Anna Netrebko (linkes Bild, Aida) und Elīna Garanča (rechtes Bild, Amneris) © Wiener Staatsoper / Michael Pöhn
von Lothar und Sylvia Schweitzer
Gleich zu Beginn der Oper singt Radamès eindringlich und mit viel Gefühl von seiner himmlischen Aida. Aida und Radamès sind bis zum tragischen Schluss nicht auseinander zu denken. Wo die Liebe hinfällt, denke ich für meinen Teil und frage gegen den Strich: Warum nicht Amneris?
Diese Frage beherrscht den Augenblick, wenn wir einen Abend erleben, an dem zwei Spitzensängerinnen wie Anna Netrebko und Elīna Garanča als Rivalinnen auftreten und die Garanča als Amneris eine so vornehme Ausstrahlung besitzt. Wenn meine Frau und ich uns in Radamès hineindenken, er konnte als junger Offizier nicht einmal davon träumen, in Augenhöhe ihrer durchlauchten Pharaonentochter zu gelangen. Aidas hoher Stand war ihm, obzwar Edelsklavin der Amneris, nicht bekannt.
Automatisch stellen wir uns als Sklavendienste schwere körperliche Arbeiten vor. Aber es gab unter den Sklaven in der Antike auch Chefsekretäre und ErzieherInnen. Aus heutiger Sicht war eine Sklavin, ein Sklave eine Person, die in einem Dienstverhältnis ohne Freizügigkeit und ohne Kündigungsrecht stand. Zumeist waren es Leute, die sich irreversibel verschuldet hatten, aber auch zur Kriegsbeute wurden. Der „Erfinder“ der Aida war der französische Ägyptologe Auguste Mariette. Wir können ihn leider nicht mehr fragen, ob man im alten Ägypten als Sklavin im rechtlichen Sinn überhaupt bündnis- und ehefähig gewesen wäre.
Auch wenn es dieselbe Inszenierung mit der gleichen Besetzung und derselbe Abend ist, gerade bei der Oper „erlebt das Publikum die Aufführung als mehrdimensional lesbares Ereignis“ (Barbara Beyer, Leiterin der Opernklasse der Musikhochschule Carl Maria von Weber, Dresden). Für meinen Teil hat gerade die Stimmlage des Mezzosoprans etwas Geheimnisvolles, was die Deutungshoheit des Librettos bezüglich Beurteilung der Amneris für mich in Frage stellt. Christine Lemke-Matwey, kämpferische Musikjournalistin und Librettistin, spricht von einem „Berührt-werden-Können des anderen Menschen über die Stimme“. Oder wie es Roman Lemberg, der sich mit innovativen Inszenierungsstrategien für Opern des Repertoires befasste, ausdrückt: „Man hört die Stimme und ist plötzlich einer Stimme ganz nahe.“ Überspitzt könnte man es eine intime Beziehung nennen.
Wir erlebten in Melbourne eine „Aida“, der die Innigkeit besonders auch in der Nilufer-Szene fehlte. Wir vermerkten: „Kein Wunder, dass die ganze Aufführung hindurch die Amneris der Titelsängerin die Schau stahl und wir von ihrer stimmlichen und dramatischen Darstellungskunst angezogen unwillkürlich Sympathie für die ägyptische Königstochter empfanden.“
Lothar und Sylvia Schweitzer, 30. Mai 2023, für klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Schweitzers Klassikwelt (c) erscheint jeden zweiten Dienstag.
Lothar und Sylvia Schweitzer
Lothar Schweitzer ist Apotheker im Ruhestand. Gemeinsam mit seiner Frau Sylvia schreibt er seit 2019 für klassik-begeistert.de: „Wir wohnen im 18. Wiener Gemeindebezirk im ehemaligen Vorort Weinhaus. Sylvia ist am 12. September 1946 und ich am 9. April 1943 geboren. Sylvia hörte schon als Kind mit Freude ihrem sehr musikalischen Vater beim Klavierspiel zu und besuchte mit ihren Eltern die nahe gelegene Volksoper. Im Zuge ihrer Schauspielausbildung statierte sie in der Wiener Staatsoper und erhielt auch Gesangsunterricht (Mezzosopran). Aus familiären Rücksichten konnte sie leider einen ihr angebotenen Fixvertrag am Volkstheater nicht annehmen und übernahm später das Musikinstrumentengeschäft ihres Vaters. Ich war von Beruf Apotheker und wurde durch Crossover zum Opernnarren. Als nur für Schlager Interessierter bekam ich zu Weihnachten 1957 endlich einen Plattenspieler und auch eine Single meines Lieblingsliedes „Granada“ mit einem mir nichts sagenden Interpreten. Die Stimme fesselte mich. Am ersten Werktag nach den Feiertagen besuchte ich schon am Vormittag ein Schallplattengeschäft, um von dem Sänger Mario Lanza mehr zu hören, und kehrte mit einer LP mit Opernarien nach Hause zurück.“
Schweitzers Klassikwelt 86: Was uns in Opern am meisten zu Herzen ging klassik-begeistert.de
Ein toller Bericht und ich mußte lachen.
Mit Mario Lanza habe ich auch angefangen. Das ging dann über die Tebaldi und den Del Monaco weiter.
Das waren so gute Sänger, die ich heute noch gerne höre.
Liebe Grüße,
Eva
Lieber Lothar! auch nachträglich alles Gute zum Geburtstag, konnten uns leider diesmal in Salzburg nicht treffen! bin sehr erfreut, dass Mario Lanza auch ein besonderer Liebling war, habe alle seine Filme mit meiner Mutter mehrmals, in Tränen aufgelöst, gesehen, habe auch viele alte Schallplatten, die können wir gelegentlich anhören?
LG Ingrid
Was ist der Erkenntnisgewinn dieses Textes? Dass die Schweitzers in Melbourne waren und dort eine Vorstellung von Aida gesehen haben?
Hindemith
Lieber Herr Hindemith!
Zugegeben, der Hauptgedanke ist von der Regisseurin Barbara Beyer entlehnt, dass nämlich eine Opernaufführung ein mehrdimensional lesbares Ereignis ist.
Lothar Schweitzer