„Siegfried“ Unter den Linden: Wagnerianer müssen jetzt sehr tapfer sein

Richard Wagner, Siegfried  Staatsoper Unter den Linden, 6. Oktober 2022 Premiere

Stephan Rügamer (Mime), Andreas Schager (Siegfried), dahinter: Michael Volle (Der Wanderer) © Monika Rittershaus

Staatsoper Unter den Linden, 6. Oktober 2022 Premiere

Richard Wagner, Siegfried

Christian Thielemann, Dirigent
Staatskapelle Berlin

Dmitri Tcherniakov, Regie und Bühnenbild 

von Peter Sommeregger

 Beim neuen Ring an der Berliner Staatsoper ist nun der dritte Teil, „Siegfried“, über die Bühne gegangen. Dieser Teil des Rings wird oft als das Scherzo der Tetralogie bezeichnet, enthält er doch Passagen von scheinbarer Unbeschwertheit, die im gesamten Werk selten sind.

Dmitri Tcherniakovs Regie bleibt konsequent illusionslos nüchtern. Kein Weg führt aus den Räumen des Forschungsunternehmens E.S.C.H.E. heraus, alle Protagonisten bleiben in dem Labyrinth von Geschäftsräumen, Fluren und Labors gefangen. Das wirkt streckenweise optisch ermüdend, es gibt keinen Wald, keinen Waldvogel, Siegfried muss kein Feuer durchbrechen um zu Brünnhilde im Schlaflabor zu gelangen.

Der erste Akt findet wieder in der schon als Hundings Hütte dienenden Kleinwohnung statt, die unter Beobachtung des Institutsleiters steht. Siegfried, als unruhiger, ständig zappelnder, verhaltensauffälliger Teenie im Trainingsanzug gezeichnet, zerschlägt beim Schmelzen und Schmieden des Schwertes Nothung fast die ganze Wohnungseinrichtung, vor allem aber sein Kinderspielzeug. Da will sich einer sehr rabiat von den Zwängen einer unglücklichen Kindheit befreien.

Im zweiten Akt macht sich nicht nur Siegfried auf den Weg zur Höhle des Drachen Fafner, auch Mime, Alberich und der inzwischen weißhaarige Wotan/Wanderer sind unterwegs. Im Gewirr der Hausflure ergeben sich starke Bilder, wenn der gealterte Wotan und Alberich mit Rollator ihren alten Streit als unbelehrbare Greise weiterspinnen. Siegfried mordet Fafner mit dem dafür geschmiedeten Schwert, zuvor bindet er ihn relativ brutal mit Ketten. Danach kommt der Waldvogel ins Spiel, der in Form einer freundlichen Angestellten des Institutes auftritt, die Siegfried den Weg zur schlafenden Brünnhilde weist. Noch einmal ergibt sich ein optisch starkes Bild, wenn Siegfried die Toten Mime und Fafner aufrichtet und an die Wand lehnt.

Johannes Martin Kränzle (Alberich), Stephan Rügamer (Mime) © Monika Rittershaus

Der dritten Akt beginnt mit der unwirschen Kündigung der Mitarbeiterin Erda durch den Firmenchef. So stellt es sich optisch dar. Siegfried zerbricht nicht den Speer Wotans, als dieser ihn aufhalten will, er zertrümmert einfach die verschlossene Tür und eilt zum Schlaflabor, in dem Brünnhilde ruht. Nun sollte eigentlich der emotionale Höhepunkt der Oper folgen, Brünnhilde zögerlich dem Werben Siegfrieds erliegen. Bedingt schon durch das Ambiente bleibt es aber bei einer eher nüchternen Diskussion. Wirkt Brünnhilde am Ende emotional erregt, gibt sich Siegfried salopp gelassen und mäßig interessiert.

In diesem nüchternen Ambiente ist die Musik doppelt gefordert, das Drama zu illustrieren und voranzutreiben. Christian Thielemann lotet die Schönheiten der Partitur mit der Staatskapelle bis ins Detail aus, behält bei seiner Interpretation aber die Linie der beiden ersten Abende bei. Es bleibt lyrisch breit, erst beim finalen Duett entsteht auf einmal die Sinnlichkeit, die der Regisseur dem Stück so konsequent auszutreiben versucht. Das ist vor allem Anja Kampe geschuldet, die eine warme, frauliche Brünnhilde gibt und die Verwandlung vom göttlichen Wotanskind zur liebenden Frau glaubwürdig singt und spielt.

Andreas Schager (Siegfried), Stephan Rügamer (Mime) © Monika Rittershaus

Andreas Schagers Tenor verfügt über Kräfte und Ausdauer, wie man sie seit Generationen bei keinem Wagnertenor mehr erlebte. Der Sänger hat gelernt, bei einigen seiner Stentortöne sucht er bewusst den Bühnenhintergrund, der Strahl seines Tenors kann manchmal zu heftig wirken. Tcherniakov zeichnet ihn als recht oberflächlichen Teenie, er ist wohl in dem großen Experiment der Joker, der universell einsetzbar ist.

Michael Volles Wanderer verströmt neben stimmlicher Kraft auch das Quantum Altersweisheit, das Wotan im Laufe der Handlung zugewachsen ist. Seine volle Bassbariton-Stimme beherrscht souverän die Szene. Als Mime und Alberich vertiefen Stephan Rügamer und Johannes Martin Kränzle ihre starken Rollenporträts, die sie bereits im Rheingold eindrucksvoll ablieferten. Das gilt auch für die Erda von Anna Kissjudit, deren sonorer Urmutter-Ton einen eindrucksvollen Akzent setzt. Erfrischend wirkt der schöne, höhensichere Sopran Victoria Randems, die dem Waldvogel Stimme und Körper leiht.

Michael Volle (Der Wanderer), Anna Kissjudit (Erda) © Monika Rittershaus

Uneingeschränkter Jubel nach dem „Siegfried“, der dem gesamten Ensemble, dem Dirigenten und Orchester dankt.

Man ist gespannt, wie der Regisseur Tcherniakov diesen Ring zu Ende bringt, den man schon jetzt als kühnen, neuen Ansatz bewerten kann.

Peter Sommeregger, 7. Oktober 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Besetzung:

Siegfried
Andreas Schager

Mime
Stephan Rügamer

Der Wanderer
Michael Volle

Alberich
Johannes Martin Kränzle

Fafner
Peter Rose

Erda
Anna Kissjudit

Brünnhilde
Anja Kampe

Der Waldvogel
Victoria Randem

 

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