Teodor Currentzis und sein Utopia-Ensemble  in Berlin – Faszinierende Miniaturen

Orchester Utopia Teodor Currentzis, Dirigent  Philharmonie Berlin, 11. Oktober 2022

Foto: Teodor Currentzis © Liliya Olkhovaya

Orchester Utopia
Teodor Currentzis, Dirigent

Igor Strawinsky: Suite aus dem Ballett „Der Feuervogel“ (Fassung 1945)

Maurice Ravel: Suite Nr. 2 aus dem Ballett „Daphnis und Chloé“

Maurice Ravel:  La Valse

Philharmonie Berlin, 11. Oktober 2022

von Kirsten Liese

Wo immer Teodor Currentzis auftritt, ist der Rummel groß, aktuell aus politischen Gründen. Mit seinem Ensemble musicAeterna, das von russischen Banken finanziert wird, wurde er vielfach ausgeladen, die Konsequenzen hat er daraus gezogen, ein neues Utopia-Ensemble gegründet, das  finanziell, strukturell und organisatorisch völlig unabhängig ist von anderen Institutionen. Mehr gibt es von meiner Seite aus dazu nicht zu sagen. Ich verlange keine Gesinnungsprüfung von einem Künstler. Wenn Currentzis zu Putin nichts sagen will, sagt er eben nichts. Das sollte man ihm zugestehen, finde ich. Die Gedanken sind frei.

Der Musiker Currentzis interessiert mich dagegen sehr. Und der verblüffte mich bei seinem Auftritt in der Berliner Philharmonie, der letzten Tournee-Station nach Luxemburg, Hamburg und Wien.

Noch genau hatte ich in Erinnerung, wie der Grieche  vor einigen Jahren auf mich wirkte, als er bei den Berliner Philharmonikern mit dem Verdi-Requiem debütierte. Das klangliche Ergebnis war grandios, vom Auftreten her wirkte er allerdings zu exzentrisch.

Umso mehr staunte ich jetzt über die enorme Wandlung. Fast sah es so aus, als stünde da ein ganz anderer Mann, überhaupt nicht mehr exaltiert und überbordend in seiner Körpersprache, im Gegenteil, sehr kontrolliert wirkte er diesmal und gar nicht mehr so unruhig.

Präzise und minimalistisch sind seine Zeichen. Currentzis dirigiert ohne Taktstock, zeichnet filigran mit den Fingern Bilder in die Luft, formt die Musik mit der denkbar größten Plastizität.

Nicht nur das Programm erinnert mich mit Werken von Strawinsky und Ravel einmal wieder an Sergiu Celibidache. So hingebungsvoll und leidenschaftlich, wie der Grieche mit seinen Mitstreitern musiziert, habe ich das Gefühl, er trete auch als klanglicher kompromissloser Visionär in dessen Fußstapfen. Die russische Moderne des 20. Jahrhunderts und der französische Impressionismus waren Celibidaches Spezialität, und so klangfarbenreich Currentzis die Stücke angeht, kann er sich an dem rumänischen Maestro, der sich wie er über sein gesamtes Leben extrem von einem Feuerkopf zu einem Weisen wandelte, durchaus messen.

Das beginnt schon mit der magisch-leisen Poesie in Strawinskys Ballettmusik vom Feuervogel.  Zärtlich verträumt tönen  da die Melodien in Flöte und Klarinette, umflort von einem sanften Weben der Streicher, bis sich die Geschichte nahezu schockartig über den Auftritt des bösen Zauberers Katschei ins Dramatische wendet und mit dem Höllentanz endet, durch den der herbei gerufene Feuervogel den Bösewicht und seine Untertanen in die Erschöpfung treibt.

Was diese Wiedergabe so packend macht, sind zweifellos die besonderen Qualitäten dieses Orchesters, das sich ähnlich wie das Luzern Festival Orchester aus internationalen grandiosen Musikerinnen und Musikern rekrutiert, die beides in einem sind: jeder für sich ein einzigartiger Solist, und zugleich getragen von einem gemeinschaftlichen Geist des Aufeinander-Hörens. Mit von der Partie ist übrigens Sarah Willis, Hornistin bei den Berliner Philharmonikern.

Orchestermusik als erweiterte Kammermusik könnte man den Musizierstil dieses exquisiten Klangkörpers auch bezeichnen, der sich etwa auch damit auszeichnet, dass alle mit Ausnahme der tiefen Streicher und Harfen im Stehen spielen.  Dazu passt es, dass Currentzis am Ende eines jeden Stücks die Bläsersolisten nicht nur aufstehen lässt, sondern nach vorne an die Rampe holt.

Und noch etwas erinnert an das Luzern Festival Orchester: Hier wird in einer innigen Verbundenheit musiziert wie „unter Freunden“, was sich besonders am Ende zeigt, wenn sich zum tosenden Beifall Pultkollegen herzlich umarmen. Unweigerlich musste ich da an Igor Levit denken, den man gerade in einem Dokumentarfilm sehen kann, wie er in seinem großen Bedürfnis nach menschlicher Wärme Kollegen, Tonmeister und gute Bekannte nach Proben und Konzerten umarmt.

Ich halte das für einen sehr schönen Zug, gerade, weil durch die strengen Distanzregeln in Corona-Zeiten ein Stück Menschlichkeit auf der Strecke blieb.

Aber zurück noch einmal zum Konzert.

Nach der Pause erfüllt die Philharmonie französisches Parfum vom Feinsten, zunächst mit der sinfonischen Suite aus Daphnis und Chloé. Ungemein spannungsreich beginnt hier das morgendliche Erwachen der Natur mit einem Flimmern und Flirren wie aus dem Nichts. Versponnene Melodien in nuancierten farblichen Valeurs lösen sich daraus heraus, dann geht die Musik rauschhaft in einen ekstatischen Tanz über, den Utopia und Currentzis energetisch so voller Kraft angehen, dass auch mein Körper innerlich in Schwingung gerät.

Noch explosiver und rauschhafter  geht es in  La Valse zu, in den Ravel traumatische Erfahrungen vom Ersten Weltkrieg einbrachte und damit verbunden die apokalyptische Stimmung im Wien des späten 19. Jahrhunderts: Mit voller Wucht übersteigerten hier die Interpreten den Johann Straußschen Walzer ins fratzenhaft Grelle und überführten ihn damit in einen Totentanz, das hatte etwas Gespenstisches.

Ravels beliebtestes und bekanntestes Stück, den Bolero, gab es schließlich noch als Zugabe. Mit seinen vielen aufeinander folgenden Solo-Einsätzen aller Blasinstrumente zu dem immer gleichen markanten Rhythmus mutet es unweigerlich schon wie Kammermusik an, aber bei großen Orchesterkonzerten habe ich das noch nie so extrem empfunden wie dieses Mal. Jeder einzelne, vom Holz bis hin zu Hörnern, Trompeten und Saxophon musizierte da so nuanciert und makellos wie die Top-Solisten der Berliner und Wiener Philharmoniker.

Die stehenden Ovationen in der fast vollen Philharmonie waren ihnen dafür sicher. Bei alledem gefiel es mir an diesem Abend sehr, dass die keineswegs aufgesetzte Herzlichkeit, die sich unter den Musizierenden auf dem Podium vermittelte, auch dem Publikum zuteil wurde. Es drückte sich an ganz profanen Dingen aus: Anders als bei den üblichen Konzerten, bei denen Autofahrer Parkgebühren bis zu 20 Euro berappen müssen, war das Parken auf dem Gelände der Philharmonie an diesem Abend frei. Auch das Programmheft kostete nichts. Ein schöner, sympathischer Zug! War das nun Zufall oder gehörte das zum Konzept dazu?

Andere Konzertveranstalter dürfen sich daran ein Beispiel nehmen. Schon alleine aus Gründen des Selbsterhalts. Bei weiterhin steigenden Preisen können sich einen Konzertbesuch andernfalls bald immer weniger Menschen leisten, zumal solche, die auf das Auto angewiesen sind.

Kirsten Liese, 13. Oktober 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Utopia Teodor Currentzis, Dirigent Wiener Konzerthaus, 7. Oktober 2022

UTOPIA, Dirigent TEODOR CURRENTZIS Laeiszhalle, Hamburg, 5. Oktober 2022

musicAeterna, Teodor Currentzis  Salzburger Festspiele, Großes Festspielhaus, 17. August 2022

4 Gedanken zu „Orchester Utopia Teodor Currentzis, Dirigent
Philharmonie Berlin, 11. Oktober 2022“

  1. Oh oh oh, Frau Liese, Ihre einführenden Worte zu Teodor Currentzis musste ich mehrfach lesen, weil ich nicht glauben kann, was Sie da schreiben… Wie können Sie sich nur so unkritisch/unreflektiert mit Teodor Currentzis und damit auch mit den grausamen Schicksalen tausender unschuldiger Menschen auseinandersetzen… zumal noch vor ein paar Tagen Ihre Aufregung um ein paar Hasen auf der Bühne der Staatsoper Berlin keine Grenzen kannte… man musste regelrecht Angst um Sie haben und befürchten, Sie könnten einen Herzinfarkt bekommen…

    Mir fehlen die Worte!

    Gustavo Torlone

    1. Mir fehlen die Worte ob Ihres absurden Vergleichs. Herr Currentzis quält kein Wesen, er schweigt lediglich.
      Sie unterstellen ihm eine Schuld, die Sie nicht beweisen können. … Absurd!!! Auf der Bühne der Staatsoper geschieht etwas völlig anderes. Da werden Lebewesen REAL missbraucht, nicht gedanklich, sondern real. Was Herr Tcherniakov über Tiere denkt, ob er sie mag oder nicht, achtet oder nicht, kann ich ohnehin nicht wissen. Will ich auch gar nicht. So lange er ihnen kein Leid zufügt, wie er es nun aber nachweislich tut…
      Ihre Abgestumpftheit gegenüber den Kaninchen finde ich ekelhaft.

      Kirsten Liese

      1. Liebe Kerstin, Ihre Erwiderung und Ihre oberflächlichen Ausführungen im Currentzis-Artikel bestätigen nur, dass Ihnen die paar Hasen offensichtlich wichtiger zu sein scheinen als die Menschen in der Ukraine.
        Herzlichst.
        G.T.

        1. Sie kapieren es offenbar nicht oder wollen es nicht kapieren. Wie ich schon sagte: Ich messe die Menschen an ihren TATEN und nicht an Ihren WORTEN, die ohnehin oftmals trügerisch, berechnend und verlogen sind. Schaue ich mir das Heer an Opportunisten, Lügnern, Zeitgeist-Surfern und Speichelleckern an, ist mir ein Schweigender ehrlich gesagt lieber.

          Kirsten Liese

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert