Eine kammermusikalische Familie und ein Weltstar im 2. Cello:
Sol Gabetta und das Hagen Quartett zu Gast in der Elbphilharmonie
Elbphilharmonie Hamburg, Großer Saal, 10. April 2018
Sol Gabetta & Hagen Quartett
Lukas Hagen: Violine
Rainer Schmidt: Violine
Veronika Hagen: Viola
Clemens Hagen: Violoncello
Sol Gabetta: Violoncello
Ludwig van Beethoven: Streichquartett D-Dur op. 18, Nr.3
Anton Webern: Sechs Bagatellen für Streichquartett op.9
Franz Schubert: Streichquintett C-Dur D 956
von Ricarda Ott
Wer an diesem Abend im Programmheft nach solistischem Repertoire suchte, ganz in der Annahme, einen Weltstar wie die Cellistin Sol Gabetta als Solistin erleben zu dürfen, suchte vergeblich. Der Abend stand ganz im Zeichen kammermusikalischer Ensemblemusik, von Sol Gabetta und den Musikern des Hagen Quartetts gleichsam wunderbar interpretiert.
War es nun die zurückhaltende Selbstverständlichkeit, mit der Sol Gabetta inmitten der Hagen-Geschwister und Rainer Schmidt nach der Pause die Bühne betrat und den Platz des 2. Violoncellos einnahm oder doch die Tatsache, dass es sich hier um eine weltberühmte Künstlerin handelt, der in Anerkennung ihrer herausragenden künstlerischen Aktivitäten jüngst der Herbert von Karajan-Preis 2018 verliehen wurde: vor den ersten Takten des Streichquintetts C-Dur von Franz Schubert legte sich eine gespannte Stille über den an diesem Abend insgesamt leider ziemlich unruhigen Großen Saal.
Begonnen hatte der Abend allerdings mit Musik eines anderen großen Komponisten – mit Ludwig van Beethovens 3. Streichquartett (1798 – 99). Bereits mit den ersten Takten des noch sehr an die Vorbilder Haydn und Mozart angelehnten Werks zeigten die Musiker des renommierten Hagen Quartetts, ein ehemals ausschließlich aus Geschwistern bestehendes Ensemble, ihre Qualität und ihre profunde Erfahrung.
Präzise Intonation, ein organisches Zusammenspiel mit gutem Timing und die nötige technische Versiertheit ließen die unterschiedlichen Charakterfacetten des Werkes funkeln. Darüber hinaus bestach immer wieder der volle, samtige Klang der Instrumente (Lukas Hagen spielt eine Stradivari-Geige aus dem Jahr 1734), sowohl innerhalb einer solistischen Phrase als auch im Kollektiv.
Anton Weberns Sechs Bagatellen op. 9 (1911 – 13) wehten anschließend wie ein sachter Windstoß durch den Saal, inspirierend, luftig und kaum greifbar. Es ist laut Webern „vielleicht das Kürzeste, was es in der Musik bisher gegeben hat“: ein musikalisches Konzentrat, Minimales ohne Nebensächliches.
Das Hagen Quartett interpretierte diesen musikalischen Luftzug geheimnisvoll, behutsam und forderte vom Zuhörer maximale Aufmerksamkeit. Nicht nur weil das Stück so schnell vorbei und dabei so dicht konzentriert und komplex ist, sondern weil es so fragil und intim ist – und an diesem Abend im Großen Saal kolossal unterging.
Zu weitläufig zeigte sich hierfür der immer wieder beeindruckende Raum, zu distanziert das lauschende Ohr von Bogen und Saite und zu unruhig und fahrig das Publikum – stur wurde zwischen jedem (!) einzelnen Satz an diesem Abend geklatscht.
Schade, hier geht die programmatische Planung des Abends nicht ganz auf, hier wäre der Kleine Saal passender gewesen.
Franz Schuberts einziges Streichquintett schien sich anschließend als finaler Paukenschlag des Abends allein schon aufgrund der bemerkenswerten Länge von knapp 60 Minuten problemlos im Saal behaupten zu können. Das nur zwei Monate vor dem verfrühten Tod des Ausnahmekomponisten im Herbst 1828 entstandene Werk ist kammermusikalisch, ja gesamtkompositorisch eine Meisterleistung.
In seiner expressiven Ausdruckswelt, dem Spektrum von herzzerreißend schönen Melodien und trostlos-gebrochenem Schreiten, scheint der fantasievolle und doch in dieser Zeit schon in Zuversicht und Hoffnung gebrochene Geist des Komponisten durchzuschimmern.
Deutlich wurde das sogleich im Kopfsatz, als aus vollen, harmonisch unsteten Akkorden eine Kantilene in den beiden Celli aufblühte: Sol Gabetta auf einem geliehenen Cello von Matteo Goffriller (1730, Venedig) und Clemens Hagen spielten ungemein gefühlvoll diese zarte Melodie, diesen feinen Hoffnungsschimmer. Schnell wechselte dann jäh die Klangwelt, und schon wurde Schuberts Talent der strukturellen Gliederung, der kontrastierenden und doch einander beeinflussenden Abschnitte deutlich.
Kontrastreich auch der 2., in dreiteiliger Liedform gehaltene Satz: Anfangs- und Schlussteil erinnern in ruhig schreitendem Charakter, den pochenden pizzicati-Episoden und den durch Generalpausen durchsetzen Akkorden an ein immer müder werdendes, immer schwächer schlagendes menschliches Herz, während im Mittelteil Verzweiflung und Schmerz jene unerfüllten Hoffnungen Schuberts eruptiv zu entladen scheinen.
Die fünf Musiker schienen diese musikalischen Empfindungen am eigenen Leib zu spüren: die Klänge ihrer Instrumente reflektierten sowohl Schwermütigkeit als auch kraftvolle Verzweiflung ohne jedoch zu massig und breit zu wirken.
Auch im anschließenden beschwingten Presto mit einem andächtigen, choralartigen Trioeinschub schafften es die Musiker, die verschiedenen musikalischen Stimmungen wiederzugeben: technisch virtuos und mit präziser rhythmischer Abstimmung.
Im volkstümlich-tänzelnden Finale findet ein insgesamt ungemein klangschönes und wirkungsvolles Meisterwerk der Romantik seinen Abschluss – ein Werk, das an diesem Abend überzeugend sensibel und facettenreich von den Musikern interpretiert wurde. Einzig und alleine die fehlende Konzentration im Publikum und die Wahl des Aufführungsortes dürften Anregung zur Diskussion geben.
Ricarda Ott, 11. April 2018, für
klassik-begeistert.de