Was Konieczny nun als Telramund auf die Bühne stemmt, ist schier unglaublich. Potenz, Männlichkeit und Bärenkräfte.
Foto © Wiener Staatsoper / Michael Pöhn
Es gibt ein Glück. Bei Omer Meir Wellber lässt es sich aber erst spät blicken. An der Wiener Staatsoper leitet der gebürtige Israeli gerade die „Lohengrin“-Serie. Erst nachdem Elsa nicht den Mund halten kann und das Frageverbot bricht, lässt der zukünftige GMD der Hamburgischen Staatsoper dem Orchester freien Lauf. Zuvor beherrscht ein anderer die Szenerie. Bassbariton Tomasz Konieczny feiert eine sensationelle Rückkehr.
von Jürgen Pathy
„Es war einfach alles viel zu hektisch“, lautet das Resümee. Nach über drei Stunden, in denen Omer Meir Wellber vor allem eines gegeben hat: Vollgas! Rund 58 Minuten benötigt der Israeli für den ersten Akt. Rekordverdächtig, betrachtet man die Zeiten, die man auf Wikipedia für den „Lohengrin“ so findet. Der Italiener Alberto Erede und der Schweizer Silvio Varviso teilen sich den Rekord. Zumindest in Bayreuth, für das man anscheinend alles minutiös notiert hat. An der Wiener Staatsoper bleibt dabei dann einiges auf der Strecke.
Bereits das Vorspiel ist gezeichnet von Unruhe, Disharmonien und der Suche nach dem mysteriösen Klangzauber, den Wagner tief in seinen Partituren versteckt hat. Die Streicher wirken gehetzt, das Gesamtgefüge zerfetzt. Die Mittelstimmen, die jetzt noch auf Schongang laufen, werden im Laufe des Abends mit noch mehr Verwirrung konfrontiert sein.
Wellber, der in schwarz-weißen Lederschuhen am Pult mal sitzt, mal steht, gibt sich zwar Mühe. Sinkt weit nach hinten in den Hocker, wenn er die Dynamiken extrem dosiert haben möchte. Springt auf und reißt die Arme in die Höhe, wenn er es mal ordentlich krachen lassen möchte. Das mag alles Hand und Fuß haben. Durch einen zu dominanten Zug zum Ziel, verliert er aber das Wesentliche aus den Augen.
Der „Lohengrin“, dieses ätherisch „blau-silbern“ gehaltene Wunderwerk, wie Thomas Mann es einst bezeichnet hat. Der muss fließen, eine Sogwirkung entfalten, die primär nur aus dem Orchestergraben geboren werden kann. Jedes Mal aufs Neue. Wer da zu forsch aufs Tempo drückt, läuft eben Gefahr, das Geheimnisvolle im Keim zu ersticken.
Dabei muss das Ganze gar nicht im Widerspruch zueinander stehen. Cornelius Meister hat erst im Juni 2021 bewiesen, dass extreme Tempi und Dynamiken durchaus auch in Einklang zu bringen sind mit der mystischen Atmosphäre, die eine hervorragende Lohengrin-Vorstellung auszeichnen. Nur Hektik, die dürfte dabei fehl am Platz sein. Das Fatale noch dazu: In diesem Anflug von Chaos haben selbst die weltbesten Sänger ihre Mühe.
Besser geht es im Augenblick wohl kaum
Nina Stemme, klar, der Furie vor dem Herren, der kann nichts so leicht übel mitspielen. Die gestaltet ihr Rollendebüt als Ortrud ziemlich schrill und laut. „Eine Weltklasseleistung“, behaupten da einige. Textverständlichkeit sucht man halt lieber woanders, könnte man entgegensetzen.
Camilla Nylund legt Wellber auch nichts in den Weg. Die erscheint als ziemlich reife Elsa, die schon lange aus den Kinderschuhen entwachsen ist. Eine Brünnhilde, die Nylund vor kurzem erst in Zürich ins Repertoire aufgenommen hat, hinterlässt da natürlich ihre Spuren. Jugendlich, naiv und zierliches Püppchen, das war gestern einmal. Da muss sich ihr Lohengrin schon mal richtig warm anziehen.
Der ist nicht nur weit gereist. Erst vor wenigen Wochen ist man Piotr Beczała an der New Yorker Met zu Füßen gelegen. In Wien meint Omer Meir Wellber es auch nicht immer ganz so gut mit ihm. Zum Glück hat der Pole die Partie bereits so verinnerlicht, dass ihn nichts so schnell aus der Bahn werfen kann. Das Frageverbot gerät zum vollen Erfolg. Nach der Gralserzählung streut man ihm auch hier nur Rosen. „Einen besseren Lohengrin hab ich bislang nicht gehört“, lobt ein Gast aus Deutschland.
Nur einer toppt das Ganze noch einmal: Publikumsliebling und Wien-Heimkehrer Tomasz Konieczny, den man leider nur mehr viel zu selten hier bewundern darf. Unter Ex-Direktor Dominique Meyer hat der Pole jahrelang das Zepter in Walhall gehalten. Was Konieczny nun als Telramund auf die Bühne stemmt, ist schier unglaublich. Potenz, Männlichkeit und Bärenkräfte. Das sind nur einige der Wörter, die da einem durch die Gedanken geistern. Auf der Galerie, Seite ganz links, wo mal wieder das übliche Tohuwabohu herrscht. Dass selbst er mal kurz ins Straucheln gerät, bestärkt dann nur den Eindruck, dass im Graben einiges in Schieflage geraten ist.
Tareq Nazmi als König Heinrich und Clemens Unterreiner als Heerrufer komplettieren die ausgezeichnete Besetzung.
Geteilte Meinung auf den Rängen
Das Publikum reagiert gespalten. Einerseits kocht die Bude, wie man das nur ganz selten hier erlebt. Bereits Omer Meir Wellbers Einzug nach den beiden Pausen gerät da fast zum Siegeszug. Auf der anderen Seite bäumt sich dann auch Widerspruch auf. Zur teils unverständlichen Euphorie, die da überwiegend vom Balkon aus fast aufs ganze Haus dann überschwappt, gesellen sich zum Schluss doch auch vehemente Buhs. Wellbers Entourage, könnte man bei den Überschwänglichen vermuten. Touristen, die keine Ahnung haben, wenn man arrogant und präpotent argumentieren wollen würde. Letzten Endes vermutlich von allem etwas.
Immerhin hat Wellber schon bewiesen, dass er ein ausgezeichneter Dirigent sein kann. In Warschau, da hatte der amtierende Musikdirektor der Volksoper Wien erst Ende letzten Jahres ein unglaubliches Feuerwerk gezündet. Nur so und nicht anders, kann man das bezeichnen, was er dort aus Mahlers Fünfter herausgequetscht hat. Ein Erlebnis für die Ewigkeit. An der Wiener Staatsoper benötigt er vielleicht noch Zeit. Um sich an das Orchester heranzutasten und vielleicht auch noch an Wagner. Oper und Konzert sind eben immer noch zwei paar Schuhe.
Jürgen Pathy (klassikpunk.de), 16. April 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Jürgen Pathy, Baujahr: 1976, lebt in Wien. Von dort möchte der gebürtige Burgenländer auch nicht so schnell weg. Der Grund: die kulturelle Vielfalt, die in dieser Stadt geboten wird. Seit 2017 bloggt und schreibt der Wiener für Klassik-begeistert. Sein musikalisches Interesse ist breit gefächert: Von Bach über Pink Floyd, Nick Cave und AC/DC bis zu Miles Davis und Richard Wagner findet man fast alles in seinem imaginären CD-Schrank. Zur „klassischen Musik“, wie man sie landläufig nennt, ist der Rotwein-Liebhaber und Fitness-Enthusiast gekommen, wie die sprichwörtliche Jungfrau zum Kind: durch Zufall – aber auch relativ spät. Ein Umstand, weswegen ihn ein Freund wie folgt charakterisiert: „Du gehörst zu derjenigen ideellen Art der Zuhörer, die ich am meisten bewundere. Du verbindest Interesse, Leidenschaft und intelligente Intuition, ohne von irgend einer musikalischen Ausbildung ‚vorbelastet‘ zu sein.“