Fotos: Wiener Staatsoper/Michael Pöhn
Eine beispiellose Begeisterung der Opernwelt beherrscht mal wieder das Haus am Ring. Da braucht man kein Wagner-Fan zu sein, um diese Form der Kunst voll einsaugen zu können. Diese Grabenakustik hat endlich mal das Zeug, so richtig Saft aus dem Wagner-Sound zu holen. Wien zeigt Bayreuth mal wieder, wo der Hammer hängt!
Wiener Staatsoper, 15. April 2023
Lohengrin
Musik und Libretto von Richard Wagner
von Johannes Karl Fischer
An diesem Abend scheint das Glück ohne Reu’ nicht nur die Kunst zu treffen. Kaum spaziere ich zum Stehparterreaufgang hinauf, spricht mich ein mir unbekannter Gast an: „Ich hätte eine Parkettkarte zu verschenken.“ Völlig sprachlos war ich meines Glücks zu Danke, da wird wohl kaum einer nein sagen. Und so landet man auch mal in der ersten Reihe der Wiener Staatsoper…
Was für eine namenlose Freude! Denn was da im Graben abgeht, ist selbst für dieses Haus der künstlerischen Extraklasse ein völlig einzigartiger Abend. Omer Meir Wellber zaubert schwebende Wunderklänge feiner als der himmlischste Engelgesang in das Haus, bevor er Orchester und einen aus ganzem Leib und voller Seele singenden Chor mit Schwung in jauchzenden Jubel triumphieren lässt.
Ein „junger Wilder“ mit einem höchst feinen Gespür für den Wagner-Klangzauber… so dürfte die Zukunft dieser Kunst gesichert sein! Selbst beim sonst eher skeptischen Wien-Publikum herrscht Thielemann-Stimmung, bravo-Stürme fegen durch das Haus schon lange vor dem Schlussapplaus. Was für ein Glück, dass die Hamburgische Staatsoper am Gänsemarkt diesen Ausnahmedirigenten zu dessen dringend benötigter Aufheiterung berufen hat!
Ebenso triumphal gelingt Nina Stemmes Rollendebüt als Ortrud. Ihre kraftvolle, höchst selbstbewusste Stimme wird zur stimmlichen Strippenzieherin der Handlung. Dass sie stets das Böse will, nimmt man ihr in ihren Rufen und Klagen am laufenden Meter ab. Eine Idealbesetzung für diese Rolle. Wie eine Dämonin, die hinter Tischen und Stühlen ihre Truppe versteckt und nur auf den richtigen Zeitpunkt wartet, ihre Gegnerin auszuschalten. Doch dazu kommt es in dieser Oper nicht wie geplant. Dank sei vor allem einem Ritter Lohengrin.
Piotr Beczałas Titelpartie gerät zum Sieg und Schmach zugleich des Abends. Im Vordergrund steht seine heldenhafte, kämpferische Darbietung der Titelpartie. Mit Schwert und Lanze – oder doch eher mit Messer – stürzt er sich in den Kampf gegen Telramund, siegt glorreich über das Böse. „Tragt den Erschlagnen vor des Königs Gericht!“ klingt wie der Befehl eines omnipotenten Herrschers von Brabant. Kein Wunder, dass Elsa gegenüber diesem donnernden Ritter-Retter ein ängstliches Misstrauen entwickelt.
Leider waren die ersten – und doch sehr prägenden – Töne seiner Partie von schleifenden Dauerglissandi und unsicheren Notenansätzen geprägt. Ausgerechnet auch noch in der Schlager-Arie „Nun sei bedankt, mein lieber Schwan.“ Vorschlag: Beim nächsten Mal diese paar Zeilen einfach ein, zwei Mal mehr vorher ansingen. So viel ist das nicht. Oder sollte das alles ein künstlerischer Ausdruck des sichtlich verwirrten Ritters sein, der – in dieser Inszenierung soeben aus einem Schwan verwandelt – sich erstmal in dem menschlichen geistlichen Zustand zurechtfinden muss?
Ebenso geistlich verwirrt ist die Elsa. Von den Edlen von Brabant – hier eine Art biersaufende, in Lederhosen uniformierte Burschenschaft – wird sie kreuz und quer über die Bühne gejagt. Lohengrin muss sie nicht vor der schweren Klage des Telramund retten.
Doch hält Frau Nylund mit ihrer federsanften, trotzdem fesselnden Stimme wieder einmal Bühne und Publikum in Atem. Wie eine siegende Sieglinde spornt sie im dritten Aufzug alle anderen zu Höchstleistungen an, legt die Latte immer ein bisschen höher, bis auch Beczała alle gesanglichen Goldmedaillen im Tenorwettbewerb für sich entscheidet.
Treibende Kraft der Handlung ist aber Friedrich von Telramund, der mit seiner grundlosen Klage alles an übrig gebliebenem Recht und Gerechtigkeit dieser Welt zerstört. Das konnte Tomasz Konieczny diesmal nicht immer perfekt verkörpern…
Bitte keine Missverständnisse, das ist ein kraftvoller Sänger von beispielloser Weltklasse. Aber sein Telramund ist – charakterlich – eher ein Nörgler aus der letzten Reihe. Diesen Kläger würde kein Richter ernst nehmen!
Der König Heinrich ist ja auch kein Jurist, viel eher ein mächtiger Herrscher. Den Tareq Nazmi mit donnernder Stimme bestens verkörpert. Wie ein oberster General, der – in den höchst zutreffenden Worten Günther Groissböcks – „eigentlich für seinen Kampf gegen die Ungarn Truppen zu rekrutieren“ sucht. Die findet er nicht, stattdessen ergibt sich ein gänzlich anderer Kampf aus dieser Geschichte. Da konnte Clemens Unterreiner als Heerrufer nicht wirklich mithalten, etwas zu viel komödiante Spielerei und zu wenig königliche Triumphzug-Ankündigung.
Doch bei allen gesanglichen Glanzleistungen des Abends brilliert auch Andreas Homokis geniale Inszenierung. Elsa ist ein gesellschaftliches Opfer dieses erzkonservativen brabantischen Volkes, letztendlich ist auch Lohengrin nicht wirklich anders. Eine von Vernunft getriebene Elsa sucht sich aus dem Zwängen ihrer Gesellschaft zu befreien. Am Ende ist auch sie hilflos gegen die alteingesessenen Machtstrukturen, daran scheitert das ganze Geschehen. So kann man diese recht verworrene Handlung auch im 21. Jahrhundert bestens verstehen!
Ein triumphaler Abend der Extraklasse geht zu Ende, stimmlich wie szenisch. Und für alle, die es interessiert: Beczała hat auch in der österreichischen Hauptstadt „Führer“ gesungen. Die Diskussion um diesen umstrittenen und höchst problematischen Text wird spätestens beim nächsten Bayreuth-Lohengrin weitergehen.
Johannes Karl Fischer, 16. April 2023 für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Rückblick: München/Bayerische Staatsoper: „Lohengrin“ – Premiere am 3. Dezember 2022
Richard Wagner, Lohengrin Theater Lübeck, 4. September 2022 PREMIERE
Richard Wagner, Lohengrin Festspielhaus Bayreuth, Bayreuther Festspiele, 22. August 2022
Die Intonationsprobleme, die Beczała schon seit einiger Zeit hat, sind nicht einmal euphemistisch als Glissandi zu bezeichnen (dazu müssten sie vom Komponisten angegeben sein, sonst wären es Portamenti, die aber bei Wagner nichts verloren haben). Aber Beczała setzt schlicht häufig zu tief an und muss dann auf die richtige Tonhöhe hochziehen. Das ist kein künstlerischer Ausdruck, sondern einfach schlecht. Offensichtlich hören das aber nur wenige. Es passiert ihm nicht nur hier am Anfang von „Lohengrin“. Was gemeint ist und wie sehr er sich verändert hat, kann man bei YouTube vergleichen: „Celeste Aida“ am 1.8.2017 mit Marco Boemi und im Nov. 2022 im Teatro Real in Madrid.
Eva Arts
Liebe Frau Arts,
herzlichen Dank für diese richtige Einschätzung des Gesangs Beczałas.
Ich höre das zu tiefe Ansetzen der Töne bei ihm seit spätestens 2016… und habe öfter darüber geschrieben….
Herzlich
Andreas Schmidt
Übrigens noch eine kleine Frage am Rande an Herrn Fischer: Wieso mischt bei Lohengrin und Elsa plötzlich die Priesterschaft mit? „menschlichen geistlichen Zustand“, „geistlich verwirrt ist die Elsa“? Oder meinten Sie „geistig“?
Eva Arts
Der Schwan ist der verzauberte Bruder von Elsa und mitnichten Lohengrin selbst – wenn man Kritiken über Opern schreibt sollte man vielleicht schon ein bisschen besser informiert sein, finde ich….
Irene Gschnait
Liebe Frau Gschnait,
natürlich singt Ortrud in der Schlussszene „Am Kettlein, das ich um ihn wand, ersah ich wohl, wer dieser Schwan: Es ist der Erbe von Brabant!“ (also Gottfried). Aber woher wissen wir, dass sie die Wahrheit sagt? Sie könnte doch genauso gut eine Lügnerin sein. Das kaufe ich jeder Regie auch sofort ab.
In Homokis Inszenierung verschwindet der Schwan (eine Holzfigur) im Getümmel des Volkes „Sei gegrüßt, du gottgesandter Mann!“, anschließend liegt ein sichtlich verwirrter Lohengrin im weißen Gewand auf dem Boden der Bühne. Ich finde, diese Inszenierung schreit danach, den Schwan als verwandelten Lohengrin zu interpretieren. Und Ortrud eben als Lügnerin.
Ob Andreas Homoki das auch so sieht, ist eine andere Frage. Aber die Rezeption einer Inszenierung ist bitte keine Einbahnstraße von der Regie zum Publikum. Sonst wäre die Opernszene um einiges langweiliger.
Johannes Karl Fischer
Ach Herr Fischer, Ortrud hat sich ihre Worte nicht aus den Fingern gezuzelt, sondern bezieht sich auf Lohengrins Worte „Mein lieber Schwan … Dann kehrte, selig in des Grals Geleite, dein Bruder wieder, den du tot gewähnt.“ Bitte nachlesen! Zusammenhänge sinnerfassend lesen ist eine Grundvoraussetzung für kritische Betrachtungen, ebenso korrekte Sprachbeherrschung und eine gewisse Grundausstattung an gesanglicher und musikalischer Kompetenz bei Opern.
(Übrigens ist die beschriebene „Auftrittsszene“ von Lohengrin eins zu eins aus der Guth-Inszenierung an der Scala abgekupfert; fand ich ziemlich dreist von Homoki.)
Eva Arts