Foto: M. Pöhn
La Traviata, Giuseppe Verdi
Wiener Staatsoper, 26. November 2016
Welcher Opernsänger kann von sich sagen: „Ich habe noch keinen Ton gesungen und schon tosenden Applaus bekommen?“ Diese Ehre ist dem russischen Bariton Dimitri Alexandrowitsch Hvorostovsky bei Giuseppe Verdis gigantisch schöner Jahrtausendoper „La Traviata“ (uraufgeführt 1853 nach der Romanvorlage der „Kameliendame“ von Alexandre Dumas uraufgeführt) an der Wiener Staatsoper zuteilgeworden. Da geht der Russe aus dem sibirischen Krasnoyarsk vor noch geschlossenem Vorhang von links nach rechts über die Bühne, es erhebt sich ein starker Applaus mit zahlreichen Bravo-Rufen. Dann Abgang, der zweite Akt kann beginnen.
Der Bariton mit den weißen Haaren ist 54 Jahre alt und hat in seinem Sängerleben schon viel erlebt – ein kleines Grinsen ging über sein Gesicht, als die Bravo-Rufe in der Staatsoper erklangen. Beste Voraussetzungen für eine grandiose Aufführung als Giorgio Germont im 2. Akt. Das Publikum war gebannt. Und wurde leider leicht enttäuscht.
Der Weltstar aus Russland, der an allen wichtigen Opernhäusern der Welt aufgetreten ist, wirkte an diesem Abend im Haus am Ring gehemmt. Er sang jeden Ton richtig, aber er zeigte in der Höhe keine richtige Strahlkraft, und in der Tiefe fehlte ihm die nötige Resonanz.
Aber das allein war nicht das größte Manko, die Leistung von Hvorostovsky war immer noch gut – aber halt nicht sehr gut oder gar herausragend. Das Timbre des Russen ist immer noch einzigartig und sofort zu erkennen – ein Merkmal herausragender Sänger. Was wirklich fehlte an diesem Abend, brachte der Kufsteiner Psychotherapeut Dr. Karl Übelhör, 65, präzise auf den Punkt: „Herr Hvorostovsky wirkt heute etwas indisponiert. Ein guter Sänger muss begeistern und beseelen – das vermag dieser Bariton heute nicht. Er ist nicht glaubwürdig in seiner Rolle als Giorgio Germont.“
Nach dem letzten Vorhang strahlte Dimitri Hvorostovsky und schien glücklich. Er dankte dem Publikum aus aller Welt mit beiden Händen. Er bekam viel Applaus, auch einzelne Bravorufe. Wer einen guten Sänger hört, der hört auch oft dessen Stimme aus einer besseren Vergangenheit. An diesem Abend war die Gegenwart schlechter als des Sängers Vergangenheit.
Wer einen besseren Dimitri Hvorostovsky hören möchte, der klicke bei Youtube bitte folgenden Link: https://www.youtube.com/watch?v=t5SlUmCdXf0
Dort singt der Russe mit seiner Landsfrau Anna Netrebko, der besten Sopranistin der Welt, auf dem Roten Platz in Moskau – „Mocow Nights“. Man höre nur, wie die beiden eingangs auf Russisch singen. Besser kann man die russische Seele nicht zum Klingen bringen. Spasibo – danke schön!
Der gute Auftritt des russischen Weltklassebaritons – der nach Informationen aus gut informierten Opernkreisen die Aufführung am 1. Dezember aufgrund einer medizinischen Behandlung absagen wird – wurde an diesem Abend übertrumpft von einer herausragenden Partie der lettischen Sopranistin Marina Rebeka als Violetta Valéry, der Kurtisane. Was für ein Auftritt, Frau Rebeka. Wunderbar, „amazing“, wie die Amerikaner sagen. Das war teilweise zum Weinen schön! Das war Hingabe pur, das war „devotion“, das waren Herz und Seele im Gesang.
Das war eine Darbietung, für die Zuschauer bei der Konzertagentur Franz Jirsa in Wien, die Tickets mit 25 Prozent Aufpreis verkauft, bis zu 325 Euro pro Karte hinlegen. Der Opernabend war seit Wochen ausverkauft, und so gingen auch die Jirsa-Tickets weg wie warme Semmeln. Auch die Schwarzmarkthändler vor der Oper verlangten 20 Minuten vor Aufführungsbeginn noch ein Drittel Aufschlag auf ihre Tickets. Ja, und natürlich waren auch die 567 Stehplätze restlos besetzt.
325 Euro war die wunderbare Sopranistin aus Riga, Tochter einer Lettin und eines Weißrussen, an diesem Abend alle Mal wert. Sie bot ein außergewöhnliches Hörerlebnis. Die Klangfülle in der Höhe und in der Tiefe waren umwerfend, die Koloraturen saßen, das Piano schwebte, die Höhe strahlte. Voll, satt, beglückend – ja, der Gesang von Marina Rebeka macht wirklich glücklich. Sie war Weltklasse und wird in dieser Rolle nur noch übertroffen von Anna Netrebko, der Übersängerin aus Russland, und Anja Harteros, der Übersängerin aus Nordrhein-Westfalen.
Wie Marina Rebeka kurz vor dem Tod der Violetta im vierten Akt sang: „Himmel spende Du Trost der Gefallenen. Ach, alles ist vorbei“ – das war an Intensität und Vollkommenheit nicht zu übertreffen. Auch dafür bekam die Lettin zu Recht den meisten Beifall und die meisten „Brava!“ des Abends. Am 29. November und am 1. Dezember gibt es noch die Möglichkeit, die Rebeka zu erleben – Tickets gibt es nur bei Agenturen wie Jirsa und auf dem Schwarzmarkt. Wer in Wien ist, sollte sich dieses Hörerlebnis nicht entgehen lassen.
Ja, und die dritte Hauptrolle des Abends? Der Tenor Charles Castronovo als Violettas Geliebter Alfredo Germont, der Sohn Giorgio Germonts. Er lieferte eine sehr, sehr gute Partie ab, keine herausragende, weil er anfangs noch nicht 100prozentig eingesungen war. Der Castronovo kann kraftvoll singen, gefühlvoll singen, hat eine tolle Höhe und eine warme Mittellage. Und er ist ein richtiger Mann mit einem Modellkörper, ein Tenor mit einer sehr ansprechenden körperlichen Ausstrahlung. Und das Auge sieht ja bekanntlich auch mit bei dieser lebendigen Inszenierung von Jean-Francois Sivadier.
Das Auge sieht auch eine junge, sehr dynamische, sehr lebensfrohe, sehr italienisch dirigierende Speranza Scappucci, die dem Orchester der Wiener Staatsoper einen frischen, sehr italienischen Verdi abzuringen vermochte. Die Römerin ist im November 2014 von „Musical America“ als Künstlerin des Monats nominiert worden und im Sommer 2015 von „Opera News“ als „rising star“ unter den jungen Dirigenten bezeichnet worden. Vor ihrer Dirigentenkarriere war sie als Korrepetitorin unter anderem an der Wiener Staatsoper tätig. Seniora Scappucci wird ganz sicher eine ganz große Karriere machen. Sie dirigiert in dieser Saison an der Wiener Staatsoper außer „La Traviata“ noch „La cenerentola“ von Gioachino Rossini und „Don Pasquale“ von Gaetano Donizetti.
Für das Dirigat und die Leistung des Orchesters und des Chores der Wiener Staatsoper gab es zurecht lautstarke „Bravi!“
Andreas Schmidt, 27. November 2016
klassik-begeistert.at
Wiener Konzerthaus, 31.12.2016, L. van Beethovens 9. Sinfonie.
Vom Aufschwung und neuem Elan des Wiener Konzerthauses habe ich leider nichts gespürt. Die musikalische Leistung, besonders der Wiener Singakademie, des Dirigenten Krzysztof Urbanski und der Sopranistin Simone Kermes waren durchaus gut, allein es fehlte am äußeren Rahmen. Für eine Vorstellung zu Silvester in Wien erwarte ich einfach auch ein wenig Atmosphäre. Davon war im Konzerthaus nichts zu spüren. Schmuck- und einfallslos war der Abend, ja noch nicht einmal ein „Prost Neujahr“ hatten Intendanz oder Mitwirkende für das Publikum übrig – ganz zu schweigen von einer kleinen „Silvester“-Zugabe der Solisten.
monopol45
Hätte der Autor nicht wenigstens erwähnen können, dass Hvorostovsky schon damals schwer an einem Hirntumor litt, anstatt nur die stimmliche Leistung zu bemängeln? Dies waren Hvorostovskys letzte Auftritte auf der Opernbühne, denn er ist gestern leider an seiner Krankheit verstorben. Wir haben einen Jahrhundertbariton verloren.
W. Eck
Sehr geehrter Herr Eck,
ja, ich hätte Hvorostovskys Krankheit erwähnen können. Allein, er hat mir selbst gesagt, dass er dies nicht wünsche. Nun ist er von uns gegangen – was für ein Verlust! Wahrlich ein großer Künstler. Ein Jahrhundert-Bariton. Und ein feiner Mensch.
Mit besten Grüßen
Andreas Schmidt
Herausgeber
klassik-begeistert.de
Wenn Sie also wussten, dass er krank war, dann ist es umso merkwürdiger, daß Sie in dieser krittelnden Weise über den Abend berichtet haben. Andere Kollegen von Ihnen haben das weit feinfühliger und sehr dezent hinbekommen.
Beste Grüße
W. Eck