Hamlet 2023, A. Clayton © W. Hoesl
Eigentlich kommen die Toten beim Hamlet erst am Ende. Doch lässt der australische Komponist Brett Dean schon zu Beginn solch einen bitterkalten Wind durch das Orchester wehen, dass diese Musik nur nach Rache schreit. Musikalisch schmückt sich die Staatsoper mal wieder mit einer einzigartigen Meisterleistung, im Graben wie auf der Bühne.
Bayerische Staatsoper, 5. Juli 2023
Hamlet
Musik von Brett Dean
Libretto von Matthew Jocelyn nach William Shakespeare
von Johannes Karl Fischer
Diese musikalische Luft ist nur ein kleiner Vorgeschmack auf die drei Stunden an einzigartiger Klangkunst im Graben. Mit einer enormen Apparatur an Instrumenten schafft der Komponist eine Palette an Klangfarben so bunt, wie sie die Welt bislang nicht kannte. Die Musik lässt nicht nur den Wind hauchen, er haucht auch noch in allen Stimmungen. Eine kalte, eine düstere, eine unheimliche Luft, für alles findet diese Klangmalerei ein fein gemahlenes Gemisch an Instrumentalfarben. Das Bayerische Staatsorchester unter Vladimir Jurowski hat die Partitur fest im Griff, selbst die Vierteltöne am Vibraphon scheinen ihnen keine Mühe zu machen.
Und dann erst dieser Gesang: Allan Clayton in der Titelpartie lässt von Beginn an keinen Zweifel, wo die Reise hingeht. Sein Tenor weht stürmisch voll Emotionen, man spürt die Verzweiflung über den Tod seines Vaters tief in der Seele. Die Welt treibt ihn in den Wahn, das will uns dieses Stück zeigen. Inmitten der mörderischen Machtgier seines Onkels weiß sich Hamlet nicht mehr zu helfen. Doch offenbart sein Gesang die charakterlichen Tiefen dieser äußerst stark gestalteten Rolle.
Zu leiden hat vor allem die von Liebeskummer erschütterte Ophelia. Und Caroline Wettergreens Sopran strahlt diese höchst innerliche Partie in den Saal, dass man nur in Tränen liegt. Ihre Stimme berührt ein jedes Herz, leider fällt auch sie am Ende dem Wahn dieser Gesellschaft zum Opfer. Geistig verwirrt und von der Liebe zu Hamlet zerrissen rennt sie halb nackt über die Bühne und in den Freitod.
Wie ein unsterblicher Göttervater donnert John Tomlinsons röhrende Stimme nun in der Gestalt eines Geistes durch die Ränge. Als wäre Wotan – Pardon, der König von Dänemark – auferstanden und würde mit seinem Speer Recht und Ordnung durchsetzen. Seine röhrenden Tiefen herrschen ebenso mächtig im Reich der Toten wie auf der Erde und über den Wolken.
Und der Möchte-gern-Mächtige dieser Geschichte, Rod Gilfry’s Claudius, brilliert ebenfalls mit einem bärenstarken Bariton. Durch einen Mord hat er sich die Krone Dänemarks erschlichen, nun lässt er keinen Zweifel, wer hier Herrscher seines Volks ist. Seine Ehefrau und Witwe des ermordeten Königs, Gertrude, mag in der Handlung zwar machtlos sein, doch zeigt Sophie Kochs omnipräsenter Mezzo eine gewaltige Stärke. Rein stimmlich müsste sie diesem mörderischen Wahn locker ein Ende setzten können. Doch überwiegt die Rachesucht ihrer männlichen Mitstreiter.
Am Ende ist es Laertes, der Bruder Ophelias, welcher Hamlet mit einem vergifteten Schwert zum Fall bringt. Sean Pannikar beißt auch in himmlischen Tenorhöhen mit eiserner Stärke, seine metallische Stahlkraft ist ebenso scharf wie die Spitze seines Schwertes. Die Nebenrollen sind quer durch die Bank alle meisterhaft besetzt, vor allem Jacques Imbrailos spielvoller Horatio gibt dem Stück einen gewollt etwas ironischen Anstrich. Zu guter Letzt hat der Akkordeonist James Crabb zwar eine Stumme (instrumentale) Rolle, doch sorgt er auch mit schauspielerischer Bravour für mehr Stimmung als viele Sänger an einem ganzen Abend über die Bühne bringen.
Und für mächtig Stimmung sorgt auch Neil Armfields einfallsreiche, aussagekräftige Inszenierung. Der Geist wird zum Strippenzieher der Handlung, sitzt er schon zu Beginn mit an der Tafel und spielt in der Schauspielszene selbst den ermordeten König. Die Regie versetzt das Publikum mitten in die Kälte dieser wahnbefangenen Gesellschaft, lässt einen die Handlung mitten im Geschehen miterleben. Ganz im Einklang mit der Musik…
Am Ende gab es auch im leider nicht sehr gut verkauften Saal donnernden Applaus und frenetischen Jubel für alle beteiligten. Auch, wenn man kein Freund der Neuen Musik sein mag: Dieses Werk in dieser Besetzung sollten alle OpernliebhaberInnen unbedingt gesehen haben, allein schon wegen den einzigartigen Klängen dieser Partitur. Übrigens hat sich auch Wagner zu seiner Zeit stark für neue Kunst eingesetzt… mal so als Anregung.
Johannes Karl Fischer, 6. Juli 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Brett Dean, Hamlet, Münchner Opernfestspielsommer 2023 26. Juni 2023 PREMIERE