Die Sächsische Staatskapelle in der Isarphilharmonie: Herzensjuwelen und Wunderharfe

Sächsische Staatskapelle Dresden, Julia Fischer, Violine, David Afkham, Dirigent  München, Isarphilharmonie, 20. November 2022

Isarphilharmonie (c) HGEsch

Der neue Berliner Ring und ein Abstecher für Bruckner 8 nach Chicago gingen wohl an Christian Thielemann körperlich nicht ganz vorbei: Die Herbst-Tournee der Sächsischen Staatskapelle nach Luxemburg, Hamburg und München muss ohne ihn stattfinden – wohl wegen langanhaltender Schulterbeschwerden. Mit einigen Programmänderungen sind also nun stattdessen Tugan Sokhiev und David Afkham mit der Kapelle auf Tournee. Dazu, wie geplant, Ausnahmegeigerin Julia Fischer – in dieser Spielzeit Artist in Residence in Dresden. Mit einem reinen Mendelssohn-Programm waren nun die beiden Letztgenannten in der Münchner Isarphilharmonie zu erleben. Um es vorwegzunehmen: Ein toller Nachmittag (ja, das Konzert begann seltsamerweise um 15 Uhr) und keineswegs ein „Downgrade“ zu Thielemann.

Felix Mendelssohn Bartholdy (1809-1847) – Die Hebriden (Konzertouvertüre) op. 26

Felix Mendelssohn Bartholdy (1809-1847) –
Violinkonzert e-Moll op. 64

Felix Mendelssohn Bartholdy (1809-1847) – Sinfonie Nr. 3 in a-Moll op. 56 (“Schottische“)

Sächsische Staatskapelle Dresden
Julia Fischer, 
Violine
David Afkham, 
Dirigent

München, Isarphilharmonie, 20. November 2022

von Willi Patzelt

Das Programm hätte kaum eine größere „Mendelssohn-Hitparade“ sein können – und das ist außerordentlich positiv gemeint. Programme ohne „Neuentdeckungen“ und „Geheimtipps“ gibt es immer seltener. Auch die sind natürlich zumeist sehr spannend und haben ihre klare Berechtigung. Und dennoch ist gelegentlich auch ein konservatives Programm mit den „alten Bekannten“ ebenfalls sehr wohltuend. Mit der Hebriden-Ouvertüre, dem Violinkonzert (e-moll) und der „Schottischen“ – Mendelssohns, obschon als dritter von fünf bezeichneten, letzter – Sinfonie stand wirklich Mendelssohn at its best auf dem Programmzettel.

Wohl kaum ein Orchester hat sich in seiner Tradition so ausdrücklich der deutschen Romantik verschrieben wie die Sächsische Staatskapelle. Von Richard Wagner einst als „Wunderharfe“ bezeichnet, pflegt das Orchester den „Deutschen Klang“ als Markenzeichen – nicht zuletzt dank der Ära Thielemann. Schon in den ersten Takten der Hebriden-Ouvertüre kommt man in den Genuss eines sonoren, dunklen Klangs.

© Gisela Schenker

David Afkham, Chefdirigent des spanischen Nationalorchesters, gestaltet das musikalisch ausgedrückte Auf- und Abwallen des Meeres um die Inseln der schottischen Hebriden-Inselgruppe auf das Allerfeinste. Kein grober Pinsel, sondern penibelstes Gestalten der Klangfarben. Auch die an den Holländer erinnernden, chromatisch rauen, peitschenden Wellen hält Afkham mit gerüttelt Maß und lässt das Meer, ohne je ins Derbe abzugleiten, fast schon edel toben. Es mutet ferner fast schon kammermusikalisch an, wenn Afkham die Kapelle auf das absolute Minimum an Lautstärke führt, um das Maximum an Spannung zu erreichen.

Ebendieser Zusammenhang zwischen Lautstärke und Wirkung hat leider bei beachtlichen Teilen des Münchner Publikums immer noch keine Anhängerschaft gefunden: Der geneigte Zuhörer hustete auch diesmal wieder besonders gern in möglichst leisen Stellen. Denn wären diese wichtig, hätte der Komponist Mendelssohn diese sicher mit einem satten „forte“ versehen, oder? Manchen Leuten ist einfach nicht zu helfen. Ein Lowlight dieses Nachmittages außerdem eine musikalisch begleitete Zuschauerdiskussion darüber, inwieweit sich die Entr’acte Nr. 3 aus Franz Schuberts Bühnenmusik Rosamunde, die wunderschön als orchestrale Zugabe musiziert wurde, sich als Musik zum Einschlafen eignen würde. Die Diskussion, in den letzten Takten des Konzerts, fand mit dem Ende der Zugabe ihr jähes Ende, und kam somit zu keinem eindeutigen Ergebnis.

Dies alles konnte allerdings diesen großartigen Nachmittag nur geringfügig schmälern. Zumal mit Julia Fischer eine der größten Geigerinnen unserer Zeit das Mendelssohn’sche Violinkonzert auf das Allerergreifendste musizierte. Für nicht wenige ist gerade dieses Violinkonzert in e-moll das schönste dieser Gattung.

Julia Fischer © Felix Broede

Der große Geiger Joseph Joachim stellte es einst unter den vier großen deutschen romantischen Violinkonzerten als das „Herzensjuwel“ heraus. Und genauso – als „Herzensjuwel“ – mutete die Interpretation von Julia Fischer an. Fischer differenziert genau in der Farbgebung. Das berühmte Thema des ersten Satzes nimmt sie weniger als bloße süffige Melodie, sondern seziert es in ganz feinen Lautstärke- und Klangfarbenabstufungen. Und dennoch opfert sie nie den ganz großen Gefühlsbogen der feingliedrigen Gestaltung. Das ist große Interpretationskunst. Ganz besonders bemerkenswert ist außerdem vor allem Fischers kommunikative Spielweise. Immer wieder sucht sie den Blickkontakt mit den Orchestermusikern, immer wieder bringt sie ihre Ideen auch gestisch zum Ausdruck, ja dirigiert fast schon von der Geige aus. Man merkt in jeder Minute, dass Julia Fischer, wie sie auch selbst sagt, der Kammermusik ganz besonders nahesteht.

David Afkham dirigiert dienend, trägt Julia Fischer förmlich auf Händen. Und nicht nur im Violinkonzert, sondern auch in der Schottischen dirigiert Afkham nie mit großen Pathos. Vielmehr setzt er auf Klangentfaltung durch Freiraum und schafft damit eine extreme Durchsichtigkeit. So macht er auch manches, vor allem an polyphonen Imitationen hörbar, die sonst in mancher Interpretation untergehen, ohne dabei je akademisch belehrend zu wirken. Eine solche Auffassung läuft jedoch immer  Gefahr, zu Lasten der Melodieführung gehen. Und ja, manchmal wünscht man sich etwas mehr „melodischen Zugriff“, so zum Beispiel im herrlichen Thema des ersten Satzes nach der langsamen Einleitung. Aber das sind Geringfügigkeiten, die einer wirklich großartigen Interpretation keinen Abbruch tun.

Der so einzigartige Klang der Staatskapelle kommt jedoch – scheint mir – in der Isarphilharmonie, wohl mangels Gewohnheit an den Saal, noch nicht ganz zum Tragen. Vor allem die Hörner wirken immer wieder zu laut und fallen zum Beispiel am Beginn des zweiten Satzes deutlich aus dem Klangbild heraus. Den Beginn der choralartigen Coda im vierten Satz hin zu einer Apotheose in A-Dur spielt die Horngruppe so ergreifend, dass alles andere verziehen und vergessen ist. Die Wahrnehmung, die Kapelle klänge etwas ungewohnt, erklärte mir mein Sitznachbar, ein Neuropsychologe und großartiger Musikkenner, nach dem Konzert, würde einer wissenschaftlichen Überprüfung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht standhalten. Nun vielleicht ist es einfach für einen Dresdner viel zu ungewohnt, die Kapelle nicht in der altehrwürdigen Semperoper, sondern im Sendlinger Heizkraftwerk – mit Geländern, die aussehen wie Maschendrahtzaun – zu erleben.

Alles in allem bleibt festzuhalten, dass nicht nur in Bezug auf das Violinkonzert, sondern auch auf die Hebriden-Ouvertüre und die „Schottische“ kaum ein Wort besser passen könnte als „Herzensjuwel“.

Und die Vokabel „Wunderharfe“ trifft auch noch nach knapp 200 Jahren immer noch bestens auf die Sächsische Staatskapelle zu. Julia Fischer, David Afkham, Wunderharfe und Mendelssohn’sche Herzensjuwelen – was will man mehr!

Willi Patzelt, 21. November 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

4. Symphoniekonzert Staatskapelle Dresden,Tugan Sokhiev, Dirigent, Julia Fischer, Violine Semperoper Dresden, 13. November 2022

Sächsische Staatskapelle Dresden, Christian Thielemann Musikverein Wien, Goldener Saal, 30. Mai 2022

4. Symphoniekonzert, Ottorino Respighi, James MacMillan, Felix Mendelssohn Bartholdy, Lübecker Musik- und Kongresshalle, 19. Dezember 2021

CD-Rezension: Fanny & Felix Mendelssohn. Zwei Leben für die Musik Eine Hörbiografie von Jörg Handstein

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert