Ileana Cotrubaş als Violetta – Photo Fayer Wien
In einem Gastbeitrag in der deutschen Wochenzeitung DIE ZEIT schildert die Regisseurin und Leiterin der Opernklasse an der „Hochschule für Musik Carl Maria von Weber“ in Dresden, Barbara Beyer, treffend das Ende einer „La Bohème“: „Es folgen die mächtigen Schlussakkorde, dann heftiger Applaus. Im Anschluss wird gegessen und geplaudert, über die Neuinszenierung von Puccinis Oper allerdings nur am Rande. Sie hat schließlich kaum etwas Neues zu erzählen. Auch in dieser Aufführung bleibt Mimì eine der Ikonen des schwachen Geschlechts.“
von Lothar und Sylvia Schweitzer
Barbara Beyer erinnert in dem Artikel an kritische Betrachtungen der sakrosankten Opern in den Siebzigerjahren. Nicht länger mehr wollte man Gilda oder Margarethe als Opfer zusehen. Auch Violetta sollte nicht mehr sterben müssen.
Wir wollen diese Typisierung einer Überprüfung unterziehen. Wir unterstellen jedoch der namhaften Regisseurin keine Verallgemeinerung und die LeserInnen sollen auch nicht Gefahr laufen, die Betrachtungen der Professorin einseitig misszuverstehen.
Sofort fällt uns als Gegenbeispiel Beethovens Leonore ein, aber diese Frauengestalt könnte die sprichwörtliche Ausnahme sein, welche die Regel bestätigt. Wir tun uns leichter, wenn wir zu den heiteren Opern gehen. In Verdis „Falstaff“ hat sich Sir John von den Frauen geschlagen zu geben, im „Figaro“ muss letzten Endes der Graf seine Gemahlin um Verzeihung bitten. In „Così fan tutte“ sind nicht generell die Frauen die Blamierten, sondern die „Herrschaftlichen“, die ihnen untergeordnete Despina ist die Gewitzte. In unserem letzten „Don Giovanni“ konnten wir mit Federica Lombardi zu unsrer Verwunderung eine stattliche, selbstsichere und resolute Donna Elvira beobachten, wie wir sie bisher nicht kannten, und die als Ergänzung zu dem meist sanft gezeichneten Don Ottavio gar nicht schlecht passen würde. Wir sind nahe daran, die beiden zu verkuppeln.
„La Bohème“ und „Madama Butterfly“ sind populärer als „La fanciulla del West“. Man könnte die Theorie aufstellen, weil in den beiden ersteren Fällen das Publikum mitleiden kann, während das Mädchen aus dem goldenen Westen „ihren Mann stellt“. Wenn auch Tosca für die Kunst und die Liebe gelebt hat, erweist sie sich im leider vergeblichen Bemühen ihren Geliebten zu retten als starke Frau. Ob Puccini seine letzte Oper je vollendet hätte, bleibt ein ungelöstes Rätsel. Kann ein eheliches Glück auf dem aufopfernden Tod einer anderen Frau aufbauen?
Die Geschichte von der klugen Bauerntochter passt nicht in das Schema der Ikone des schwachen Geschlechts. Alban Bergs Lulu liegen die Männer fast buchstäblich zu Füßen, was jedoch ihr kein Glück bringt.
„Und du wirst mein Gebieter sein und ich dir untertan.“ singt Arabella. Bei diesem Text darf kein irreführender Eindruck entstehen. Hugo von Hofmannsthal beschreibt seine Arabella in einem Brief an Richard Strauss: „Herrin der Situation, eine durchaus moderne Figur, ein Typ von jungen Frauen, welcher jetzt interessiert.“ Die etwas jüngere Schwester Zdenka wird mehr sanft und demütig charakterisiert, soll jedoch nicht mit einer Sängerin der Sophie besetzt werden, sondern es wird an eine Interpretin des Octavian gedacht! Der um Arabella werbende Witwer verliert, als er sich von Arabella irrtümlich betrogen fühlt, trotz seiner Reife die Contenance. Aber Arabella fühlt sich stark genug und ihm „verbunden, auf Freud und Leid und Wehtun und Verzeihn“.
Lothar und Sylvia Schweitzer, 2. Mai 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Schweitzers Klassikwelt (c) erscheint jeden zweiten Dienstag.
Lothar und Sylvia Schweitzer
Lothar Schweitzer ist Apotheker im Ruhestand. Gemeinsam mit seiner Frau Sylvia schreibt er seit 2019 für klassik-begeistert.de: „Wir wohnen im 18. Wiener Gemeindebezirk im ehemaligen Vorort Weinhaus. Sylvia ist am 12. September 1946 und ich am 9. April 1943 geboren. Sylvia hörte schon als Kind mit Freude ihrem sehr musikalischen Vater beim Klavierspiel zu und besuchte mit ihren Eltern die nahe gelegene Volksoper. Im Zuge ihrer Schauspielausbildung statierte sie in der Wiener Staatsoper und erhielt auch Gesangsunterricht (Mezzosopran). Aus familiären Rücksichten konnte sie leider einen ihr angebotenen Fixvertrag am Volkstheater nicht annehmen und übernahm später das Musikinstrumentengeschäft ihres Vaters. Ich war von Beruf Apotheker und wurde durch Crossover zum Opernnarren. Als nur für Schlager Interessierter bekam ich zu Weihnachten 1957 endlich einen Plattenspieler und auch eine Single meines Lieblingsliedes „Granada“ mit einem mir nichts sagenden Interpreten. Die Stimme fesselte mich. Am ersten Werktag nach den Feiertagen besuchte ich schon am Vormittag ein Schallplattengeschäft, um von dem Sänger Mario Lanza mehr zu hören, und kehrte mit einer LP mit Opernarien nach Hause zurück.“
Schweitzers Klassikwelt 86: Was uns in Opern am meisten zu Herzen ging klassik-begeistert.de
Schweitzers Klassikwelt 85: Schuld und Sühne klassik-begeistert.de, 4. April 2023
Schweitzers Klassikwelt 84: Freud und Leid mit Umbesetzungen