MacMillan lässt es krachen! Ein ungewöhnliches Adventskonzert in Lübeck

4. Symphoniekonzert, Ottorino Respighi, James MacMillan, Felix Mendelssohn Bartholdy,  Lübecker Musik- und Kongresshalle, 19. Dezember 2021

Foto: Dr. Regina Ströbl 

Ottorino Respighi: Trittico Botticelliano

James MacMillan: Schlagzeugkonzertkonzert „Veni, veni, Emmanuel“
Schlagwerk: Colin Currie

Felix Mendelssohn Bartholdy: Symphonie Nr. 3 a-Moll “Schottische” op. 56

Philharmonisches Orchester der Hansestadt Lübeck
James MacMillan Dirigent

Lübecker Musik- und Kongresshalle,  19. Dezember 2021

 von Dr. Andreas Ströbl

Unerwartete Assoziationen und musikalische Brüche bot das
4. Symphoniekonzert in der Lübecker Musik- und Kongresshalle am
4. Advent.

Die Sitzreihen waren stark gelichtet – trotz des guten Lübecker Corona-Konzepts war, deutlich bemerkbar, Vorsicht die Mutter des Publikumsandrangs. Wer aber in das letzte Symphoniekonzert des Jahres pilgerte, durfte an einem ganz besonderen Klangerlebnis teilhaben, das bereits als „spektakulär“ angekündigt worden war.

Zuvor jedoch gab es einen Ausflug in die Uffizien und zwar mit Respighis Botticelli-Triptychon, das allerdings nur musikalisch ein „trittico“ ist, denn diese Bildbetrachtungen klammern drei Hauptwerke des Renaissance-Malers zusammen, die selbstverständlich keine bildliche Einheit darstellen. Die schafft Respighi inhaltlich, denn in allen drei Gemälden geht es um Geburt. In „La Primavera“, dem Frühling, entsteht das Leben des neuen Jahres und das geschieht bei Respighi sprudelnd und plätschernd; man denkt unweigerlich an seine „Fontane di Roma“, so als würde er auf die unzähligen Blumen auf Botticellis wundervollem Bild das lebenspendende Wasser gießen. Harfe und Klavier geben reizvolle Kontrapunkte zu den Streichern, die Trompete lässt die Sonne erstrahlen – was für eine Labung im trüben Lübecker-Schmuddelwinter! Aus der eigenwilligen Rhythmik erhebt sich flirrendes Licht mit Vogelrufen, die an Vivaldi denken lassen.

Ganz anders die eher bukolisch-heimelige Atmosphäre in „L´adorazione dei Magi“, der Anbetung der Könige, die gekommen sind, um dem Jesuskind zu huldigen. Hier erklingt einerseits zum ersten Mal in diesem Konzert das „Veni, veni, Emmanuel“ aus dem 15. Jahrhundert, andererseits zitiert Respighi das italienische Weihnachtslied „Tu scendi dalle stelle“. An diese Sterne und die Engel richtet sich die Harfe und das zarte Schlagwerk; das liebliche Lächeln Mariens und den Stern von Bethlehem sehen diejenigen, die entsprechend begabte Ohren haben, nach oben richtet sich der Klang.

Schade nur, dass einige im Publikum immer wieder irgendwelche Gegenstände fallenlassen müssen und in die Piano-Stellen husten.

„La nascita di Venere“ enthüllt die Geburt der Venus und die Querflöte zaubert feine Kaskaden; die fallenden Tonfolgen malen die kleinen Wellen, auf denen die Göttin in ihrer riesigen Jakobsmuschel steht, und die das Sonnenlicht glitzernd reflektieren. Ersehntes musikalisches Vitamin D also, an dessen Ende wieder der Blick nach oben weist, ganz ähnlich wie bei der „Anbetung“. So sind, wie in der Renaissance, heidnische und christliche Motive in völliger Harmonie vereint. Harmonisch spielt auch das Orchester, fein aufeinander abgestimmt und makellos unter dem sensibel akzentuierten Dirigat von James MacMillan.

Herzstück des Konzerts war dessen Komposition „Veni, veni, Emmanuel“ aus dem Jahre 1992. Wichtig ist der Hinweis, dass er das Werk Weihnachten 1991 begonnen und zum folgenden Osterfest vollendet hat. Ohne Geburt kein Kreuzestod und keine Auferstehung – in dem Stück verdichtet sich der Kern der christlichen Theologie.

Das Konzert für Schlagwerk und Orchester hat an Schlaginstrumenten alles zu bieten, was denkbar ist; insgesamt sind es 18 verschiedene Instrumente aus verschiedenen Materialien, dazu fünf Glocken und eine Pauke. Der Perkussionist Colin Currie muss jedes Teil dieser Maschinerie nicht nur beherrschen, sondern von einem Element zum nächsten laufen und sich ständig auf einen neuen Klangkörper und andere Schlegel einstellen.

Mit einem entschiedenen Gong-Hieb beginnt dieses anspruchsvolle Werk, dessen mitreißende Rhythmen und faszinierende Farbigkeit so gar nicht adventlich rüberkommt, gäbe es nicht immer wieder das „Veni, veni“-Zitat. Das Orchester muss sich anstrengen, um gegen den emsig und exakt spielenden Currie mit den dominanten Schlaginstrumenten zu bestehen, was aber großartig gelingt. Teilweise agieren die beiden völlig antipodisch, um sich dann wieder rhythmisch zu vereinigen, was eine ungeheure Spannung erzeugt. Bisweilen sind die Klüfte schwer zu ertragen und bei den ständig wechselnden Schlagwerk-Instrumenten mag so mancher im Publikum an die Gustav-Mahler-Karikatur gedacht haben, in der er die Hupe vergessen hat und jetzt eben noch eine Symphonie schreiben muss.

Aber auch die Orchester-Partien sind ausgesprochen abwechslungsreich; zuweilen gibt es Anklänge an englische Folklore mit tänzerischen Elementen. Blech- und Holzbläser sind sehr stark, Querflöte und Klarinette stechen solistisch immer wieder heraus.

Um die Mahler-Assoziation noch einmal aufzugreifen: Bei ihm steht das Tamtam für den Tod und zumindest die Unbarmherzigkeit, mit der dieser Gong auch bei MacMillan eingesetzt wird, gemahnt immer wieder an die Unbedingtheit des Lebensendes. Hingegen schlägt das Vibraphon einen Kuckuck-Ruf an und auch das Orchester greift Vogelstimmen-Töne auf, die zuweilen an Messiaen denken lassen. Auch wenn jetzt die Namen zweier anderer Komponisten fielen – MacMillans ungewöhnliches Stück ist alles andere als eklektizistisch. Gerade die Dominanz der Vielfalt an Schlaginstrumenten und der eigenwillige Wechsel von Zusammenspiel und Gegenüberstellung von Schlagwerk und Orchester ist absolut singulär in der modernen Konzertliteratur.

Weihnachtlich wird es dann zum Finale, mit klangglitzerndem Zimbel-Funkeln und österlich mit den Röhrenglocken, wobei das Ostergeläut ebenso an die Gralsglocken, wie an den Westminster-Schlag des „Big Ben“ erinnert. Der letzte Glockenton verhallt in sanftestem Pianissimo und weist in die jenseitige Welt. Umso lauter war der Beifall der Lübecker für den Dirigenten/Komponisten und vor allem die Leistung von Colin Currie.

Nach diesem überwältigenden Tonrausch kam Mendelssohns „Schottische“ fast bieder daher. Musikalisch und inhaltlich mochte diese oft gehörte Symphonie nicht so recht zum bisher Gehörten passen, aber vielleicht war schlichtweg MacMillans Herkunft der Hintergrund zur Wahl dieses Werks als Konzertabschluss.

Der differenzierten Leitung entsprach das gewohnt fabelhaft spielende Orchester, mit im ersten Satz schön herausgearbeiteter rhythmischer Bewegung und straffem Anziehen bis zu den dramatisch-stürmischen Passagen. Das elegische vierte Thema des ersten Satzes hatte geradezu böhmisch-schwärmerischen Charakter und da schwappten eher die Donauwellen als die der Nordsee. So schwer und fordernd dieser Satz auch ist, er verklingt zart, was die Musikerinnen und Musiker auch wunderbar umsetzten. Leider wurde diese Feinheit völlig zerhustet.

Der zweite Satz ist ein munteres Bächlein, das durch die Highlands dahineilt. Die frohsinnige Melodik schafft eine gelungene Antithese zum Rest der Symphonie, wie im dritten Satz mit seinen melancholischen Gewitterwolken, zwischen denen aber immer wieder die Sonne hervorblitzt, um die uralten Gemäuer mit ihren Geschichten und Sagen zu bestrahlen. Im zackigen Galopp des abschließenden Satzes besticht wieder das Wechselspiel zwischen Vitalität und Schwermut mit bezaubernd klagender Klarinette, um endlich in das optimistische Finale zu münden.

Nach diesem mit lebhaftem Beifall bedachten Ausklang des Konzerts klang zwar Mendelssohn nach, aber angesichts des tiefen Eindrucks, denn MacMillans Stück hinterlassen hatte, hätte man sich mit Entschiedenheit dieses als letzten Programmpunkt gewünscht.

Dr. Andreas Ströbl, 19. Dezember 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Joachim Mischke, Geschichten und Geheimnisse der Elbphilharmonie, Hoffmann und Campe, Hamburg 2021, klassik-begeistert.de

Lise Davidsen, Bryan Wagorn, „The Art of Lise Davidsen“, Hamburgische Staatsoper, 19. November 2021

 

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