Der Rattle-Ring, Teil III: Ein Abend voller Volltreffer, nur Siegfried siegt nicht

Siegfried, WWV 86C, konzertante Aufführung  Musik und Libretto Richard Wagner  Isarphilharmonie München, 03. Februar 2023

Sir Simon Rattle © Astrid Ackermann

Seit Tagen schaut die Münchner Konzert-Szene auf diesen einen Abend: Siegfried in der Isarphilharmonie. Der Rattle-Ring, Teil III. Ohne Bühnenbild, die Regie-Buhs à la Bayreuth bleiben uns (leider) erspart. Volle ist ein Volltreffer, Rattle gefeiert wie ein Bayern-Star. Schade, dass ausgerechnet die Titelrolle ein wenig hinten runterfällt.  

Siegfried, WWV 86C, konzertante Aufführung
Musik und Libretto Richard Wagner

Sinfonieorchester des Bayerischen Rundfunks
Sir Simon Rattle, Dirigent

Isarphilharmonie München, 03. Februar 2023

von Peter Walter

Der Sieger des Abends geht mit zerschlagenem Speer vom Platz: Ein Volltreffer ist der Bariton Michael Volle als Wanderer! Jeder einzelne Ton fegt die Musik vom Platz, seine Textverständlichkeit grenzt an ein rhetorisches Wunder. Im vollen Glanze klingt die Kunst der Wagner’schen Poeterei. Wotan dringt durch, seine einstige Machtbesessenheit hat diese mächtige Stimme auch in der Gestalt des Wanderers nie verlassen. Das ist ein Wanderer, das ist ein Wotan!

© Gisela Schenker, Michael Volle

Als Sternstunde glänzt auch der Dialog mit der Mutter seiner Kinder, Erda (Gerhild Romberger). Diese Altistin singt fast noch mächtiger als der Herrscher des Himmels! Aus den dunklen Tiefen ihrer Stimme füllt sie den Saal mit göttlichem Gesang… leider ist diese Rolle nach wenigen Takten schon wieder vorbei.

Gerhild Romberger (c) Dr. Regina Ströbl

Auch Brünnhildes Auftritt ist von nicht allzu langer Dauer. Doch das ewige Warten – zweieinhalb Aufzüge – hat sich gelohnt: Anja Kampe krönt sich neben Volle zur Königin des Abends. Ihren Siegfried singt sie völlig in Grund und Boden, hält das ganze Publikum in Atem. Mit dramatischer Dominanz feiert sie die Sonne und das Licht, als wäre hier die Welt aus den dunkelsten aller Zeiten auferstanden. Eine bebende Vorfreude auf ihre Götterdämmerung beherrscht schon jetzt mein Herz… und die ist noch nicht mal terminiert! Hoffentlich gibt es da keine Umbesetzung!

Ein Wiedersehen wünscht man sich auch mit Georg Nigls Alberich, der in dieser Episode nicht weniger tyrannisch auftritt als im Rheingold.  Den Ring will er haben, nicht mehr und nicht weniger. Den hat jetzt aber sein Bruder Mime (Peter Hoare), der sich mit viel nasaler Stimme als verkappter Alberich 2.0 entpuppt. Durch ein metallisches Megaphon klingt Franz-Josef-Seligs Fafner wie aus einer Höhle, der Altmeister darf sich für seinen Wiener Gurnemanz warm singen. Danae Kontora verzaubert als Einspringerin in der Rolle des Waldvogels vom Chorbalkon aus. Kein Wunder, dass Siegfried dieser strahlenden Stimme hinterherrennt.

Der freie Held selbst – Siegfried – ist ein Kämpfer. Das gilt szenisch wie musikalisch für diese völlig unsingbare Titelrolle. Simon O’Neill trifft die Spitzentöne, hat stimmlich die Kraft, das Schwert zu schmieden. So richtig besiegen kann er die Musik dennoch nicht, gibt sich dem Wanderer-Wunder geschlagen. Noch vor der Befreiung Brünnhildes muss er einige Ausrutscher wegstecken. Und seiner Singkunst fehlt ein wenig die Dichtkunst.

Das Publikum quatscht natürlich auch nachher in der U-Bahn. Ein Zuschauer fasst die Leistung des neuseeländischen Titeltenors bestens zusammen: „Er war gut, es gibt bessere“. Andreas Schager zum Beispiel. Für mich reicht das voll und ganz. Aber ich sehe die Sternstunden dieser Oper auch in der letzten Szene…

Und Sir Simon? Die Münchner feiern den neuen Chef am Pult wie einen Bayern-Star. Mit Taktstock und Partitur treibt er das Orchester in völlig unbekannte Höhen, die Wagner-Tuben verzaubern die weitgehend leeren Ränge wie das gut gefüllt Parkett mit himmlischen Walhall-Motiven. Doch gerade die wuchtigen Stellen – so die stürmischen Erda-Motive zu Beginn des dritten Aufzugs – wollen einfach nicht klingen. Da fehlt was, das war toll, aber gerade im Konzertsaal müsste das doch einen so richtig vom Hocker hauen? Typisch Rattle: Toll, aber eben nicht mehr.

Aus der Isarphilharmonie kommt eine mächtige Ansage in der derzeit höchst umkämpften Siegfried-Szene. Vor allem Tomasz Konieczny und Eric Owens werden sich als Wanderer warm anziehen müssen. Leider merkt man, dass die Schulnote einer Siegfried-Aufführung zu mindestens 50% aus der Titelpartie besteht…

Peter Walter, 4. Februar 2023 für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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