Musikalische Höhenflüge in Moskau: Purcells „Dido und Aeneas“ im Bolschoi-Theater

Henry Purcell, Dido und Aeneas,  Bolschoi-Theater Moskau, 12. März 2020

Foto: Ekaterina Sherbachenko (Zweite Frau), Anna Goryachova (Dido) und Jacques Imbrailo (Aeneas), Copyright Damir Yusupov

Bolschoi- Theater Moskau, Neue Bühne, 12. März 2020
Henry Purcell, Dido und Aeneas

von Lukas Baake

Während die meisten Konzert- und Opernhäuser in Deutschland, Österreich und Deutschland auf unbestimmte Zeit wegen des Coronavirus geschlossen bleiben, kann man sich in Moskau noch an den Perlen des russischen Kulturlebens erfreuen. Dazu zählt auch Vincent Huguets träumerische Inszenierung von Purcells zeitlosem „Dido und Aeneas“, die im Bolschoi-Theater wiederaufgenommen wurde und vor allem ein Triumph von Orchester und Dirigent wurde.

Opernbesucher, denen das Werk von Purcell vertraut ist, wurden gleich zu Beginn der Aufführung mit einer Überraschung konfrontiert: Anstelle der wunderschönen, lyrischen und gleichzeitig den Schmerz und Leid vorwegnehmenden Ouvertüre begann die Aufführung mit einem mehrminütigen Monolog einer aus Zypern stammenden Frau (gespielt von Seseg Khapasova). Der Text, von der französischen Schriftstellerin Maylis de Kerangal verfasst und in russischer Übersetzung vorgetragen, übernahm eine narrative Funktion und führte in Hintergrund und Vorgeschichte der Handlung ein, die sich in der folgenden Stunde auf der Bühne abspielte.

Dieses Versatzstück, das den einzig wirklich brachialen Eingriff in die Dramaturgie der Oper durch den Regisseur Vincent Huguet darstellte, ergibt durchaus Sinn mit Blick auf das oft lakonisch wirkende Libretto, das die gesamte Handlung in sehr geraffter Form darstellt. Allerdings wirkte die orientalisierte Inszenierung dieser Szene eher inkohärent und deplatziert; auch der Sprachduktus der russischen Übersetzung wusste sich nicht in die englischsprachige Oper und in die mediterrane Umgebung der Handlung einzufügen.

Christopher Moulds. Foto: Linda Lemmen

Nach diesem irritierenden Intermezzo folgte das, was wirklich zählt: die Musik. Es zeigte sich schnell, wer der unbestrittene Leistungsträger des insgesamt gelungenen Opernabends war: der britische Dirigent Christopher Moulds, ein großer Kenner des barocken Repertoires, und die Musiker des hauseigenen Orchesters. Die teils zarten, teils wütend auftrumpfenden Klänge, die aus dem Orchestergraben in den Zuschauerraum flossen, überzeugten durch Wärme, Energie, Leidenschaft und Gefühl. Und wer das Glück hatte, das energische und gleichzeitig umsichtige Dirigat von Moulds von den Rängen aus beobachten zu können, geriet schnell in Versuchung, das Geschehen auf der Bühne zu vergessen.

Dass dies nicht passierte, lag auch daran, dass das geniale Dirigat von Moulds den idealen Hintergrund bot, vor dem sich das Sängerensemble zu Höchstleistungen steigern konnte. Besonders stachen die beiden Hauptrollen, verkörpert von dem südafrikanische Bariton Jacques Imbrailo als Aeneas und von der russischen Mezzospranistin Anna Goryachova als Dido, hervor. Als ungleiches Paar, dessen kurz währende Liebe an Verrat, Intrigen und göttlicher Pflicht scheitert und mit dem Tod endet, gelang es Ihnen schnell, sich in das Herz des Publikums zu singen.

Jacques Imbrailo brilliert als Aeneas. Copyright Damir Yusupov

Dabei bestach vor allem die hoch emotionale Darbietung des letzten Akts, in dem Goryachova es vermochte, mit ihrem strahlendem Sopran Agonie und Leid in einem ergreifenden Schwanengesang zum Ausdruck zu bringen („When I am laid in earth“). Auch Imrailo gelang es, seine Rolle mit seinem reifen und warmen Bariton authentisch zu verkörpern und damit an die herausragende sängerische und schauspielerische Leistung seiner Kollegin anzuknüpfen. Der ausgiebige Applaus des Moskauer Publikums war mehr als gerechtfertigt.

Die Inszenierung von Vincent Huguet, der seine Karriere als Assistent von Patrice Chéreau begann und in den letzten Jahren in den großen Opernhäusern der Welt inszenieren durfte, fiel vor allem durch Zurückhaltung auf: Abgesehen von dem zu Beginn eingefügten Monolog inszeniert Huguet ganz im Dienste des Werkes: unprätentiös, dezent, allerdings stets mit dem Auge für das Bild und die Konstellation der Figuren. Keine symbolisch überladenen Bühnenbilder und keine gezielt provozierenden Gesten lenkten den Blick von der Essenz des Werkes ab.

Insgesamt wurde den Besuchern eine gelungene Aufführung in einem der schönsten Opernhäuser Europas geboten. Während der Opernliebhaber in Deutschland vor verschlossenen Türen steht, darf er in Moskau noch an musikalischen Höhenflügen teilhaben. Danke!

Lukas Baake, 12. März 2020, für
klassik-begeistert.de.

Musikalische Leitung, Christopher Moulds
Regisseur, Vincent Huguet

Frau aus Zypern, Seseg Khapsasova
Dido, Anna Goryachova
Aeneas, Jacques Imbrailo
Belinda, Guyel Sharipova
Zweite Frau, Ekaterina Shcherbachenko
Erste Hexe, Anna Semenyuk
Zweite Hexe, Mara Barakova
Erster Segler, Konstantin Artemiev

 

 

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