feststellen.
Dieses tragische Ereignis überschattet nun die diesjährigen Münchner Opernfestspiele, weckt aber gleichzeitig Erinnerungen an einen ähnlichen Vorfall, der sich an gleicher Stelle am 20. Juli 1968 ereignete. Während des zweiten Aktes von Wagners „Tristan und Isolde“ stürzte der damalige Generalmusikdirektor der Bayerischen Staatsoper Joseph Keilberth in den Orchestergraben, auch er war nicht mehr zu retten. Keilberth, der erst 60 Jahre alt war, hatte eine bedeutende Karriere als Dirigent vorzuweisen. Er war bis zu seinem Tod Chefdirigent der Bamberger Symphoniker, die sich nach dem zweiten Weltkrieg aus Musikern des Prager Philharmonischen Orchesters rekrutierten, das Keilberth zuvor geleitet hatte. Auch bei den Bayreuther Festspielen hatte der Dirigent in den 1950er Jahren zahlreiche Aufführungen geleitet. Seine Münchner Position blieb bis 1971 unbesetzt, danach wurde sie von Wolfgang Sawallisch übernommen.
Der Tod Keilberths hatte seinerzeit Parallelen zu einem seiner prominentesten Vorgänger, Felix Mottl, aufgewiesen, der am 21. Juni 1911 ebenfalls während einer Tristan-Aufführung einen Schlaganfall erlitt, den er zunächst überlebte. Er starb am 2. Juli, hatte aber vorher noch seine langjährige Partnerin, die berühmte Sängerin Zdenka Fassbender, im Krankenhaus geheiratet. Diese so ähnlich gearteten Todesfälle hatten Diskussionen über die Gefährlichkeit der Tristan-Partitur befeuert, die bereits nach dem plötzlichen Tod des ersten Tristan-Interpreten, Ludwig Schnorr von Carolsfeld, bald nach der Uraufführung ihren Anfang nahmen.
Stefan Soltész starb dagegen beim Dirigat einer Komödie, makabrerweise gibt es aber in der Chronik der Bayerischen Staatsoper auch dafür eine Parallele. Am 30. Mai 1989 ereilte an gleicher Stelle den italienischen Dirigenten Giuseppe Patanè der Tod. Er leitete gerade eine Aufführung von Rossinis „Barbiere di Siviglia“.
Das Münchner Nationaltheater hält damit einen traurigen Rekord. Gefeit vor ähnlichen dramatischen Ereignissen sind aber auch andere Opernhäuser nicht. Unvergessen ist der Fall des italienischen Dirigenten und Komponisten Giuseppe Sinopoli, den der Tod während einer „Aida“-Aufführung an der Deutschen Oper Berlin am 20. April 2001 ereilte. Gerade diese Aufführung sollte eigentlich die Versöhnung des Dirigenten mit dem Opernhaus besiegeln, das er davor im Unfrieden verlassen hatte.
So bedauerlich und dramatisch diese Vorfälle auch alle waren, und so sehr die Musikwelt durch diese zu frühen Tode einen Verlust erlitten hat, sollte man sich doch vor einer Mystifizierung oder Verklärung der Umstände hüten. Weder bedeutet es für einen Dirigenten eine Erfüllung, beim Musizieren zu sterben, noch sollte man die Fälle Mottl und Keilberth als Indiz für die Todesnähe der Tristan-Musik werten. Es bleiben bedauerliche Einzelfälle, und dabei bleibt es hoffentlich wieder für längere Zeit!
Peter Sommeregger, 27. Juli 2022, für
klassik- begeistert.de und klassik-begeistert.at
Sommereggers Klassikwelt (c) erscheint jeden Mittwoch.
Der gebürtige Wiener Peter Sommeregger (Jahrgang 1946) besuchte das Humanistische Gymnasium. Er wuchs im 9. Gemeindebezirk auf, ganz in der Nähe von Franz Schuberts Geburtshaus. Schon vor der Einschulung verzauberte ihn an der Wiener Staatsoper Mozarts „Zauberflöte“ und Webers „Freischütz“ – die Oper wurde die Liebe seines Lebens. Mit 19 Jahren zog der gelernte Buchhändler nach München, auch dort wieder Oper, Konzert und wieder Oper. Peter kennt alle wichtigen Spielstätten wie die in Paris, Barcelona, Madrid, Verona, Wien und die New Yorker Met. Er hat alles singen und dirigieren gehört, was Rang und Namen hatte und hat – von Maria Callas und Herbert von Karajan bis zu Riccardo Muti und Anna Netrebko. Seit 26 Jahren lebt Peter in Berlin-Weißensee – in der deutschen Hauptstadt gibt es ja gleich drei Opernhäuser, die er auch kritisch rezensiert: u.a. für das Magazin ORPHEUS – Oper und mehr. Buchveröffentlichungen: „‘Wir Künstler sind andere Naturen’. Das Leben der Sächsischen Hofopernsängerin Margarethe Siems“ und „Die drei Leben der Jetty Treffz – der ersten Frau des Walzerkönigs“. Peter ist seit 2018 Autor bei klassik-begeistert.de.
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Ich sah und hörte meinen ersten Parsifal in Bayreuth unter der wunderbaren Leitung von Giuseppe Sinopoli, den später im Jahre 2001 am Pult der Deutschen Oper Berlin ein gleiches Schicksal ereilte.
Johannes Capriolo