Sommereggers Klassikwelt 187: Ferdinand Leitner – Stardirigent ohne Allüren

Sommereggers Klassikwelt 187: Ferdinand Leitner – Stardirigent ohne Allüren  klassik-begeistert.de, 31. Mai 2023

Foto: Ferdinand Leitner © wikipedia.com

Am 3. Juni sind es bereits 27 Jahre, dass der Dirigent in seinem Heim bei Zürich im Alter von 84 Jahren verstorben ist. Leitner war gebürtiger Berliner, aber wenn auf einen Künstler der Begriff Weltbürger passt, dann auf Ferdinand Leitner.


von Peter Sommeregger 

Studiert hat Leitner an der Musikhochschule seiner Heimatstadt. Seine Lehrer waren u.a. Franz Schreker, Arthur Schnabel und Karl Muck. Ursprünglich  wollte er eine Laufbahn als Konzertpianist einschlagen, entschied sich dann aber doch für das Dirigieren. Fritz Busch, der Deutschland des Nazi-Regimes wegen verlassen hatte, holte ihn 1935 als Assistent nach Glyndebourne. Damit war klar, dass Leitner während des „3. Reiches“ keine große Karriere machen konnte. Lediglich eine Stellung als Kapellmeister des Berliner Theaters am Nollendorfplatz konnte er von 1943 bis 1945 erlangen.

Nach dem Weltkrieg ist er für jeweils zwei Jahre Kapellmeister in Hannover und München. 1947 wechselt er nach Stuttgart, wo er 1949 zum Generalmusikdirektor des Württembergischen Staatsorchesters ernannt wird. Diese Position behielt er bis 1969 und konnte sich in dieser Zeit nicht nur als Operndirigent profilieren. Es entstanden zahlreiche Schallplatten, nicht nur mit dem Stuttgarter Orchester, auch die Berliner Philharmoniker spielten mit ihm u.a. die Beethoven-Klavierkonzerte mit Wilhelm Kempff ein. Für die Deutsche Grammophon nahm er zahlreiche Opernquerschnitte auf, die Sänger dafür rekrutierte er zumeist aus dem Stuttgarter Ensemble.

Als 1951 in Venedig Stravinskys Oper „The Rake’s Progress“ uraufgeführt wurde, leitete Leitner die Proben, erst die Uraufführung selbst dirigierte der Komponist. Diese Episode ist durchaus typisch für den uneitlen Künstler Ferdinand Leitner, der so gar nicht zur „Pult-Primadonna“ taugte. Nach dem Tod Erich Kleibers 1956 übernahm er die Dirigate des deutschen Repertoires am Teatro Colón in Buenos Aires, das damals noch mit internationalen Starbesetzungen arbeitete. Aus dieser Zeit sind zahlreiche Aufführungsmitschnitte auf dem Graumarkt erhältlich. Nach dem Ende seiner Stuttgarter Zeit amtierte er von 1969 bis 1984 als musikalischer Oberleiter des Opernhauses in Zürich, parallel dazu Chefdirigent des Residenzorchesters in Den Haag. Danach fungierte er als principal guest conductor des Symphonieorchesters der RAI in Turin.

Ferdinand Leitner war hauptsächlich als Operndirigent erfolgreich und widmete sich bevorzugt der Oper des 20. Jahrhunderts. Seine besondere Vorliebe galt den Komponisten Busoni, Karl-Amadeus Hartmann und vor allem Carl Orff, von dem er einige Uraufführungen dirigierte.

Leitner war ein Kapellmeister im besten Sinne des Wortes, stellte seine Person immer hinter das Werk und war für Sänger ein einfühlsamer Begleiter und Mentor. Trotz umjubelter Aufführungen und zahlreichen Plattenaufnahmen blieb er – unverständlich genug – immer in der zweiten Reihe. Künstlerisch und in Fachkreisen wusste man ihn hoch zu schätzen, ich kann mich auch persönlich an großartige Opernabende mit ihm erinnern. Es fehlte ihm wohl das letzte Quentchen Eitelkeit, um sich in Szene zu setzen. Es sind aber Künstler wie Leitner, die für die Bewahrung der musikalischen Kultur stehen. Auf Tonträgern kann man das immer noch nachhören!

Peter Sommeregger, 31. Mai 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Sommereggers Klassikwelt (c) erscheint jeden Mittwoch.

Der gebürtige Wiener Peter Sommeregger (Jahrgang 1946) besuchte das Humanistische Gymnasium. Er wuchs im 9. Gemeindebezirk auf, ganz in der Nähe von Franz Schuberts Geburtshaus. Schon vor der Einschulung verzauberte ihn an der Wiener Staatsoper Mozarts „Zauberflöte“ und Webers „Freischütz“ – die Oper wurde die Liebe seines Lebens. Mit 19 Jahren zog der gelernte Buchhändler nach München, auch dort wieder Oper, Konzert und wieder Oper. Peter kennt alle wichtigen Spielstätten wie die in Paris, Barcelona, Madrid, Verona, Wien und die New Yorker Met. Er hat alles singen und dirigieren gehört, was Rang und Namen hatte und hat – von Maria Callas und Herbert von Karajan bis zu Riccardo Muti und Anna Netrebko. Seit 26 Jahren lebt Peter in Berlin-Weißensee – in der deutschen Hauptstadt gibt es ja gleich drei Opernhäuser, die er auch kritisch rezensiert: u.a. für das Magazin ORPHEUS – Oper und mehr. Buchveröffentlichungen: „‘Wir Künstler sind andere Naturen’. Das Leben der Sächsischen Hofopernsängerin Margarethe Siems“ und „Die drei Leben der Jetty Treffz – der ersten Frau des Walzerkönigs“. Peter ist seit 2018 Autor bei klassik-begeistert.de.

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