Tcherniakovs „Fliegender Holländer“ verliert sich im Gestrüpp kruder Umdeutungen

Blu-ray-Rezension: Richard Wagner  Der fliegende Holländer, Bayreuther Festspiele 2021 klassik-begeistert.de

Blu-ray-Rezension:

Richard Wagner
Der fliegende Holländer

Bayreuther Festspiele 2021

Deutsche Grammophon 00440 0736174

von Peter Sommeregger

Der international gefeierte russische Regisseur Dmitri Tcherniakov hat im letzten Jahr nun auch den Bayreuther Festspielen eine Inszenierung beschert, die handwerklich gut gearbeitet ist, aber leider in die Kategorie dekonstruktiver Regiearbeiten einzuordnen ist, die mittlerweile Mode geworden sind. Eine Mode allerdings, die von weiten Teilen des Publikums abgelehnt wird.

Schon die Illustration der Ouvertüre mit einer frei erfundenen Vorgeschichte der Handlung verstört mehr, als dass sie neue Erkenntnisse bringt. Die Verlegung des ersten Aktes in eine dröge Kneipe mit Plastikstühlen ist trotz guter Personenregie mehr eine Karikatur des Geschehens als eine Deutung. Der Regisseur huldigt dem unerfreulichen Trend der Banalisierung und Tilgung der Ästhetik. Hässlichkeit ist in Kleidung und Ambiente angesagt.

Der Chor der Spinnerinnen im zweiten Akt wird zu einer im Freien abgehaltenen Chorprobe umfunktioniert. Ab diesem Punkt schwenkt die Regie immer stärker ins Irrationale, verlässt zunehmend den vorgegebenen Verlauf der Handlung. Senta wird zu einer ziemlich penetranten Form des overacting gezwungen und muss dieser Linie bis zum Ende treu bleiben. Ein verhaltensauffälliger Teenager, mehr fällt dem Regisseur zu dieser zentralen Figur nicht ein.

Die Begegnung und das Duett mit dem Holländer, dramaturgischer Angelpunkt des Stückes, wird in den Rahmen eines spießbürgerlichen Abendessens im Hause Dalands heruntergekürzt, kleinbürgerliche Betulichkeit im tristen Reihenhaus nimmt dem Stück jede Größe und Bedeutung. Immer wieder lachen oder grinsen die Protagonisten an den unpassendsten Stellen, während sie von ernsten Dingen singen.

Der dritte Akt verlässt endgültig die Vorgaben Wagners. Der Holländer erschießt einige Matrosen, plötzlich taucht Mary mit einem Jagdgewehr auf und erschießt ihrerseits den Holländer.

Musikalisch ist die Bilanz dieser Aufführung sehr viel positiver. Als erste Frau am Bayreuther Dirigentenpult gelingt Oksana Lyniv ein spannendes, gleichzeitig umsichtiges Dirigat. In gewohnter Qualität erlebt man das Orchester der Festspiele und den punktgenau singenden Chor. Die Sängerbesetzung ist in Teilen herausragend gut. Asmik Grigorian debütiert als Senta am grünen Hügel und bringt für diese anspruchsvolle Rolle alles mit. Ihr großer, dabei doch lyrisch gebliebener Sopran bewältigt die schwierige Partie fast mühelos. Marina Prudenskaya ist eine Mary von Format. Der Steuermann Attilio Glasers verfügt über schönen Tenorschmelz und Kraft. Georg Zeppenfeld, Bayreuther Urgestein der Extraklasse, überzeugt auch als Daland mit weichem, aber kräftigem Bassbariton. Eric Cutler singt einen leidenschaftlichen, dabei höhensicheren und markanten Erik. Der Holländer John Lundgrens bleibt dagegen etwas blass, obwohl er ausgesprochen textverständlich singt.

Am Ende jubelt das Publikum, sogar Tcherniakov erhält überwiegend Applaus. Dass er es nicht fertigbringt, sich zu verbeugen, wenigstens den Kopf zu senken, ist peinlich. Wahrscheinlich ist es aber eher seiner Unsicherheit, als seiner Überheblichkeit geschuldet.

Quo vadis, Bayreuther Festspiele, muss man nach dieser Regiearbeit fragen. Eine neue Intendanz, von außerhalb der Familie Wagner, würde den Festspielen gut tun.

Peter Sommeregger, 10. September 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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