Eine kritische Würdigung
von Peter Sommeregger
Wirklich überraschend kam die Meldung, Daniel Barenboim träte als Generalmusikdirektor der Staatsoper Unter den Linden, Berlin, mit dem 31. Januar 2023 zurück, nicht. Bereits vor der Verschlechterung seiner neurologischen Erkrankung meinte man bei dem Dirigenten eine gewisse Amtsmüdigkeit und schwindende Spannkraft zu spüren.
Eine Würdigung seiner dreißig Jahre währenden Tätigkeit an der Staatsoper kann daher nicht frei von kritischen Aspekten sein. Als er 1992 „durch Zufall frei“ war, griff das Nachwende-Berlin beherzt zu. Die neue „Berliner Republik“ schmückte sich gerne mit einem Generalmusikdirektor aus Buenos Aires.
Was Barenboim dem Berliner Opernpublikum in reichem Maße bescherte, waren Wagner-Premieren. Die zehn wichtigsten Werke des Komponisten wurden über die Jahre bis zu dreimal neu inszeniert, zumeist von wenig überzeugenden Regisseuren. Nicht weniger als drei Versionen des „Ring des Nibelungen“ konnte man am Haus erleben, der vorletzte wurde bereits nach relativ kurzer Zeit ersetzt, so schlecht war er ausgefallen. Wichtige Ressourcen des Hauses wurden so ohne Not verbraucht. Barenboims persönliche Eitelkeit hat über die Jahre das Opernhaus mehr gekostet, als gebracht.
Bei der unabdingbar gewordenen Generalsanierung des Hauses setzte er eine Anhebung der Decke durch, die für geschulte Ohren tatsächlich eine kleine akustische Verbesserung brachte, die Schließzeit des Hauses aber erheblich verlängerte und vor allem eine immense Kostensteigerung bewirkte.
Das Repertoire des Hauses schrumpfte in Barenboims Jahren, auch vermisste man interessante Dirigenten, da sollte wohl niemand den Meister überstrahlen. Die Wahl der Intendanten während der Ära Barenboim war bezeichnend. Weder der biedere Georg Quander, noch der glücklose Peter Mussbach konnten sich gegen Barenboim behaupten, erst Jürgen Flimm konnte einige Akzente in Barenboims Sinn setzen. Der gegenwärtige, aber bald scheidende Matthias Schulz war wohl auch in erster Linie Diener seines Herrn. Mit dem teilt er ein Faible für mediokre Regisseure, was dem Haus eine unterirdische „Zauberflöte“ und einen geradezu peinlichen Da-Ponte-Zyklus bescherte.
Mit Barenboims Abgang enden hoffentlich auch die jährlichen „Festtage“ der Staatsoper, die Höhepunkte des Repertoires, meist auch eine Premiere und flankierende Konzerte zu obszön hohen Preisen beinhalteten, deren Zielgruppe rätselhaft blieb.
Ein weiteres, nicht unbedingt positives Kapitel stellt die Entstehungsgeschichte der Barenboim-Said-Stiftung und der Bau des Pierre-Boulez-Saales dar. Nichts gegen philanthropische Projekte dieser Art, aber die Finanzierung, angeschoben durch die Staatsminister Neumann und Grütters, geht zu Lasten der Steuerzahler. Und den Pierre-Boulez-Saal hat in dieser Stadt wirklich niemand gebraucht, die Kapazitäten der Berliner Konzertsäle wurden auch schon vor der Fertigstellung dieses Saales nicht komplett genutzt.
Das Orchester der Staatsoper, die Staatskapelle Berlin, hat mit Sicherheit von der langjährigen Erfahrung des Dirigenten profitiert. Er hat sie auf ausgedehnte Tourneen mitgenommen, dabei auch immer wieder versucht, sie als Symphonieorchester zu etablieren, was aber nicht vollständig gelang.
Man kann heute das Phänomen beobachten, dass die Leistung von Künstlern nach deren Bekanntheit und Nimbus beurteilt wird. Haben die Medien ein solches Image erst einmal aufgebaut, wird es von den weniger urteilsfähigen Hörern bedingungslos weiterverbreitet. Der Ruhm Daniel Barenboims entstand nicht zuletzt durch die Lobpreisungen der Politik und unbedarfter Medien. Der kritische Hörer haderte schon lange mit den Dirigaten Barenboims, die auch zunehmend beliebiger nach Tagesform ausfielen. Seine Mozart-Interpretationen der jüngsten Zeit fielen erschütternd schlecht aus, der feurige Mozart-Interpret junger Jahre war nicht wieder zu erkennen.
Es werden wieder die Medien sein, die Barenboims unumgängliche Entscheidung bedauern werden. Auch die bei jeder Premiere hinter einer Kordel vom gemeinen Publikum getrennte Spitze der Berliner Gesellschaft wird beim Gratis-Snack bedauernde Worte finden. Der Berliner Kultursenator Lederer zeigte sich in einer Mitteilung „überzeugt, dass Daniel Barenboim die richtige Entscheidung getroffen hat“. Das klingt schon nüchterner und kommt der Wahrheit sehr viel näher. Man wünscht Daniel Barenboim natürlich eine Besserung seines Gesundheitszustandes, dass er sein Amt nun doch nicht auf Lebenszeit ausübt, ist aber für alle Seiten beruhigend.
Peter Sommeregger, 6. Januar 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Wiener Philharmoniker, Daniel Barenboim Salzburger Festspiele, Großes Festspielhaus, 20. August 2022
West-Eastern Divan Orchestra, Daniel Barenboim Salzburger Festspiele, 10. und 11. August 2022
Lieber Herr Sommeregger,
da lassen sie ja kein gutes Haar an Daniel Barenboim. Ob zu recht oder unrecht, tu ich mir schwer zu beurteilen. Bis auf seine Beethoven Klaviersonaten verbindet mich wenig mit ihm. Die haben mich aber schon seit jeher überzeugt.
Es war ein unvergessliches Erlebnis, den mittlerweile doch schon sichtlich gezeichneten Daniel Barenboim im Musikverein Wien noch live am Klavier zu erleben. Im Mai 2021 war das. Wie er das noch alles schaffen würde, wollte ich von ihm wissen. Staatskapelle Berlin, West Eastern Divan Orchester und dann noch Klavier spielen. „Wissen sie“, hat er mir plötzlich ganz tief in die Augen gesehen, nachdem er zuvor noch etwas abwesend nebenbei Autogramme gezeichnet hat, „Ich weiß es selbst nicht – manchmal spiele ich monatelang kein Klavier“. Dennoch war es ein großer Moment. Niemals werde ich das vergessen. Auch wenn da technisch nicht mehr alles ganz so locker von den Finger gelaufen ist, den Ausdruck, die Musikalität, die Phrasierung, das hat mich schon schwer beeindruckt. Ein großer Beethoven-Pianist! Als solcher wird er mir immer in Erinnerung bleiben.
Liebe Grüße
Jürgen Pathy
Sehr geehrter Herr Pathy,
das mag so sein – ich kann und will das nicht beurteilen – dass Daniel Barenboim ein bedeutender Pianist ist.
Nur hat Peter Sommeregger vor allem über den Generalmusikdirektor Barenboim geschrieben. Ich hatte beim Lesen den Eindruck, dass er ohne Schaum vor dem Mund, sondern nüchtern dargelegt hat, dass nicht alles Gold war, was glänzt. Im Gegensatz zu mancher Heiligsprechung von Barenboim hier auf dieser Seite, empfand ich die Beschreibung als wohltuend sachlich, wenn auch wenig schmeichelhaft. Auch das muss Musikkritik leisten.
Prof. Karl Rathgeber