Fotos: DIDO AND AENEAS … ERWARTUNG 2022 © Bernd Uhlig
An diesem Abend wird Henry Purcells erstes vollständiges Bühnenwerk aufgeführt. Das einzige, dass er selbst mit „an opera“ untertitelte: Dido and Aeneas. Kombiniert wird dieses Werk mit gleich zwei anderen. Zum einen „Erwartung“ von Arnold Schönberg. Zum anderen werden die beiden genannten Stücke durch ein Interlude verbunden. Dieses hat Paweł Mykietyn speziell für diese Produktion komponiert.
DIDO AND AENEAS … ERWARTUNG
Oper in drei Akten / Monodram in einem Akt (1688/89; 1909) mit einem Interlude von Paweł Mykietyn
empfohlen ab 14 Jahren
#BSOdido
Komponist Henry Purcell / Arnold Schönberg.
In englischer und deutscher Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln. Neuproduktion.
Bayerisches Staatsorchester
Zusatzchor der Bayerischen Staatsoper
Andrew Manze, Dirigent
Nationaltheater, München, 29. Januar 2023
von Frank Heublein
An diesem Abend wird Henry Purcells erstes vollständiges Bühnenwerk aufgeführt. Das einzige, dass er selbst mit „an opera“ untertitelte: Dido and Aeneas. Kombiniert wird dieses Werk mit gleich zwei anderen. Zum einen „Erwartung“ von Arnold Schönberg. Zum anderen werden die beiden genannten Stücke durch ein Interlude verbunden. Dieses hat Paweł Mykietyn speziell für diese Produktion komponiert.
Musikalisch ist es ein sehr abwechslungsreicher Abend. Purcell ist Barock, das Interlude elektronische Breakdance Musik und Schönberg zwar tonal aber expressionistisch. Mir kommt die Analogie der Küche in den Sinn: Fusion Oper. Das meine ich anerkennend, nicht abwertend.
Dirigent Andrew Manze gibt sein Debut an der Bayerischen Staatsoper. Innerhalb einer Aufführung von Barock auf Expressionismus umschalten. Keine geringe Herausforderung. Die Steuerung und Führung des Bayerischen Staatsorchesters gelingt dem Briten am Pult exzellent. In beiden Stücken kommt aus dem Graben konzentrierter spannungsgeladener aber völlig unterschiedlich musikalisch organisierter Klang. Akzentuiert bei Purcell. Nervös schillernd, aufbäumend, nach Atem schöpfend bei Schönberg. Das Bayerische Staatsorchester wie auch der Chor sind an diesem Abend eine sichere Bank meines musikalischen Wohlfühlens.
Sopran Aušrinė Stundytė singt sowohl die weibliche Hauptrolle in Purcells Dido als auch die Frau in Schönbergs etwa dreißig minütigem Solo „Erwartung“. Bei Schönberg bin ich emotionaler viel näher an ihr dran. Warum?
Die Inszenierung Warlikowskis trägt für mich insgesamt emotional situativ nur wenig bei, um die Musik, den Gesang zu verdichten. Bei Schönberg funktioniert die Inszenierung deutlich besser. Auf der Videoleinwand sehe ich die ganze Zeit Stundytės liegenden Kopf mit Fokusausschnitt auf die Augen. Die Parallelität des Gesangs und den Augen, in die ich die gesungene Erwartung hineininterpretiere. „Erwartung“ ist ein emotionaler Musikvulkan. Pulsend das Orchester, der Sopran, von Forte zu Piano, eine Generalpause und wieder zurück ins Forte. An den Nerven rüttelnder Expressionismus. Die Frau sucht ihren Geliebten. Findet seine Leiche (interpretiere ich). Unterstellt ihm Fremdgehen. Kann nicht von ihm lassen: „Was soll ich allein hier tun?… In diesem endlosen Leben… in diesem Traum ohne Grenzen und Farben… denn meine Grenze war der Ort, an dem Du warst… und alle Farben der Welt brachen aus deinen Augen“. Stundytė singt die ganze Erwartung dramatisch dicht, eindringlich unter Hochspannung. Die zitierten Sätze sind emotionale Offenbarung, die mich ins Mark treffen, gerade durch Stundytės emotionale Verzweiflung, die sie in ihrem Gesang für mich hör- und spürbar macht.
Stundytės Dido bleibt mir ferner. Didos Lamento ist ein Highlight der frühen Operngeschichte. Womöglich ist meine Erwartung einfach zu groß. Der Moment erwischt mich nicht in der vorgestellten Intensität. Erst im Schlusschor gelingt mir die vollkommene emotionale Fokussierung. Es ist die stärkste Szene, in der die Inszenierung für mich funktioniert, mir den Moment intensiviert und näherbringt. Die Videoleinwand zeigt die Nahaufnahme des Abschieds des Gefolges von Dido in Großaufnahme. Die Trauer des Gesangs des nicht auf der Bühne stehenden Chors wird doppelt sichtbar.
Stimmlich beeindruckt mich Sopran Victoria Randem als Belinda. Klarheit, Präsenz, Kraft. Countertenor Key’mon Murrah als Sorceress hat eine strahlende reine Stimme. Doch höre ab und zu ich eine Nuance zu viel romantische Wucht, die meiner Vorstellung der perfekten barocken Klar- und Reinheit des Gesangs zuwiderläuft.
Die Regie macht es den Paar Dido und Aeneas schwer. Dido und Aeneas kommunizieren, spielen kaum miteinander auf der Bühne. Entsprechend unklar bleibt mir die Schwere, die in der Entscheidung Aeneas liegt, Dido und Karthago zu verlassen. Eine Campingszenerie, die beide Figuren nicht in Beziehung setzt, die mich die Tiefe der Verzweiflung erfahren lassen würde, die diese Entscheidung Aeneas für Dido bedeutet.
Die Inszenierung, Kostüm- und Raumgestaltung, die hintere Wand im schwarz-weißem Video-Wald mit Personen mit leuchtenden Augen. All das verdichtet Didos Pein für mich nicht. Der Chor, fulminant kräftig, steht mit im Orchestergraben, nicht auf der Bühne, trägt zum handelnden Spiel nicht bei.
Für das Interlude komponiert Paweł Mykietyn elektronische Breakdance Musik. Beeindruckende Tänzer und Tänzerinnen vor einem Tunnel, dessen am Ende verheißendes Licht nie näherkommt. Ein für sich gesehen überzeugendes sehr cooles Interlude. Sowohl in den tänzerischen Soli also auch in den Ensemblemomenten.
Jedoch gelingt für mich nicht, die Teile in ein großes Ganzes zusammenzufügen. Für mich bleiben es Teile, die wenig miteinander zu tun haben. Das Regiekonzept eines Gesamtabends, in dem enttäuschte Erwartung die Klammer ist, erkenne ich intellektuell. Emotional funktioniert für mich diese Klammer nicht, lässt mich die Realisierung des Konzeptes ziemlich kalt.
Worauf ich mich sehr gefreut habe, meine Erwartung und meine Vorkenntnis am größten waren, bei Dido and Aeneas stellt sich am Ende Enttäuschung ein. Doch „mein“ Abend steigert sich. Das getanzte Interlude ist neuer Style, der mit dem traditionellen klassischen Operngedanken bricht. Sehr gelungen wie ich finde. Schönbergs Erwartung ist eine Entdeckung für mich. Überbordende packende Dramatik pur. Hier lebe und leide ich mit, mit jeder Faser meines Körpers. So mag ich Oper.
Frank Heublein, 30. Januar 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Besetzung:
Musikalische Leitung – Andrew Manze
Inszenierung – Krzysztof Warlikowski
Bühne und Kostüme – Małgorzata Szczęśniak
Licht – Felice Ross
Dramaturgie – Christian Longchamp, Katharina Ortmann
Dido / Eine Frau – Aušrinė Stundytė
Aeneas – Günter Papendell
Belinda – Victoria Randem
Venus – Rinat Shaham
Sorceress – Key’mon Murrah
First Witch – Elmira Karakhanova
Bayerisches Staatsorchester
Zusatzchor der Bayerischen Staatsoper
Henry Purcell, Dido und Aeneas, Bolschoi-Theater Moskau, 12. März 2020