Ich erlebe schwebende musikalische Weiten

Konzert des Symphonieorchesters des bayerischen Rundfunks unter Jakub Hrůša mit Lisa Batiashvili  Isarphilharmonie, München, 03. März 2023

Foto: © BR / Astrid Ackermann.

Konzert des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks unter Jakub Hrůša mit Lisa Batiashvili

Bohuslav Martinů
»Les fresques de Piero della Francesca«

Jean Sibelius
Violinkonzert d-Moll, op. 47

Zugabe: finnisches Abendlied, arrangiert für Violine und Orchester von Jarkko Riihimäk

Bohuslav Martinů
Symphonie Nr. 1

Jakub Hrůša, Dirigent
Lisa Batiashvili, Violine
Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks

Isarphilharmonie, München, 03. März 2023

von Frank Heublein

Das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks spielt unter Dirigent Jakub Hrůša an diesem Abend in der Isarphilharmonie in München Werke der Komponisten Bohuslav Martinů und Jean Sibelius. Im Violinkonzert des letzteren ist Lisa Batiashvili die Solistin.

Lisa Batiashvilis Ausstrahlung, die ich empfange ist eine spannende. Als Person erlebe ich sie als sehr zurückhaltend, bedacht. Manchmal meine ich, sie will in den inneren Resonanzraum des Instruments eindringen, darin aufgehen. Dieser konzentrierte Fokus überträgt sich mir. Musikalisch wandert Sibelius‘ Violinkonzert d-Moll für mich von Nord nach Süd. Im ersten Satz entsteht in mir das Bild einer weiten kargen rauen kühlen Landschaft. Der zweite Satz wird wärmer, ist zart, meine Vorstellung wird grüner und hügeliger. Der dritte ist hell, südländisch heiß, mit schwungvoller Verve. Die Komposition passt sehr gut zur Solistin in dem Sinne, dass die Komposition permanent um den Nukleus des Soloparts rotiert und diese Rotation sich in Lisa Batiashvilis von mir wahrgenommenen Verbindung zum Instrument fortsetzt. Leicht und atemberaubend makellos nur scheinbar ohne jede Anstrengung ist ihr Spiel.

In ihrer Zugabe spielt Lisa Batiashvili ein finnisches Abendlied, das das tonale Erlebnis insbesondere des dritten Satzes besänftigt, beruhigt im andauernden Decrescendo, das zum Schluss auf einer einzelnen Seite unglaublich zart verhallt.

BRSO Hursa Batiashvili © BR / Astrid Ackermann

Das Weitegefühl des ersten Satzes des Violinkonzertes ist eine Verbindung zur Musik Martinůs, dessen erste Symphonie nach der Pause erklingt. Hier komme ich mir vor wie in einem Film, der einen Siedlertreck im Zug durch die weite endlos erscheinende Landschaft begleitet. Der musikalische Zug beginnt im ersten Satz fiebrig flirrend. Die Musik wogt auf und fällt immer wieder zurück ins Flirrende der Geigen, gerade so als würde ich in heißer Sonne in die Ferne schauen, in der die Hitze den Blick in der Weite verunschärft. Der zweite Satz lässt mich im Galopp im Frühtau reiten. Im dritten dann ist es dunkel. Meine inneren Siedler ruhen sich aus, doch da: Aufregung durchzieht das Lager! Es war nur ein harmloses Tier. Im vierten Satz ist es heller Tag, die Siedler sind dem Ziel nahe, haben es vor Augen. Zum Ziel führt allerdings kein gerader Weg, sondern ein kurviger. Doch am Ende bin ich vom das Glück des Ankommens meiner Siedler erfüllt.

BRSO Hursa Batiashvili © BR / Astrid Ackermann

Zu Beginn des Abends werden Martinůs »Les fresques de Piero della Francesca« gespielt. In seinen letzten Lebensjahren nach dem zweiten Weltkrieg kehrte Martinů zurück nach Europa. Auf einer Reise durch Italien entdecke er 1954 die Fresken des Renaissancemalers Piero della Francesca, die dieser 1466 im Chor der Basilica di San Francesco in Arezzo fertigstellte. Martinů setzte sich tagelang mit dem Bildzyklus auseinander. Die Wirkung auf ihn höre ich in dieser Komposition. Der erste Satz ist treibend, drängend. Der zweite zitternd, zögernd voller Liebeserwartung. Im dritten kommt es zur Eskalation. Bedrohliches explodiert. Dominant sind die Streicher. Die Musik vermittelt mir die Wucht und emotionale Kraft, die die Fresken in Martinů freigesetzt haben.

BRSO Hursa Batiashvili © BR / Astrid Ackermann

Dirigent Hrůša sorgt mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks den ganzen Abend dafür, dass die Musik wie eine Slackline gespannt ist. Die musikalische Spannung ist durchdringend nachhaltig dauerhaft. In Küchenworten gesprochen, das Orchester ist à point. Auf den Punkt genau so wie es sein soll für mich.

Das Erlebnis wird durch den Klangraum verstärkt. Die Isarphilharmonie erlebe ich zum ersten Mal – endlich! Das Orchester und die Solistin füllen diesen Raum famos. Der Klang ist klar, hat starke Präsenz, einen satten Sound, der mich schwebend umhüllt.

Frank Heublein, 4. März 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Der Konzertmitschnitt dieses Abends ist auf br-klassik.de als Audio und Video abrufbar.

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