Sommereggers Klassikwelt 178: „Tristanissimo“ Lauritz Melchior hat bis heute keinen Nachfolger gefunden

Sommereggers Klassikwelt 178: „Tristanissimo“ Lauritz Melchior  klassik-begeistert.de, 22. März 2023

In diesen Tagen kann die Opernwelt des 50. Todestages von Lauritz Melchior gedenken. Er starb 1973 in Santa Monica in seiner kalifornischen Wahlheimat.

von Peter Sommeregger

Geboren und aufgewachsen ist der Sänger in Kopenhagen, wo er auch mit 18 Jahren seinen ersten Gesangsunterricht erhielt. Sein Lehrer betrachtete Melchiors Stimme als Bariton und bildete ihn als solchen aus. 1913 debütierte er am Königlichen Theater seiner Heimatstadt, wo er anschließend für einige Jahre Bariton- und sogar Basspartien der zweiten Garnitur sang. Erfahrene Kollegen wiesen ihn darauf hin, dass seine Stimme viel eher ein Tenor, ja sogar ein Heldentenor war. Daraufhin studierte er neu und hatte sein Debüt als Tenor in einer Tannhäuser-Aufführung 1918 in Kopenhagen.

Melchior trat in der Folge verschiedentlich bei Konzerten in London auf, wo er 1920 den wohlhabenden Wagnerianer Hugh Walpole kennenlernte, mit dem er Freundschaft schloss. Walpole ermöglicht ihm großzügig, seine Studien fortzusetzen, was schließlich zu Melchiors erstem Engagement als Siegmund auf der Bühne des Covent Garden Opernhauses führte. Im gleichen Jahr 1924 debütierter in zwei Rollen in Bayreuth und Cosima und Siegfried Wagner erkannten sofort Melchiors beachtliches stimmliches Potential.

Seine Weltkarriere war nun nicht mehr aufzuhalten, bereits 1926 verpflichtete ihn die Metropolitan Opera New York, wo er während zwei Spielzeiten mit mittlerem Erfolg auftrat, erst in seiner „Lebensrolle“ Tristan, den er später weltweit sang, avancierte er 1929 zum Publikumsliebling. Melchior sang ohne Unterbrechung an der Met von 1926 bis 1950 in insgesamt 499 Aufführungen.

Auch zu dieser Zeit waren Heldentenöre eine rare Spezies, es gab kaum ein bedeutendes Opernhaus der Welt, in dem er nicht gastiert oder auch im Engagement gesungen hätte. Dazu gehörte auch die Berliner Staatsoper, für die ihn die Nazis nach der Machtergreifung gerne als Prototyp eines nordischen blonden Hünen exklusiv verpflichten wollten. Dazu kam es aber nicht, weil Melchior dieses Regime verhasst war. Ohne zwingenden Grund verließ er 1933 schlagartig freiwillig Deutschland, ließ dabei sogar sein Jagdhaus in der Nähe von Berlin zurück.

Der Tristan Wagners war und blieb seine Glanzrolle, die er allein an der Met 200 mal sang. Als Lohengrin nahm er 1950, zu dieser Zeit bereits US-Staatsbürger, Abschied von der Opernbühne. Das bedeutete aber noch nicht das Ende seiner Karriere. Bereits in den 1940er Jahren hatte er einige Filme gedreht, später trat er auch häufig in Musicals auf. Sein stimmliches Potential schien schier unerschöpflich, er hat es sich bis ins hohe Alter bewahrt.

Weniger gut gestaltete sich das Privatleben des Sängers. Von seiner ersten Frau, Inger, ließ er sich 1924 scheiden, was zum Zerwürfnis mit den beiden Kindern aus dieser Ehe führte. Mit seiner zweiten Frau, der deutschen Schauspielerin Maria Hacker, führte er eine äußerst glückliche Ehe, nannte sie „Kleinchen“, weil sie im Gegensatz zu ihm klein und zart war. Ihr plötzlicher Tod im Jahr 1963 stürzte Melchior in eine tiefe Depression und Lebenskrise. Aus Einsamkeit heiratete er bereits 1964 Mary Markham, eine junge Frau, deren Interesse aber mehr dem Vermögen Melchiors als seiner Person galt. Unter erheblichen finanziellen Verlusten kaufte sich der Sänger bereits zwei Jahre später aus dieser unglücklichen Verbindung frei.

Melchiors gewaltige Stimme eignete sich hervorragend für das junge Medium Schallplatte, bereits als Bariton sang er einige Titel ein. Seine zahlreichen Wagner-Aufnahmen gehören zu den besten, die jemals aufgenommen wurden. Legendär und bis heute unerreicht seine Aufnahme des Tristan Duetts mit Frida Leider, das in seiner Glut und Hochspannung zu einer Ikone der Schallplattengeschichte wurde, man kann es sogar als YouTube-Clip hören. Melchiors baritonal grundierter, ausladender Tenor verfügte über ein ausgesprochen schönes Timbre, auch in italienischen Partien wie dem Otello feierte er Triumphe.

Assistens Kirkegård – Lauritz Melchiors Grabstein

Lange Zeit gab es nur eine Biographie Melchiors von der Autorin Shirlee Emmons, die ihr Buch als autorisiert bezeichnet, obwohl es erst 1990, also lange nach Melchiors Tod erschien. Es enthält leider zahlreiche, nicht unerhebliche Fehler. Jahre später veröffentlichte Ib Melchior ein Erinnerungsbuch an seinen Vater.

Melchiors Schallplatten ermöglichen eine Nachprüfung seines Ruhms und bestätigen seine singuläre Bedeutung für den Wagner-Gesang, bis heute gilt er zurecht als das Maß der Dinge. Er trägt den Ehrentitel Jahrhundert-Tenor tatsächlich seit mehr als hundert Jahren.

Peter Sommeregger, 22. März 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Sommereggers Klassikwelt (c) erscheint jeden Mittwoch.

Der gebürtige Wiener Peter Sommeregger (Jahrgang 1946) besuchte das Humanistische Gymnasium. Er wuchs im 9. Gemeindebezirk auf, ganz in der Nähe von Franz Schuberts Geburtshaus. Schon vor der Einschulung verzauberte ihn an der Wiener Staatsoper Mozarts „Zauberflöte“ und Webers „Freischütz“ – die Oper wurde die Liebe seines Lebens. Mit 19 Jahren zog der gelernte Buchhändler nach München, auch dort wieder Oper, Konzert und wieder Oper. Peter kennt alle wichtigen Spielstätten wie die in Paris, Barcelona, Madrid, Verona, Wien und die New Yorker Met. Er hat alles singen und dirigieren gehört, was Rang und Namen hatte und hat – von Maria Callas und Herbert von Karajan bis zu Riccardo Muti und Anna Netrebko. Seit 26 Jahren lebt Peter in Berlin-Weißensee – in der deutschen Hauptstadt gibt es ja gleich drei Opernhäuser, die er auch kritisch rezensiert: u.a. für das Magazin ORPHEUS – Oper und mehr. Buchveröffentlichungen: „‘Wir Künstler sind andere Naturen’. Das Leben der Sächsischen Hofopernsängerin Margarethe Siems“ und „Die drei Leben der Jetty Treffz – der ersten Frau des Walzerkönigs“. Peter ist seit 2018 Autor bei klassik-begeistert.de.

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