Foto: Zee Zee, www.marcoborggreve.com
Strand oder Konzert? In Pärnu muss man sich nicht entscheiden: Tagsüber lockt das Meer, und nach Sonnenuntergang strömt das bunt gemischte Publikum jeden Alters in den Konzertsaal. Dort erleben sie Zee Zee und Musiker des Estonian Festival Orchestras mit einem spätromantischen Programm.
Pärnu, Estland, Pärnu Kontserdimaja, 17. Juli 2023
Sergei Rachmaninow
Sonate für Violoncello und Klavier g-Moll, op. 19
Zee Zee (Klavier)
Marcel Johannes Kits (Cello)
Amy Beach
Klavierquintett fis-Moll, op. 67
Zee Zee (Klavier)
Sha Katsouris (Violine)
Artur Podlesniy (Violine)
Andres Kaljuste (Bratsche)
Benjamin Nyffenegger (Cello)
von Petra und Dr. Guido Grass
Noch ist es hell hier im Norden Europas. Anders als an den vorigen Tagen sind nur wenige Menschen vor der Kontserdimaja, und im Foyer ist kein Gedränge. Ein Kammerkonzert um 22 Uhr steht auf dem Programm, was uns das geringe Interesse zu erklären scheint.
Doch weit gefehlt! Wir sind lediglich etwas später als sonst eingetroffen und der große Saal ist im Parkett nahezu voll besetzt. Lediglich die Balkone sind frei, für die man keine Karten herausgegeben hat. Es gibt wohl nur wenige Städte, in denen sich selbst zu „normalen“ Zeiten so viele Musikfreunde zusammenfinden würden, wenn nicht ein ganz großer Name auf dem Plakat steht.
Beim heutigen Kammerkonzert tritt Zee Zee, mit bürgerlichem Namen Zhang Zuo, mit Mitgliedern des Estonian Festival Orchestras auf. Die Chinesin, die 2006 den ersten Klavierwettbewerb gewann, der je in China durchgeführt wurde (die China Shenzhen International Piano Concerto Competition), ist in Deutschland noch wenig bekannt. In Asien, Nordamerika, aber auch anderen europäischen Ländern ist dies bereits anders.
Cello und Klavier singen zusammen
Bei Rachmaninows Sonate in g-Moll für Cello und Klavier, op. 19 begleitet sie Marcel Johannes Kits am Cello. Auch Kits, der 2018 die renommierten George Enescu International Competition in der Sektion Cello für sich entscheiden konnte, ist als Solist und Kammermusiker international gefragter Gast.
Nach einem Moment der Stille beginnt der erste Satz „Lento. Allegro moderato“ beinahe aus dem Nichts mit einer sanft auf dem Cello gestrichenen kleinen Sekunde. Ebenso sanft zaubert Zee Zee die begleitenden Arpeggien aus dem Flügel. Auch im Stakkato bleibt der Anschlag der rechten Hand angenehm weich, während die linke gut ausbalanciert begleitet. Sie passt sich der vom Cello vorgegebenen fließenden Melodie an.
Man mag kaum glauben, dass die beiden nicht regelmäßig miteinander musizieren. Perfekt synchron zupft Kits die einzelnen Pizzicato-Töne zu den Oktavfiguren des Klaviers zu Beginn des zweiten Satzes „Allegro scherzando“. Atemberaubend wie Zee Zee die Repetitionen im Pianissimo anschlägt.
Träumerisch, an Debussy erinnernd, gestalten beide den Beginn des dritten Satzes. Kraftvoll im Fortissimo streicht Kits die Triolen auf dem Cello. Subito piano und schließlich im Pianissimo verklingt das Satzende.
Während in den ersten Sätzen das Klavier eher dem Cello gefolgt ist, übernimmt im vierten Satz „Allegro mosso“ Zee Zee mit starken Oktavakkorden zu Beginn die Führung. Die Triolen der Klavierstimme perlen. Hier bewährt sich, wie gut Zee Zee das Pedal kontrolliert. Herrlich wie das Cello dazu singt.
Marcel Kits gibt den tiefen, aufwühlenden Gefühlen in seinem Cellospiel dramatischen Ausdruck, manchmal begleitet von ebensolchen Bewegungen.
Das Publikum spendet verdient großen Applaus.
Amy Beachs Kammermusik sollte häufiger gespielt werden
Amy Beach war zwischenzeitlich zu unrecht in Vergessenheit geraten, wie so manch anderer Komponist. In den letzten Jahren findet man ihre Werke wieder häufiger in den Programmen.
Das heute dargebotene Klavierquintett fis-Moll, op. 67 war uns bislang unbekannt, auch wenn es hiervon CD-Aufnahmen gibt. Wem es ebenso geht, kann sich mit der 2020 bei Hyperion erschienen Aufnahme des Takács Quartet mit Garrick Ohlsson am Klavier einen guten Eindruck verschaffen.
Mit einem langen Fis der beiden Violinen und der Viola beginnt der erste Satz „Adagio – Allegro moderato“. Begleitet werden diese von einem schnellen im Diskant endenden Lauf des Klaviers. Die folgenden raschen Wechsel der Dynamik erfordern eine gute Abstimmung zwischen den Instrumenten. Vielleicht kommt es an dieser Stelle den Streichern zugute, dass sie auch im Orchester zusammenspielen. Nur selten sieht man, wie Augenkontakt gesucht wird. Die Musiker können ganz ihrer gemeinsamen Erfahrung und ihren Ohren trauen. Flexibel nach den Bedürfnissen der Musik übernimmt entweder die erste Violine oder das Klavier die Leitung.
Bemerkenswert ist auch, wie die Balance funktioniert. Der führenden Stimme wird Platz gemacht, von ihr gegebene Impulse werden vom nächsten „Solisten“ aufgegriffen. Den schwierigen Klavierpart mit schnellen Läufen und großen Sprüngen gestaltet Zee Zee meisterlich.
Unisono laufen die Streicher in den Endspurt. Nachdem der Schlussakkord forte-fortissimo in Fis-Dur verklungen ist, begleitet Fußgetrampel den großen Applaus.
Im Pärnu Kontserdimaja schwingt die Kammermusik
Beim großen symphonischen Repertoire der vergangenen Abende war der Saal an seine Grenzen gekommen. Beim heutigen Kammerkonzert kann er seine Stärken zeigen. Der schwingende Boden führt zu einem guten Raumklang, während die Transparenz exzellent erhalten bleibt. Auch die Musiker sind mit der Wirkung im Raum hoch zufrieden, wie uns einer von ihnen im persönlichen Gespräch bestätigt.
Hinter uns sitzt ein Junge, vielleicht 8 oder 9 Jahre alt, der das ganze Konzert konzentriert verfolgt hat. Jetzt hören wir ihn zu seiner Mutter ausrufen: „Das war super!“ Besser kann man es nicht zusammenfassen.
Petra und Dr. Guido Grass, 19. Juli 2023
für klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Gürzenich Orchester Köln, Leitung: Elim Chan Kölner Philharmonie, 20. Juni 2023