David Robertson © photographed in New York City by Chris Lee, 12/13/17.
Im Gewandhaus Leipzig wird ein Klassiker der romantischen Violinkonzerte einem Kleinod der Minimal Music entgegengestellt. David Robertson dirigiert diese fulminant revolutionären Werke zu Seiten des Violinisten Christian Tetzlaff – ein Erfolg mit Abstrichen, der sich implizit der Frage nach der Zukunft der klassischen Musik stellt.
Ludwig van Beethoven
Konzert für Violine und Orchester D-Dur op. 61
John Adams
Harmonielehre
David Robertson, Dirigent
Gewandhausorchester Leipzig
Gewandhaus Leipzig, 16. Februar 2023
von Leander Bull
So manchem Klassikbegeisterten stößt die Frage nach der Zukunft der klassischen Musik leider übel auf. Oft wird einem unterschwellig der Vorwurf gemacht, die Begeisterung für eine solche Kunst sei nichts weiter als ein krampfhaftes Festhalten alter Formen, die längst überlebt seien. Trotz der Kurzsichtigkeit solcher Vorwürfe wird einem nicht selten bange, wenn man sich die Frage stellt, wo dieses Medium in Zeiten digitaler Neurosen und beschleunigter Banalisierung noch einen Unterschlupf finden wird.
Diesem Thema stellt sich implizit eine neue Vorstellung in der Reihe der „Großen Concerte“ im Leipziger Gewandhaus. Zusammen mit dem Gewandhausorchester atmet der amerikanische Dirigent David Robertson hier nicht nur einem der größten Klassiker der Musikgeschichte, Beethovens einzigem vollendeten Violinkonzert, neues Leben ein, sondern ebenfalls einer weniger bekannten Komposition: die Harmonielehre des amerikanischen Komponisten John Adams. Die Verbindung eines der großen Meisterwerke der romantischen Musik mit einem zugegeben schwierigen Werk der Minimal Music ist allein in dieser Konstellation fast schon als Aussage zu werten – und regt zum Nachdenken an.
Der Beethoven dieses Abends befindet sich, so viel sei direkt verraten, in Spitzenform. Christian Tetzlaff steht als Solist an der Violine dem Dirigenten und dem Orchester zur Seite, wobei sich alle drei in herrlichem Einklang befinden. Sobald die Paukenschläge zu Beginn erklingen, erwartet man bereits sehnsüchtig den Einsatz der Violine, doch obwohl diese Komposition einen musikalischen Doppelpunkt nach dem anderen setzt, ertönt sie erst nach einigen Minuten. Trotz unzähligem Hören dieses Werks ist es immer wieder ergreifend, sogar unerwartet, zu hören, wie das Instrument langsam aus den Tiefen des Orchesterklangs emporsteigt.
Gewiss nimmt Tetzlaff sich in seiner Interpretation einige Freiheiten. Er spielt die Partie mit einer aufbrausenden, zum Teil wirklich schroffen Leidenschaft, doch immer bleibt er spielerisch. Auch die zarten Momente dieses Stücks werden von ihm konstant zum Leuchten gebracht, teils spielt er so leise, dass man meint, dieses Stück in seiner delikaten Feinheit eigentlich kaum noch zu ertragen. Perfekt kombiniert sich diese Qualität mit Robertsons Dirigat, der besonders im ersten Satz eine unglaubliche Sanftheit in den kleineren Momenten des Stücks erzeugen kann. Hier wird die Interpretation dem großen Romantiker Beethoven gerecht, der eben nicht nur der heroische Dramatiker ist, sondern immer auch unglaublich fein, zart und regelrecht lieblich komponiert, man denke nur an die Pastoral-Sinfonie. Nichts wird hier in einer plumpen Dramatik erstickt – wunderbar!
Umso bedauerlicher ist es, dass John Adams’ Harmonielehre, die den zweiten Teil des Abends füllt, oft in gerade solch einer Dramatik untergeht. Die ereignisdichte Komposition steckt voll solch einer komplexen Polyphonie – man sieht es bereits an dem unglaublich vielfältigen Schlagwerk, welches an diesem Abend auf der Bühne steht – sodass es gewiss schwer ist, ihr musikalisch in diesem reichen Stilpluralismus gerecht zu werden. Adams’ Werk wird oft der Minimal Music zugeordnet, doch minimal ist hier nichts. Besonders im ersten und dritten Satz dieser Komposition ist eine unglaublich reiche Fülle an Klangfarben zu finden, sodass es nicht leicht ist, die wunderbare Klarheit, die beim Beethoven dieses Abends zu hören ist, beizubehalten.
Zu oft spielt das Orchester donnernd laut, sodass die wunderbaren Feinheiten des Werks leider selten zur Geltung kommen. Der erste Satz beginnt mit einem E-Moll-Akkord, der von den Bläsern angemessener Weise konstant stürmisch wiederholt wird. Wenn der Satz jedoch im Mittelteil sich in seine eher assoziative „Sehnsucht“-Partie begibt, gelingt es Robertson und dem Orchester zu oft nicht, die romantische Expressivität, die dieses Werk trotz seines Minimalismus besitzt, in ihrer Zartheit auszuarbeiten. Adams’ Werk zeichnet sich eben gerade dadurch aus, dass es sowohl minimalistische als auch romantische Züge kombiniert. Der Titel Harmonielehre nimmt Bezug zu Schönberg auf, und obwohl es Zwölfton-Stellen gibt, ist die Harmonielehre eine radikale Bejahung der Tonalität. Ganz im Goethe’schen Sinne: „Ältestes bewahrt mit Treue, freundlich aufgefasstes Neue“.
Glücklicherweise gelingt der dritte und letzte Satz der Komposition an diesem Abend am ehesten, sodass man in der frühlingshaften Euphorie dieses Abschnitts den Saal verlässt. Leider jedoch haben zu diesem Zeitpunkt – vermutlich aufgrund der wirklich übertriebenen Lautstärke der ersten zwei Sätze – einige Zuschauer das Gewandhaus bereits längst verlassen. Es wäre jedoch tragisch, wenn nun einer aus der Begeisterung für Beethoven und der Ablehnung Adams gegenüber heraus meine, die klassische Musik habe keine Zukunft, nicht zuletzt, da die Unreinheiten der Aufführung nicht der Komposition selbst geschuldet sind. Dazu kommt, dass Beethoven seinerzeit das Publikum natürlich auch verfremdet hat. Allein der erste Satz seines Violinkonzerts übersteigt in seiner Länge die damalig konventionelle Aufführungsdauer gesamter Violinkonzerte.
Ebenfalls regt dieser Abend zum Nachdenken an, da die beiden Komponisten vielleicht gar nicht so unterschiedlich sind, wie man meinen mag. Adams arbeitet natürlich sowieso stark mit Anspielungen zu seinen Vorbildern (besonders Mahler und Wagner), doch auch in der Beethoven’schen Motivik lassen sich durchaus einige Vorwegnahmen der repetitiven Minimalismen bei Adams erkennen. Adams selbst behauptet, die Harmonielehre sei ein Glaubensbekenntnis an die Kraft der Tonalität zu einer Zeit, als er sich über ihre Zukunft nicht sicher war. Genau in diesem Sinne lässt sich immer noch unendlich viel aus der lebensbejahenden Kraft dieser Musik schöpfen, gerade wenn die Zukunft der klassischen Musik ungewiss scheint.
Leander Bull, 17. Februar 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Richard Wagner, Götterdämmerung Semperoper Dresden, 10. Februar 2023