PKF – Prague Philharmonie
Gabriel Bebeşelea, Dirigent
Simon Trpčeski, Klavier
Sergej Rachmaninow – Konzert für Klavier und Orchester Nr. 3 d-Moll op. 30
Antonín Dvořák – Sinfonie Nr. 9 e-Moll op. 95 B 178 (1893) – „Aus der Neuen Welt“
Zugabe:
Sergej Rachmaninow – Vocalise, op. 42 No. 14 (1912), arrangiert für Solocello und Klavier
Kölner Philharmonie, 22. März 2023
von Daniel Janz
„Das Konzerthaus am Bahngleis“ – so heißt es immer wieder zur Kölner Philharmonie, als wäre es ein Standortvorteil. In Zeiten von Klimawandel und Verkehrswende wird das gerne zum Anlass genommen, die Besucher zum Verzicht aufs Auto aufzurufen. Der letzte Streik des ÖPNV wurde ja gerade erst am Tag zuvor beendet und ohnehin liegt der Fokus auf dem mit Spannung erwarteten Konzertabend. Rachmaninow und Dvořák stehen heute auf dem Programm – das auch noch vorgetragen von einem Prager Orchester… Was sollte da also schiefgehen? Das kann doch nur schön werden!
Ein Grund, sich extra früh aufzumachen. So steht der Rezensent bereits viertel nach 6 am Bahnsteig. Bloß nichts dem Zufall überlassen! Der RE fährt von hier 24 Minuten nach Köln, alternativ braucht die S-Bahn 50 Minuten zum Ziel. Geplante Ankunft: 18:50 Uhr am Hauptbahnhof und damit an der Philharmonie. Viel Puffer und zur Sicherheit gibt’s noch den RE um 18:53 Uhr, sagt sich der Rezensent deshalb, als kurz nach seiner Ankunft am Bahnsteig der erste Zug abgesagt wird. Dann eben warten. Vorabinfos im Internet gab es natürlich nicht. Neuland und so – man ist ja nicht die Philharmonie, die noch Minuten vor’m Konzert Infos digital stellt. Auch von anderen Informationen zu diesem Zeitpunkt weder am Gleis noch online eine Spur.
Erster Stress stellt sich ein, als auch der nächste Zug die ersten 5 Minuten Verspätung ansammelt. Der Blick geht einmal rüber zum S-Bahngleis. Mit der Verbindung wäre man immerhin noch 10 Minuten vor Konzertbeginn da. Genug Zeit für die Garderobe, bevor Rachmaninows drittes Klavierkonzert losgeht. Sollte man es riskieren oder weiter warten? In dem Moment die Durchsage: „S-11 nach Köln Hbf fällt heute aus. Grund dafür ist eine technische Störung. Wir bitten um Entschuldigung.“ In der Zwischenzeit hat der Ersatzzug mittels Salamitaktik über 20 Minuten Verspätung.
Gegen 19:15 Uhr wird der Rezensent ungeduldig. Inzwischen sitzt er über 45 Minuten am Gleis fest und wartet damit länger, als das in weniger als einer Stunde beginnende Klavierkonzert dauert. Selbst wenn jetzt noch eine S-Bahn käme, erreicht er die Philharmonie nicht mehr rechtzeitig. Letzte Hoffnung: der (noch) pünktliche RRX um 19:24 Uhr mit Ankunft in Köln 8 Minuten vor Konzertbeginn. Kaum fährt er ein, sprintet der Rezensent also aufs andere Gleis in den Zug. Es ist nun eine geschlagene Stunde später. Mit dem Auto hätte er die Philharmonie inzwischen zweimal erreicht. Aber man ist ja umweltbewusster Trottel. Schließlich predigt die Politik ja auch stets den Umstieg auf die Schiene! Immerhin, der Zug soll laut Anzeige gleich abfahren. Gerade noch rechtzeitig – so denkt der umweltbewusste Trottel.
Doch die Freude, gleich den mit Spannung erwarteten Rachmaninow zu erleben, wird jäh per Durchsage zerstört: „Signalstörung auf der Strecke. Die Weiterfahrt verzögert sich um unbestimmte Zeit.“ Also wieder warten. Der Blick geht aufs Parallelgleis, wo gerade der Zug von 18:53 Uhr einfährt – mit fast 40 Minuten Verspätung. Raten Sie mal, welcher Zug zuerst startet! Natürlich der Verspätete, der nun mit 45 Minuten Verzögerung dem ursprünglich pünktlichen RRX den Weg versperrt. In der Folge sammelt dieser ebenfalls Verspätung an. Noch mehr Warten. Erst nach 25 (!) Minuten Stillstand – ähnlich lang wie die Fahrt nach Köln – fährt der Zug ab, der ursprünglich noch kurz vor Konzertbeginn knapp angekommen wäre. Geschätzte Ankunftszeit nun: 20:19 Uhr. So eine Bahn ist kein Problem mehr, das ist ein nationales Desaster! In Köln laufen derweil die Musiker auf und stimmen sich auf Rachmaninow ohne Rezensenten ein.
Dass der Rezensent überhaupt was vom ersten Werk mitkriegt, liegt einzig an seinem titelwürdigen Sprint vom Hauptbahnhof zur Philharmonie und dem überengagierten Bahnfahrer, der noch 5 Minuten Verspätung gutgemacht hat. Auch das Personal der Philharmonie zeigt sich gnädig und öffnet ihm und knapp zwei Dutzend Gästen, die wohl Ähnliches durchgemacht haben, zur Pause zwischen Satz 1 und 2 nochmal die Tür zur Empore. Besonders schön sei ja der erste Satz gewesen, erzählt später eine Zuhörerin. Gerne hätte der Rezensent diesen auch miterlebt. Aber an ihm lag’s nicht.
Es ist wie ein Wunder, dass Orchester und Pianist nur in Minutenbruchteilen genug Spannung aufbauen, um den Ärger der Anreise zeitweilig vergessen zu machen. Endlich kein Warten mehr! Das Erlebnis, das der nordmazedonische Pianist Simon Trpčeski (43) da aus seinen Flügel zaubert, ist wie von einem anderen Stern! Dem wehmütigen Einstieg folgt ein träumerisch schöner Fluss impressionistischer Klanggemische.
Ein richtiger Rausch bricht aus, als das Orchester miteinstimmt. Der Wechsel in den dritten Satz gelingt geradezu spritzig. Ein wenig schnell vielleicht, für den Rezensenten passt aber der (von strahlenden Blechbläsereinwürfen untermalte) Gesamteindruck. Dadurch gewinnen auch die Wechsel von laut und majestätisch hin zu leise und verträumt. Die Folge ist ein richtiger Jubelsturm vom Publikum, als die Musik in einem prächtigen Finale ausgeklungen ist. Im Vergleich zum Klavierkonzert letzten Montag ist das dann doch eine andere Qualität des Applauses!
Besonders faszinieren kann Trpčeski auch in seinen beiden Zugaben. Nicht nur beweist er Humor, als er während seiner Einführung jedem von Husten geplagten Zuhörer ein neckisches „Bless you“ zuruft – offenbar kennt er Kölns Publikum schon gut. Auch musikalisch zeigt er hier nochmal ganz andere Seiten. Zunächst präsentiert er ein unauffälliges aber charmantes mazedonisches Volkslied mit dem Titel „Paprika Tanz“. Dann folgt ein wunderbares Duett mit dem Solocellisten der Prager Philharmonie. Die Vocalise – auch von Rachmaninow – richten sie beide als „message for a better world“ indirekt auch als frommen Friedenswunsch in Richtung Osteuropa. Beide Stücke verzücken und lassen das Publikum erneut aufjubeln.
Und dieses Gefühlsfeuerwerk reißt auch nach der Pause nicht ab. Dvořáks neunte Sinfonie gehört mit zu den bekanntesten und beliebtesten Sinfonien überhaupt – entsprechend oft ist sie auch in Köln zu hören (zuletzt bei einem Kinderkonzert des WDR Sinfonieorchesters). Und wer eignet sich wohl besser dazu, sie im vollen Glanz aufzutischen, als das Prager Orchester? Selbst mit nur 6 Cellos und 3 Kontrabässen geht ihnen das Werk runter wie Butter. Angefacht durch eine Horngruppe, die wirklich das Kraftwerk dieses Orchesters ist und bereits vom ersten Ton an voll da ist, über wunderbar lyrische Einsätze der Flöte und brillierende Themeneinwürfe von Trompete und Posaune – der erste Satz ist ein richtiger Freudenschmaus.
Auch der zweite Satz mit seinem heute wunderbar vorgetragenen Englischhornsolo gelingt fabelhaft. Dies ist eine der wenigen Aufführungen, die der Rezensent bisher miterlebt hat, in der sich auch die lyrischen Stellen ganz in Empfindsamkeit ergießen, ohne die Spannung zu verlieren. Originalgetreu bringen es die Prager dann auch noch fertig, die Tuba ausschließlich nur jene 12 Töne spielen zu lassen, die Dvořák ihr notiert hat – fast schon Wahnsinn, der andere Orchester normalerweise dazu bringt, die Tuba zur Untermalung mit den Posaunen zusammenzufassen. Diesen Kniff soll Dvořák angeblich angewandt haben, weil dessen Frau seinerzeit mit dem Tubaspieler eine Affäre gehabt haben soll. Ob’s stimmt? Das Resultat für den Tubisten ist heute jedenfalls dasselbe, wie zu Beginn des Abends für den Rezensenten: Langes Warten!
Qualitativ veredelt diese Aufführung auch in den Sätzen 3 und 4 ihr allerhöchstes Niveau. Selten hat man Dvořáks Neunte im Original so scharf und feurig gehört. Da kann man noch so sehr suchen, wirkliche Schwächen lassen sich bei diesem Orchester nicht ausmachen. Und auch der junge Dirigent Gabriel Bebeşelea aus Rumänien gibt sich keine Blöße, sondern präsentiert hier eine ganz fantastische Leistung, die am Ende auch mit einem tosenden Applaus beglückwünscht wird, zu dem sich das Publikum beinahe geschlossen erhebt und alle Künstler regelrecht abfeiert. Das war wirklich fabelhaft, fast schon perfekt, was sie dargeboten haben.
Was könnte angesichts eines solchen Erlebnisses den Abend noch ruinieren? Na, da gibt’s ja noch die Heimreise! Inzwischen ist es 23:12 Uhr, der Rezensent sitzt wieder am Bahnhof fest und wartet. Der erste Zug zurück ist – raten Sie mal – bereits ausgefallen, der nächste hat schon wieder 10 Minuten Verspätung. Zeitgleich liest der Rezensent die Nachricht, dass am Montag Bahn und ÖPNV wieder streiken werden – als ob Arbeitsverweigerung auch noch eine Gehaltserhöhung rechtfertigen würde. Zu diesem Zeitpunkt ist unklar, ob der Rezensent noch vor 0 Uhr zuhause ankommt. Ist ja nicht so, als müsste man am nächsten Tag arbeiten. Philharmonie am Gleis? Lächerlich! Angesichts einen solchen institutionellen Totalversagens kann man nur raten: Fahren Sie bloß mit dem Auto ins Konzert! Alles andere ist zum Scheitern verurteilt, da können selbst Weltklasse Spieler, wie heute Abend nichts dran ändern.
Daniel Janz, 23. März 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Schöner Bericht, danke! Auch für das Wort „Freudenschmaus“.
Neulich habe ich etwas schier Unglaubliches erlebt. Es war wie eine Erscheinung der Jungfrau Maria. Also ziemlich unwahrscheinlich.
Zum ersten Mal in etwa zehn Jahren (!) hatte ich eine Reise mit der Deutschen Bahn, bei der wirklich alles reibungslos geklappt hat. Also: Abfahrtsbahnhof wie vereinbart; Ankunftsbahnhof wie vereinbart; einmal Umsteigen ohne Probleme; keine „umgekehrte Wagenreihung“; kein „verspätetes Personal aus vorheriger Fahrt“; keine „Störungen im Betriebsablauf“; kein „Schienenersatzverkehr“; intaktes Waggonmaterial, also keine „Reparatur am Zug“; keine „Stellwerksstörung“; keine plötzlichen Gleiswechsel; keine Baustellen oder Zugausfälle; und vor allem: eine auf die Minute pünktliche Ankunft am Zielort.
Und wenn ich von Pünktlichkeit spreche, lege ich japanische Maßstäbe an. Immer. Nicht diese sechs Minuten, mit denen die ohnehin schon miserablen DB-Statistiken alljährlich notdürftig frisiert werden, und aus denen dann doch irgendwie immer zehn Minuten oder mehr werden. Haben Sie mal mitgezählt, wie viele Minuten zwischen Ankündigung am Gleis und tatsächlicher Abfahrt liegen? Das ist noch so’n Trick. (Ganz zu schweigen von der berüchtigten „KVB-Minute“ in Köln, also zwanzig Minuten lang „Bahn kommt in 2 Minuten“ auf der Anzeigetafel einblenden.)
(Einmal war ich, aus Amsterdam kommend, pünktlich in Köln, und die Türen des ICE gingen nicht auf. So etwas zählt also nicht.)
Habe ich in Köln einen Thalys oder ICE zu erwischen, oder steht um 20 Uhr ein wichtiges Konzert an, fahre ich inzwischen immer mindestens drei Regionalzüge früher, lieber fünf, aber es ist eine Zeitfrage.
Ich lebe in Bad Godesberg und nehme gern das Auto mindestens bis zum Bahnhof, denn die Busverbindungen am späten Abend sind dürftig, und das in einer ehemaligen Bundeshauptstadt mit immerhin knapp 330000 Einwohnern.
Wie oft stand ich an der Bushaltestelle oder am Bahnhof und war froh, ein Auto zu besitzen, denn was nicht kam, war der Bus bzw. die Bahn, und ich hätte so manchen Fernzug oder Flieger verpasst.
Aber man versucht’s doch immer wieder, der Umwelt zuliebe, mit einer geradezu masochistischen Unvernunft gegen die eigenen Erfahrungen, und mit einer Resilienz gegen die hausgemachte Inkompetenz der DB, in großen Teilen resultierend aus Börsengeilheit und Gier. Die zuverlässige und pünktliche Beförderung von Personen wurde zur Nebensache, und die Politik hat’s zugelassen.
In hörenswerten zehn Minuten über das Reisen im ICE – das ist übrigens die Zeitspanne, in der Edmund Stoiber weiland „in den Hauptbahnhof einsteigen“ wollte – bringt es der von mir verehrte Sprachkünstler Jochen Malmsheimer auf den Punkt:
„Wir sind immer häufiger wider besseres Wissen gezwungen, die Dienste der Deutschen Bahn in Anspruch zu nehmen, wobei ich der festen Auffassung bin, dass die Deutsche Bahn eines der wenigen Unternehmen weltweit ist, das allein durch seine pure Aufgabenstellung überfordert ist, d.h. jemanden innerhalb eines vorher festgesetzten Zeitraumes en bloc, also gesund, von A nach B zu befördern; von C hab ich noch gar nicht gesprochen…“
Dr. Brian Cooper
Sehr geehrter Herr Janz,
Ihre Verärgerung kann ich sehr gut verstehen, jedoch sind Sie m.E. mit Ihrer Formulierung „Zeitgleich liest der Rezensent die Nachricht, dass am Montag Bahn und ÖPNV wieder streiken werden – als ob Arbeitsverweigerung auch noch eine Gehaltserhöhung rechtfertigen würde“ übers Ziel hinausgeschossen. Als regelmäßiger Nutzer des ÖPNV weiß ich um die Nöte des Personals, die ebenso unter den Missständen der sachlichen und personellen Infrastruktur leiden. Die dauernden Verspätungen, Umplanungen etc. machen auch dem Personal zu schaffen, sowohl rein nervlich, als auch mit Überstunden etc. Wenn es nicht so ernst wäre, könnte man über die zunehmend ironischen Durchsagen in Zügen lachen. Oder über die Bemerkung der Beratarin beim DB Schalter, die mir riet, lieber mit dem Auto von Köln nach Berlin zu fahren, sie sei da letztens wieder einmal schneller als der ICE gewesen. Arbeitsverweigerung seitens des Personals ist es sicher nicht, was den ÖPNV in den Abgrund geführt hat; es ist die fehlgeleitete Verkehrspolitik der letzten 70 Jahre, insbesondere der letzten zwei Jahrzehnte (Privatisierung und mangelnde Infrastrukturmaßnahmen). Das soll in keiner Weise in Abrede stellen, dass Sie zurecht verägert sind, bei einer so großzügigen Zeitplanung nicht rechtzeitig angekommen zu sein. Vielleicht hilft Ihnen der Gedanke, dass ich Sie dennoch beineide, wunderschöne Teile eines tollen Konzert erlebt zu haben.
Guido Grass
Lieber Herr Grass,
wenn man es nur von er Seite der Arbeitnehmer betrachtet, ist der Arbeitskampf gerechtfertigt, aber falsch platziert. Da sollte es darum gehen, dem Unternehmen Dampf zu machen, indem man die Einnahmen wegbrechen lässt – sprich, die Ticketverkäufe. Was wäre der Aufschrei in der Chefetage wohl groß, wenn bei fahrenden Zügen die Kontrolleure einen ganzen Tag lang niemanden mehr kontrollieren und die Automaten kein einziges Ticket verkaufen würden – quasi Bahnfahren umsonst? Die Bahnangestellten kämen ihrer politisch angestrebten (und im Hinblick auf den Klimawandel ersatzlos notwendigen) Aufgabe weiter nach und täten nicht nur was für den eigenen Geldbeutel, sondern auch noch was für die Verbraucher. Wie sehr würde die Zustimmung in der Bevölkerung explodieren? Dann hieße es nicht mehr „Bahnstreik – nicht schon wieder“, sondern „Bahnstreik – jetzt erst Recht. Macht den Bossen Feuer unter’m Hintern“.
Stattdessen ruinieren sie nicht nur den Ruf ihres ohnehin schon desaströsen Unternehmens durch noch mehr Ausfälle und blockieren das gesamte Land, sondern sie machen es auch noch notwendig, dass alle anständigen Arbeitnehmer auf die Straße ausweichen müssen – dorthin, wo Klima-Kriminelle und Idealisten uns das Leben bereits zur Genüge schwer machen, weil („How dare you“) wir uns Mobilität gar nicht mehr leisten können sollen. Und das unverschämteste daran – wir Verbraucher sind am Ende auch noch die Dummen, weil in der Folge des Streiks die Bahntickets wieder um dutzende Prozent teurer werden. Für ein Verkehrsmittel, das in seinem jetzigen Zustand ohnehin schon obsolet ist, zu dem man uns aber zwingen will, es zu benutzen, egal wie miserabel es doch funktioniert. Soll das die Alternative sein, dass wir uns die Arbeit selbst nicht mehr leisten können, weil der Weg zur Arbeit bereits zu teuer ist? Sollen wir dann alle zuhause bleiben und Sozialleistungen kassieren? Das wäre nämlich die – leider schon lange nicht mehr unrealistische – Folge.
Eine solche Maßnahme, die zur Verschärfung von einerseits sozialen Verwerfungen, andererseits (und viel gravierender) zum Klimawandels auch noch beiträgt, ist unsolidarisch und gefährlich für unseren gesamten Planeten. Dazu auch noch moralisch verwerflich und unseren Kindern gegenüber blanker Hohn. Können die sich von den 500 € mehr im Monat eine neue Erde kaufen, wenn unser Planet uns vertrocknet ist? Werden die sich noch darüber freuen können, dass ihre Eltern und Großeltern für ein paar Groschen mehr in der Geldbörse tagelang das Land lahmgelegt und andere Menschen dazu gezwungen haben, zur Verschärfung einer globalen Krise beizutragen, die unser aller Zukunft zerstört, um ihre eigene Existenz nicht zu gefährden?
Natürlich haben die Arbeitnehmer bei der Bahn ein Anrecht auf faire und angemessene Bezahlung. Und ganz besonders auch auf funktionierendes Arbeitsmaterial. Deshalb muss die Lösung da ansetzen, wo Kontinuität und Sicherheit sowohl für sie als auch für uns als Bevölkerung im Sinne einer Mobilitätsgarantie gewährt sind. In meinen Augen gibt es daher nur die Möglichkeit, die Bahn wieder komplett unter staatliche Kontrolle zu stellen, das Unternehmen zu verstaatlichen und die Bahnangestellten zu verbeamten, so wie es früher der Fall war. Mir persönlich wäre obendrein lieb, wenn der Bahnvorstand kollektiv wegen Untreue im Knast landen und ihre Vermögen, die sie ja nur dadurch aufbauen konnten, weil sie die Infrastruktur marodiert und die Angestellten zu Billigarbeitern degradiert haben, eingezogen würden.
„Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen“ (Art 14.2 G.G.). Wer dieser grundgesetzlichen Pflicht nicht nachkommt, so wie es beim gesamten Bahnvorstand der Fall ist, der hat damit nicht nur dieses Eigentum nicht verdient, sondern schadet damit auch noch uns allen.
Daniel Janz
Lieber Daniel,
die Deutsche Bahn hat viele tolle Mitarbeiter – aber ist primär ein Laden, der vom Kopf her stinkt.
Es fehlt in diesem Unternehmen an Exzellenz. An emotionaler, geistiger, unternehmensführerischer, langfristig agierender Intelligenz.
Es gab fast nie einen guten Chef, eine gute Chefin von oben.
Hartmut Mehdorn war eine Lachnummer. Ein alter Mann, er hat gar nix gerissen. Der am 6. Mai 1964 in Landstuhl geborene Bahn-Chef Horst Richard Lutz hat auch noch nix gerissen. Bahn-Chef Richard Lutz bekommt seit diesem Jahr eine deutliche Gehaltserhöhung. 90.000 Euro mehr wird Lutz 2023 verdienen – ein Zuschlag von zehn Prozent auf sein Grundgehalt von 900.000 Euro – mir schnürt sich der Hals zusammen, bei dem, was dieser Mann „leistet“… Er sollte sich schämen für seine Underperformance. Nun, lieber Daniel, die Inflationsrate in Deutschland lag 2021 bei 3,1 Prozent und 2022 bei 7,9 Prozent. Wenn die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di dann 10,5 Prozent mehr fordert, ist das immer noch ein Minus in den Taschen der hart arbeitenden Dienstleister, die unser marodes Land (immer noch) am Leben erhalten. Der Bahn-Chef mit seiner Millionen-Jahresgage hält das Land definitv nicht am Leben. Er ist ein Abstauber, eine lame duck. Außerdem weiß jeder, dass die Inflation für die Unter- und Mittelschichten viel höher ist. An der Tankstelle. Bei Strom und Gas. Und im Supermarkt, wo bei Edeka die Preise seit 2 Jahren um ca. 30 Prozent zugenommen haben.
Also, lieber Daniel, fahre weiter Bahn, steige SEHR früh ein… und bete…
Andreas Schmidt, M.A.
Journalist, Autor
Herausgeber
Sehen Sie mir bitte nach, dass ich bei dem Thema emotional bin. Das sollte keine Anfeindung sein – weder gegen Sie noch die Bahnangestellten.
Sehen Sie gleichzeitig bitte auch meine Entrüstung. Uns wird immer vorgebetet, wie sehr wir durch unseren Lebenswandel doch der Umwelt und all unseren Mitmenschen schaden. Und dann gibt man sich selbst als „klimabewusster Trottel“ schon die größte Mühe, mit viel Aufwand, finanziellen Einbußen und Einschnitten in anderen Bereichen ein besseres Vorbild zu sein und dann werden einem dazu auch noch die Mittel entzogen. Doch der größte Hohn ist dann, dass man am Ende auch noch dafür angefeindet wird, wenn man aus der Not heraus zum insgesamt geringeren Übel (in diesem Fall das Auto anstatt der Bahn) greift. Da kann einem doch die Galle hochkommen! Und genug Menschen nehmen das zum Anlass, dann eben auf das Klima zu pfeifen – frei nach dem Motto „nach mir die Sintflut“.
Das ist natürlich nicht Ihre Schuld, es ist aber Konsequenz des Handeln der Streikenden bei der Bahn. Schrecklich, dass Politik und so genannte „Klima-Aktivisten“ davor die Augen versperren und uns zugleich Ölheizungen und Verbrennungsmotoren verbieten. Der handfeste Skandal ist, dass es überhaupt so weit kommen konnte. Das Umdenken muss dort anfangen, wo die Entscheidungen getroffen werden und das ist bei denjenigen, die anstatt uns aus der Klimakrise herauszuführen diese auch noch durch soziale Krisen verschlimmern und dadurch die Bevölkerung aufbringen – gegen einander und gegen das Klima. Das muss aufhören und zwar SOFORT! Sonst ist in 20 Jahren die Frage, wie ich abends noch zum Konzert komme unsere geringste Sorge. So werden wir jedenfalls weder unsere Klimaziele erreichen, noch den Klimawandel aufhalten können.
Daniel Janz
Ich kann den Rezensenten so gut verstehen.
Ich bin neulich an einem Freitag von Düsseldorf nach Duisburg (Fahrtzeit 24 Minuten) fünf (!) Verbindungen eher gefahren und kam trotzdem erst eine Viertelstunde von Beginn an der Duisburger Oper an. Was soll man machen? Bereits zur Mittagszeit losfahren?
Jürgen Gauert