„Rheingold“ Unter den Linden: Es gibt Ärger im Stresslabor

Richard Wagner, Das Rheingold  Staatsoper Unter den Linden, Premiere am 2. Oktober 2022

Foto: Monika Rittershaus

Erste Zwischenbilanz für den neuen Ring: großartige musikalische Umsetzung, schwache, einfallslose Regie. Am Ende tosender Beifall.

Richard Wagner
Das Rheingold

Christian Thielemann, Dirigent
Staatskapelle Berlin

Dmitri Tcherniakov, Regie und Bühnenbild

Staatsoper Unter den Linden, Premiere am 2. Oktober 2022

 von Peter Sommeregger

Den mit Spannung erwartete neuen „Ring“ Unter den Linden siedelt der Regisseur und Bühnenbildner Dmitri Tcherniakov in einem Forschungsinstitut an. Von Rhein und Gold keine Spur, Alberich ist in einem Stresslabor an Drähte angeschlossen, die Rheintöchter sind technische Assistentinnen, die den Probanden durch ihren Gesang provozieren, der sich am Ende der Szene losreißt und mit wichtigen (?) Unterlagen flieht. Nibelheim und seine Labore liegen eine Etage tiefer, werden mit dem Lift angesteuert, auch ein Chefbüro und ein Konferenzzimmer des Instituts E.S.C.H.E. bekommt man zu sehen. Esche? Eine solche begrünt auch ein weiteres Bühnenbild, das offenbar schon auf „Die Walküre“ hinweist.

Musikalisch besticht von den ersten Takten an das transparente, beinahe filigrane Klangbild, das Christian Thielemann aus dem Orchestergraben zaubert. Er legt sein Dirigat eher breit an, das beschert aber schöne, ausmusizierte Details. Die Staatskapelle Berlin erweist sich einmal mehr als großartiges Wagner-Orchester, zu dem es Daniel Barenboim geformt hat.

An der Sängerbesetzung wurde nicht gespart. Michael Volle als Wotan bzw. Firmenchef lässt keinen Zweifel daran, wer in der Firma der Boss ist. Sein mächtiger Bassbariton klingt streckenweise arg robust, aber stets sicher und punktgenau. Die Götter Donner und Froh finden in Lauri Vasar mit mächtigem Bariton und Siyabonga Maqungo mit ein wenig verwaschenem Tenor  markante Darsteller. Der Feuergott Loge ist Rolando Villazón anvertraut, der couragiert beginnt, aber im Verlauf des Abends stark abfällt. Als Einziger muss er am Ende neben Applaus auch einige Buh-Rufe kassieren. Dem Alberich gibt Johannes Martin Kränzle ein starkes, stimmgewaltiges Profil. Sein Bass verfügt über eine sichere Höhe, die in dieser Partie auch erforderlich ist. Mime ist bei Stephan Rügamer, der sich nach und nach das Charaktertenorfach aneignet, in besten Händen. Die Riesen Fafner und Fasolt statten Peter Rose und Mika Kares mit vollen, satten Bässen aus, das hat den nötigen Nachdruck.

Foto: Monika Rittershaus

Claudia Mahnke vermeidet bei ihrer Fricka erfolgreich einen keifenden Ton, ihr schlanker Mezzosopran verströmt ausschließlich Wohlklang. Gleiches gilt für ihre Schwester Freia, die von Vida Miknevičiūtė mit sicherer Höhe und frischem Sopran gesungen wird. Der mahnenden Erda verleiht Anna Kissjudit sonore Tiefe und Nachdruck. Die Rheintöchter Evelin Novak, Natalia Skrycka und Anna Lapkovskaja sind von den Stimmfarben gut aufeinander abgestimmt und wohlklingend. Vokal also eine sehr positive Zwischenbilanz!

Foto: Monika Rittershaus

Szenisch ist die Idee eines Forschungsinstutes gar nicht so abwegig, am Staatstheater Saarbrücken wurde gerade der gleiche Ansatz ausprobiert. Was enttäuscht, ist die Langeweile, die eine so sehr ins Nüchterne transponierte Handlung verbreitet. Tcherniakov verführt seine Sänger immer wieder zum overacting, aber wenn Lösungen für schwierige Aktionen gefragt sind, verweigert er sich. Die Verwandlung Alberichs zuerst in einen Riesen, danach in eine Kröte wird zwar im Text besungen, findet aber nicht statt. Als am Ende das Rheingold aufgeschichtet wird, um Freia zu lösen, passiert – NICHTS. Das zeigt, dass sich Umdeutungen immer selbst ad absurdum führen. Als Donner mit Hammerschlag das Gewitter auslöst, verkommt das zu einer billigen Varieté-Nummer, die Brücke, die Froh zur Burg ausbreitet, besteht aus bunten Bändern. Dazu applaudiert dann die Statisterie.

Erste Zwischenbilanz für den neuen Ring: großartige musikalische Umsetzung, schwache, einfallslose Regie. Am Ende tosender Beifall.

Peter Sommeregger, 3. Oktober 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Besetzung:

Wotan
Michael Volle

Donner
Lauri Vasar

Froh
Siyabonga Maqungo

Loge
Rolando Villazón

Fricka
Claudia Mahnke

Freia
Vida Miknevičiūtė

Erda
Anna Kissjudit

Alberich
Johannes Martin Kränzle

Mime
Stephan Rügamer

Fasolt
Mika Kares

Fafner
Peter Rose

Woglinde
Evelin Novak

Wellgunde
Natalia Skrycka

Flosshilde
Anna Lapkovskaja

 

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