Buch-Rezension:
Barrie Kosky
„Und Vorhang auf, Hallo!“
Insel
von Peter Sommeregger
Zehn Jahre lang hat der australische Regisseur Barrie Kosky die Komische Oper in Berlin geleitet, und das Haus aus seiner Nischenexistenz an die Spitze des Rankings der drei Berliner Opernhäuser katapultiert. Das war nicht nur seinen exzellenten Inszenierungen geschuldet, er hatte und hat auch ein untrügliches Gespür für eine kreative Programmgestaltung und übergeordnete Konzepte.
Berlin und seinem Haus bleibt Kosky gottlob zumindest teilweise erhalten, man würde ihn nur ungern ziehen lassen. Mit dem soeben erschienenen autobiographischen Buch gibt er tiefe Einblicke in seine Wurzeln,seinen Werdegang und seine Arbeitsweise als Regisseur.
Kosky ist geprägt von seinen osteuropäisch-jüdischen Wurzeln, vor allem von seiner die Oper liebenden Großmutter Magda, einer Ungarin, die es nach Australien verschlagen hatte. Ihr verdankte der junge Barrie die Heranführung an die Welt des Musiktheaters, das bald zu seinem Lebensinhalt wurde. Die Schilderungen seiner Anfänge sind ausgesprochen originell zu lesen und helfen beim Verständnis seiner Persönlichkeit.
Den größten Teil des Buches nehmen die Schilderungen einzelner Inszenierungen Koskys ein, in denen er seine Vorgehensweise, seine Sicht auf die Werke inklusive einer klugen Analyse den Leser an die Methode seiner Regiearbeit heranführt. Er wählte dafür Eugen Onegin, Die Meistersinger von Nürnberg, Salome, Tosca und die Dreigroschenoper. Auch wenn man die entsprechenden Inszenierungen nicht gesehen hat, erfährt man viel über diese Werke, ihre Ursprünge und Entstehung.
Ausführlich behandelt Kosky auch seine intensive Beschäftigung mit den Operetten der letzten Jahre vor dem Bann jüdischer Komponisten und Librettisten durch die Nationalsozialisten. Operetten von Paul Abraham, Oscar Straus u.a. brachte Kosky zurück an sein Haus und läutete damit eine Renaissance dieser fast vergessenen Werke ein. Damit gab er der Komischen Oper den Geist des Metropol-Theaters zurück, in dem einst Richard Tauber und Fritzi Massary mit diesen Werken Triumphe feierten.
Interessant, dass Kosky die Muppet-Show als erste und wichtigste Quelle seiner Inspiration betrachtet. Bei näherer Betrachtung ist das aber gar nicht so abwegig, diese Show enthält Elemente, die weit über das Niveau einer reinen Unterhaltungssendung hinausgehen.
Man lernt viel über Musiktheater aus diesem Buch und erfährt einiges über den Künstler Barrie Kosky, der mit seinen jüdischen Wurzeln einen erfrischend differenzierten Zugang zu vielen Werken findet.
Das einzige Ärgernis dieser Publikation ist die Tatsache, dass der gesamte Text „gendergerecht“ mit der abscheulichen Verunstaltung der Sprache und der Ästhetik des Schriftbildes aufwartet. Will den kein Lektor sehen, wie aufgepfropft und lächerlich das wirkt? Man sollte den Zeitgeist kritisch hinterfragen, bevor man sich ihm ausliefert.
Peter Sommeregger, 1. Mai 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
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