von Peter Sommeregger
Als die gefeierte Sopranistin Jarmila Novotná am 9. Februar 1994 hoch betagt in New York City starb, ging nicht nur eine äußerst erfolgreiche Sängerlaufbahn zu Ende, die Sängerin hatte auch allen Stürmen des 20. Jahrhunderts erfolgreich widerstanden, die sie als Jüdin mehrfach in großem Gefahr gebracht hatten.
Am 13. September 1907 in Prag geboren, besuchte sie schon früh das dortige Konservatorium, wo sie u.a. von der legendären Emmy Destinn unterrichtet wurde. Noch vor ihrem 20. Geburtstag debütierte sie als Marie in Smetanas „Verkaufter Braut“, wenig später feierte sie mit Verdis „Traviata“ den ersten großen Erfolg. Trotzdem studierte sie in Italien weiter und hatte 1928 bei den Festspielen in Verona einen großen Erfolg als Gilda in Verdis „Rigoletto“.
Ab 1929 war sie an der Berliner Staatsoper engagiert, dieser Vertrag wurde 1933 beendet, die Nationalsozialisten duldeten keine jüdischen Künstler mehr auf den Bühnen. Bei den Salzburger Festspielen trat sie aber bis 1938 regelmäßig auf, u.a. 1937 als Pamina in Arturo Toscaninis legendärer „Zauberflöte“, auch an der Wiener Staatsoper, deren Ensemble sie von 1933 bis 1938 angehörte. Am 20. Januar 1934 sang sie dort neben Richard Tauber in der Uraufführung von Franz Lehárs „Giuditta“, kreierte an diesem Abend das berühmte Lied „Meine Lippen, die küssen so heiß“. Ein inoffizieller Mitschnitt davon ist erhalten. Nach dem „Anschluss“ Österreichs schloss sich für die Novotná aber auch diese Tür. Sie verließ Wien in Richtung USA, absolvierte aber zwischenzeitlich auch noch Auftritte an der Mailänder Scala und der Grand Opéra in Paris und in verschiedenen südamerikanischen Ländern.
An der Metropolitan Opera New York blieb sie bis zu ihrem Bühnenabschied 1957, sie sang dort 14 Partien in 142 Aufführungen. Ihre Rollen dokumentieren die schier unglaubliche Vielfalt von Novotnás ausdrucksstarkem Sopran. Obwohl sie einen eher lyrischen Sopran besaß, war das Spektrum ihrer Rollen sehr breit gefächert. Furore machte sie u.a. in Hosenrollen wie Mozarts Cherubino, dem Octavian im „Rosenkavalier“ und dem Orlofsky in der „Fledermaus“. Die blendend aussehende Sängerin war auch als Filmschauspielerin erfolgreich, so vor allem in der Verfilmung der „Verkauften Braut“ durch Max Ophüls, die mit Smetanas Oper aber sehr frei umgeht. Währen ihrer gesamten Karriere widmete sie sich auch dem Liedgesang, vor allem trat sie als Interpretin von Liedern ihrer tschechischen Heimat hervor.
Nach dem zweiten Weltkrieg kehrte sie zunächst in ihre Heimat zurück, verließ sie aber bald wieder und ging zurück in die USA, wo sie ihre Karriere an der Metropolitan Opera bis 1957 fortsetzte. Davor hatte sie 1949 noch einmal einen großen Erfolg bei den Salzburger Festspielen als Octavian unter George Szell. Seit 1933 bis zu dessen Tod 1981 war Novotná mit einem tschechischen Großgrundbesitzer und Baron verheiratet, das Ehepaar hatte zwei Kinder.
Die Sängerin verfügte über einen schön gebildeten, sehr farbenreichen Sopran. Technisch brillant geschult gelang ihr so eine lange Karriere in gänzlich unterschiedlichen Rollen. Es ist heute nicht mehr ganz einfach, Tonträger der Novotná zu finden, aber zumindest bei YouTube gibt es u.a. die „Giuditta“-Uraufführung zu hören. Auch der Salzburger „Rosenkavalier“ von 1949 existiert als Mitschnitt. Man erlebt Gesang auf höchstem Niveau!
Peter Sommeregger, 26. Juli 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Sommereggers Klassikwelt (c) erscheint jeden Mittwoch.
Der gebürtige Wiener Peter Sommeregger (Jahrgang 1946) besuchte das Humanistische Gymnasium. Er wuchs im 9. Gemeindebezirk auf, ganz in der Nähe von Franz Schuberts Geburtshaus. Schon vor der Einschulung verzauberte ihn an der Wiener Staatsoper Mozarts „Zauberflöte“ und Webers „Freischütz“ – die Oper wurde die Liebe seines Lebens. Mit 19 Jahren zog der gelernte Buchhändler nach München, auch dort wieder Oper, Konzert und wieder Oper. Peter kennt alle wichtigen Spielstätten wie die in Paris, Barcelona, Madrid, Verona, Wien und die New Yorker Met. Er hat alles singen und dirigieren gehört, was Rang und Namen hatte und hat – von Maria Callas und Herbert von Karajan bis zu Riccardo Muti und Anna Netrebko. Seit 26 Jahren lebt Peter in Berlin-Weißensee – in der deutschen Hauptstadt gibt es ja gleich drei Opernhäuser, die er auch kritisch rezensiert: u.a. für das Magazin ORPHEUS – Oper und mehr. Buchveröffentlichungen: „‘Wir Künstler sind andere Naturen.‘ Das Leben der Sächsischen Hofopernsängerin Margarethe Siems“ und „Die drei Leben der Jetty Treffz – der ersten Frau des Walzerkönigs“. Peter ist seit 2018 Autor bei klassik-begeistert.de.
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