Sommereggers Klassikwelt 156: Berthold Goldschmidt war noch eine späte zweite Karriere vergönnt

Sommereggers Klassikwelt 156: Berthold Goldschmidt  klassik-begeistert.de 19. Oktober 2022

von Peter Sommeregger

Der 1903 in eine jüdische Hamburger Kaufmannsfamilie geborene Berthold Goldschmidt gehört jener Generation von Komponisten an, deren Laufbahn durch das Nationalsozialistische Regime zumindest behindert, wenn nicht gar zerstört wurde, von jenen ganz zu schweigen, die auch ihr Leben verloren.

Mit 19 Jahren verließ Goldschmidt seine Heimatstadt, um an der Berliner Hochschule für Musik in die Kompositionsklasse Franz Schrekers aufgenommen zu werden. Ab 1925 war er an der Berliner Staatsoper als Korrepetitor unter Erich Kleiber angestellt und wirkte an der Vorbereitung der Uraufführung von Alban Bergs „Wozzeck“ mit, in der Premiere spielte er im Orchester die Celesta. Im gleichen Jahr erhielt er für seine ersten Kompositionen den begehrten Mendelssohn-Preis, der mit einem Stipendium verbunden war. Der Intendant Carl Ebert holte Goldschmidt als Dirigent an das Landestheater Detmold, wo auch die erste Oper des Komponisten, „Der gewaltige Hahnrei“, entstand, die 1932 mit großem Erfolg in Mannheim uraufgeführt wurde.

Als Ebert Generalintendant der Städtischen Oper Berlin wurde, nahm er Goldschmidt mit an das Haus. Die Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 setze beiden Karrieren aber ein rasches Ende, sie wurden beurlaubt, und Goldschmidt flüchtete sich ins Exil nach England, wo es sich für ihn sehr schwierig gestaltete, beruflich Fuß zu fassen. 1944 wurde ihm die Leitung der deutschen Sektion der BBC-Europawelle übertragen. Als Dirigent wirkte er auch bei den Festspielen von Glyndebourne und Edinburgh. 1947 wurde er schließlich britischer Staatsbürger. Es entstanden weitere Kompositionen, u.a. Solokonzerte für Cello, Klarinette und Violine.

Eine zweite Oper, „Beatrice Cenci“, erlebte ihre szenische Uraufführung erst im Jahr 1994. Goldschmidt litt unter der Missachtung, die er mit seiner Musik erlebte und verstummte als Komponist für viele Jahre. Ein Herzensprojekt in dieser Zeit war die Vollendung von Gustav Mahlers 10. Symphonie, die er zusammen mit dem Musikwissenschaftler Deryck Cook erstellte, die Uraufführung dieser Fassung dirigierte Goldschmidt 1964 selbst.

Erst ab 1982 begann er wieder zu komponieren, es entstanden einige Kammermusik-Werke und Orchesterlieder. In den 1980er Jahren entdeckten einige Dirigenten der jüngeren Generation wie Simon Rattle und Yakov Kreizberg den Komponisten für sich und führten Werke von ihm auf.

Auch die Plattenfirma DECCA begann sich für den Komponisten zu interessieren und spielte seine Oper „Der gewaltige Hahnrei“ für die Schallplatte ein. Im Alter von 90 Jahren erlebte Goldschmidt noch die Genugtuung, seine Werke endlich im Konzertsaal und auf Opernbühnen hören zu können. Mir ist eine Produktion des „Hahnreis“ an der Komischen Oper Berlin noch gut in Erinnerung, die äußerst erfolgreich gegeben wurde.

Als Berthold Goldschmidt am 17. Oktober 1996 in London im Alter von 93 Jahren starb, galt er bereits wieder als anerkannter Komponist- dessen Werke man bis heute aufführt.

Peter Sommeregger, 19. Oktober 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Sommereggers Klassikwelt (c) erscheint jeden Mittwoch.

Der gebürtige Wiener Peter Sommeregger (Jahrgang 1946) besuchte das Humanistische Gymnasium. Er wuchs im 9. Gemeindebezirk auf, ganz in der Nähe von Franz Schuberts Geburtshaus. Schon vor der Einschulung verzauberte ihn an der Wiener Staatsoper Mozarts „Zauberflöte“ und Webers „Freischütz“ – die Oper wurde die Liebe seines Lebens. Mit 19 Jahren zog der gelernte Buchhändler nach München, auch dort wieder Oper, Konzert und wieder Oper. Peter kennt alle wichtigen Spielstätten wie die in Paris, Barcelona, Madrid, Verona, Wien und die New Yorker Met. Er hat alles singen und dirigieren gehört, was Rang und Namen hatte und hat – von Maria Callas und Herbert von Karajan bis zu Riccardo Muti und Anna Netrebko. Seit 26 Jahren lebt Peter in Berlin-Weißensee – in der deutschen Hauptstadt gibt es ja gleich drei Opernhäuser, die er auch kritisch rezensiert: u.a. für das Magazin ORPHEUS – Oper und mehr. Buchveröffentlichungen: „‘Wir Künstler sind andere Naturen’. Das Leben der Sächsischen Hofopernsängerin Margarethe Siems“ und „Die drei Leben der Jetty Treffz – der ersten Frau des Walzerkönigs“. Peter ist seit 2018 Autor bei klassik-begeistert.de.

 

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