Herrenchor der Oper Köln © Karl & Monika Forster
Der Männerchor der Kölner Oper läuft grölend aus dem Ruder und verprügelt die Mannschaft des Holländers. Die musikalische Leistung ist glücklicherweise im Übrigen deutlich überzeugender. Mit Karl-Heinz Lehner, hier in der Rolle des Daland, hat die Kölner Oper einen glücklichen Fang gemacht.
Oper Köln, 21. April 2023
Richard Wagner „Der fliegende Holländer“
Musikalische Leitung: François-Xavier Roth
Daland: Karl-Heinz Lehner
Senta: Kristiane Kaiser
Erik: Maximilian Schmitt
Mary: Dalia Schaechter
Der Steuermann: Dmitry Ivanchey
Der Holländer: Joachim Goltz
Chor und Extrachor der Oper Köln
Gürzenich-Orchester Köln
Chorleitung: Rustam Samedov
Inszenierung: Benjamin Lazar
von Petra und Dr. Guido Grass
Draußen dräuen dunkle Regenwolken. Ein heftiger Sturm wird auch gleich drinnen auf der Bühne wehen. Diese ist mit rostigen Stahlplatten ausgelegt. Links und rechts stapeln sich zwei bis drei Container, die zunächst noch mit einer Plane bedeckt sind. Diese symbolisieren die Schiffe des Holländers und Dalands. Vorn, ebenfalls unter einer Plane verborgen, kann man Teile einer Galionsfigur erkennen. Die Hinterwand der Bühne ist mit locker wehendem Segeltuch bespannt, das im Laufe des Abends in verschiedenen Farben angeleuchtet wird.
In der Mitte der Bühne findet das Orchester in einem improvisierten Orchestergraben seinen Platz. Ein Steg führt quer über das Orchester hinweg, das damit auch etwas verdeckt wird. Eine sehr gute Bühnengestaltung, denn wenn sich das Orchester im Staatenhaus seitlich befindet, kann kein ganzheitlicher Klang entstehen.
Die bekanntermaßen schwierige Akustik im Staatenhaus, der langjährigen Ersatzspielstätte der Oper, lässt sich damit zwar nicht heilen, aber die Sängerinnen und Sänger haben es leichter sich über das Orchester hinwegzusetzen.
Die trockene Akustik kommt vielleicht dem auf Transparenz ausgelegten Dirigat von François Xavier Roth entgegen. In der Ouvertüre bleibt er angenehm zurückhaltend, so kann er später noch mit knallendem Blech auftrumpfen. Den kleinen Taktstock führt er mit großen, ausladenden Gesten. Immer wieder springt er vom Sitz auf, tanzt, und der Funke springt beim Orchester und in der Folge beim Publikum über.
Fraglich bleibt jedoch, warum er nicht bei der Chorleitung eingeschritten ist. Diese lässt insbesondere den Männerchor überwiegend zwischen Forte und Fortissimo changieren. Einverstanden, wenn damit die Authentizität von betrunkenen Matrosen erzielt werden soll. Doch damit wird jede andere Gestaltungsmöglichkeit verhindert: Sorgenvolles Fragen beim Anblick des Geisterschiffes und selbst fröhliches Feiern im letzten Akt hört man leider nicht.
Besonders überzeugen können die Sänger der männlichen Hauptrollen, allen voran Bassbariton Karl-Heinz Lehner. Er gestaltet mit kräftiger, sonorer Stimme die Rolle des Daland überzeugend: Die Gier nach Reichtum nimmt man ihm sofort ab. Er singt mit absolut deutlicher Artikulation, so dass Übertitel überflüssig sind. Nach Erfolgen in großen Häusern, von der Bayerischen Staatsoper, der Semperoper bis Bayreuth kann sich Köln überaus glücklich schätzen, ihn in dieser Saison als neues Ensemblemitlied der Kölner Oper begrüßen zu dürfen.
Richard Wagner legte höchsten Wert auf Textverständlichkeit. Deshalb hätte er seine Freude auch an den beiden Sängern, Joachim Goltz als Holländer und Maximilian Schmitt als Erik, gehabt. Auch die lyrischen Momente, mit gut ausgestalteten Gesangslinien gelingen beiden. Die statische Personenregie durchbricht Goltz, wie er im Gespräch später erläutert, gegen den Willen des Regisseurs. Herzlichen Dank hierfür!
Die Rolle des Erik ist verzwickt. Sie ist zwar eine Nebenrolle und doch besonders in dieser Inszenierung von zentraler Bedeutung. Wut, Verzweiflung, Sehnsucht, Eifersucht und Fürsorge, dies alles vermag Schmitt in den dicht gedrängten Momenten seines Auftritts stimmlich und darstellerisch zu transportieren.
Kristiane Kaiser liefert eine plausible Verkörperung der Senta. Sie betritt die Bühne mit einem Prolog, durch den deutlich wird, dass sie an den Ort ihrer Jugend zurückkehrt und das folgende Bühnengeschehen ihre Erinnerungen darstellt. Die Ballade der Senta intoniert Kaiser sicher, doch die ganz große Dramatik bleibt leider doch etwas auf der Strecke. Zwar sitzen die Töne auch bei den großen Tonsprüngen, jedoch scheint hier noch ein Quäntchen Kraft zu fehlen, was vielleicht auch auf das Konto des Staatenhauses geht. Im Weiteren trägt ihr kräftiger Sopran sie sicher über das Orchester hinweg. Sowohl die lyrischen Passagen, als auch die verzweifelten Ausbrüche in großer Höhe gelingen ihr scheinbar mühelos.
Dmitry Ivanchey klimpert als Steuermann sympathisch verschlafen bei der Nachtwache mit den Augen. Auch er ist seit 2022/23 ein neues Mitglied des Kölner Ensembles. Wir sind gespannt, wie der temperamentvolle Sänger sich in Diktion und Stimme entwickeln wird.
Die Inszenierung versetzt die Handlung in ein osteuropäisches Land in den 90er Jahren. Mary ist hier nicht Sentas Freundin, sondern eine alte Kombinatsleiterin. Dalia Schaechter warnt Senta mit altersschwacher Stimme und verkörpert in ihrer Rolle den Zusammenbruch der Sowjetunion. Ihre Stimme geht im allgemeinen Trubel unter und kann Senta nicht überzeugen.
Der von uns ansonsten so geliebte Opernchor enttäuschte leider. War der Chor Opfer der Inszenierung, in der Holländers Mannen als Rockerbande auftreten? Oder fehlte es hier bei der Einstudierung und Aufführung an hinreichender Leitung?
Noch während der Chor nach ihnen ruft, setzen sich die Zombies in Rockerkleidung schon zu den Frauen. Die ganze in der Oper angelegte Spannung verpufft, da der Chor völlig unnuanciert und teils nicht synchron genug singt. Die bangen Pausen des Wartens auf Antwort lässt auch Roth nicht zu. Schließlich wenden sich die Frauen eher gelangweilt als erschrocken von Holländers Mannen ab, da ihre Animierversuche bei den Rockerluschen erfolglos bleiben. Vom gruseligem Geisterschiff und seinen Untoten keine Spur, leider auch musikalisch nicht.
Unter dem Fortissimo des Männerchors schlagen die Norweger die Mannschaft des Holländers furchtlos zusammen. Diese musikalische Eskalation hätte vom Dirigenten verhindert werden müssen.
Auch andere Regieideen laufen ins Leere. Statt Perlen und Juwelen sind Waffen die Reichtümer des Holländers. Diese Idee wird aber nicht weiterverfolgt. Noch bevor der Handel ausgemacht ist, nimmt Daland heimlich eine Pistole, die er alsbald seiner Tochter Senta zusteckt. Denkt man diesen Ansatz weiter, kommt man womöglich zum Holländer-Finale in der Version, die letztes Jahr in Bayreuth zu sehen war: Senta erschießt den Holländer.
Nicht so in Köln: Am Ende des Abends lässt Senta ihre beiden Liebhaber, Erik und den Holländer, als zerstörte Ex verzweifelt zusammengesunken an einem Tisch zurück. Sie steckt die Galionsfigur wie eine osteuropäische Masleniza-Puppe oder den kölschen Nubbel in Brand und erlöst sich selbst von ihren Erinnerungen.
Doch warum erklingt hierzu nun ausgerechnet das Erlösungsmotiv des Holländers?
Wie so oft bringen Veränderungen des Regietheaters Brüche mit sich, die dem Werk nicht gerecht werden. Liebe bis in den Tod – so viel Mut ist heute kaum noch in der Oper zu finden, schade.
Und dennoch: Mit wenigen, genannten Abstrichen: Eine unterhaltsame Aufführung auf gutem Niveau. Die Zeit ist wie im Fluge vergangen. Als wir zufrieden nach Hause gehen, hat sich der Sturm gelegt. Die Wege sind nass, die Luft ist klar und die Stille der Nacht liegt friedlich auf der Stadt.
Petra und Dr. Guido Grass, 23. April 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at