Foto: Jakub Hrůša © Andreas Herzau
Aufgrund der kalten Jahreszeit fühlt man sich manchmal in Thomas Manns „Zauberberg“ versetzt und vermeint im Wiener Musikverein einen Ausflug aus einer Lungenheilstätte. Was da gehustet und geschnäuzt wird, ist schon fast absonderlich. Natürlich verständlich, dass leicht angeschlagene Personen ein solches Konzert nicht verpassen wollen – aber etwas Disziplin täte ihnen und vor allem dem der Musik lauschenden Publikum doch ganz gut.
Antonín Dvořák: „Othello“ Konzertouvertüre, op. 93
Wolfgang Amadeus Mozart: Konzert für Klavier und Orchester in A-Dur, KV 488
Witold Lutosławski: Konzert für Orchester
Wiener Philharmoniker
Dirigent: Jakub Hrůša
Solist: Evgeny Kissin, Klavier
2. Soirée der Wiener Philharmoniker
Musikverein, Wien, am 30. November 2022
von Herbert Hiess
Aufgrund der kalten Jahreszeit fühlt man sich manchmal in Thomas Manns „Zauberberg“ versetzt und vermeint im Wiener Musikverein einen Ausflug aus einer Lungenheilstätte. Was da gehustet und geschnäuzt wird, ist schon fast absonderlich. Natürlich verständlich, dass leicht angeschlagene Personen ein solches Konzert nicht verpassen wollen – aber etwas Disziplin täte ihnen und vor allem dem der Musik lauschenden Publikum doch ganz gut.
Aber nun der Reihe nach! In der 2. Soirée der Wiener Philharmoniker konnte das Weltklasseorchester einen der besten jüngeren Maestri gewinnen; nämlich den Tschechen Jakub Hrůša. Mit dem äußerst begabten Dirigenten haben die Philharmoniker schon einige hervorragende Konzerte bestritten und mit diesem konnten die Musiker an die Erfolge nahtlos anknüpfen.
Zuerst ein Stück aus des Maestros Heimat, nämlich die Konzertouvertüre „Othello“ von Antonín Dvořák. Das eher sperrige und schwer zugängliche Werk gehört zur Triade der Konzertouvertüren; neben „Othello“ auch „In der Natur“ und vor allem die berühmte „Karnevalouvertüre“. In dieser „Othello“-Ouvertüre, die mit einem Blechbläserchoral beginnt, führt der Komponist durch Shakespeares Eifersuchtsdrama. Der Maestro und das Orchester sind da überwältigende Erzähler.
Danach kam der pianistische Weltstar Evgeny Kissin aufs Podium, der gemeinsam mit dem Orchester das berühmte A-Dur Klavierkonzert zelebrierte. Wunderbar und hochmusikalisch gespielt, wobei vielleicht beim Adagio vielleicht doch etwas Weltschmerz fehlte. Gerade dieser Satz in fis-moll sollte ein Gefühl von Einsamkeit und Trostlosigkeit vermitteln. Mit dem brillanten Finale kam dann der gerechtfertigte Jubel, den Kissin mit zwei Zugaben dankte. Irgendwie waren die Zugaben sogar die pianistischen Höhepunkte; zuerst der Des-Dur-Walzer („Minutenwalzer“) und Debussys „Clair de Lune“, wo man sich wirklich den schimmernden Mond vorstellen konnte. Traurig nur, dass einige indolente Personen Debussy fast „zerhusteten“.
Zum Finale präsentierte man ein äußerst selten gespieltes Werk; nämlich Witold Lutosławskis „Konzert für Orchester“. Der 1913 in Polen geborene Komponist ließ hier sein Klangbild hören, das von Richard Strauss über Gustav Mahler bis Alexander von Zemlinsky beeinflusst ist; der dritte Satz war dann offenbar Shostakowitsch gewidmet, was deutlich hörbar war.
Großartig die Wiener Philharmoniker und Jakub Hrůša, wobei der orchestrale Höhepunkt der zweite Satz (Vivace) war, der eine musikalische Champagnerparty war. Einzigartig, wie die Streicher und die Holzbläser gemeinsam mit dem Schlagwerk in filigranen Instrumentierungen durch den Satz wirbelten.
Der Finalsatz mit den ständigen Paukenschlägen und dem Choral erinnerten sofort an Shostakowitsch; trotzdem behielt hier Lutosławski seine Originalität.
Insgesamt ein hochinteressantes Werk, das nicht ganz zu Unrecht keinen ständigen Platz in den Orchesterrepertoires hat. Wenn es jedoch in einer solchen Konstellation (Orchester, Dirigent) wie an diesem Abend im Musikverein aufgeführt wird, ist es allemal ein Reißer.
Herbert Hiess, 1. Dezember 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Wiener Philharmoniker, Jakub Hrůša, Wiener Musikverein, 13. Juni 2021
Klavier-Festival Ruhr, Evgeny Kissin Essen, Philharmonie, 1. Juli 2022