Patricia Nolz © Klara Leschanz
Die Entwicklung und Karriere vielversprechender NachwuchskünstlerInnen übt eine unvergleichliche Faszination aus. Es lohnt sich dabei zu sein, wenn herausragende Talente die Leiter Stufe um Stufe hochsteigen, sich weiterentwickeln und ihr Publikum immer wieder von neuem mit Sternstunden überraschen. Wir stellen Ihnen bei Klassik-begeistert jeden zweiten Donnerstag diese Rising Stars vor: junge SängerInnen, DirigentInnen und MusikerInnen mit sehr großen Begabungen, außergewöhnlichem Potenzial und ganz viel Herzblut sowie Charisma.
von Dr. Lorenz Kerscher
Als im März 2023 Barrie Koskys Neuinszenierung von Le nozze di Figaro an der Wiener Staatsoper Premiere feierte und dies auch als Video übertragen wurde, stand immer wieder ein androgynes Wesen namens Cherubino im Mittelpunkt, dem die Regie eine außergewöhnliche Wandlungsfähigkeit abverlangte. Nicht genug damit, dass eine Sängerin einen pubertierenden Jüngling darstellen muss, zweimal wird dieser wiederum als Mädchen verkleidet und fällt dabei aufgrund seiner jungenhaften Unbeholfenheit aus dem Rahmen. Diese doppelte Verwandlung überzeugend auf die Bühne zu bringen, ist also gewiss keine leichte Aufgabe für eine Sängerin, die in diesem Verwirrspiel nicht den roten Faden verlieren darf.
Glücklicherweise konnte die Wiener Staatsoper hierfür mit ihrem jungen Ensemblemitglied Patricia Nolz eine Idealbesetzung aufbieten, die entsprechend Barrie Koskys Regiekonzept die Figur des Cherubino zu einer Projektion „diverser“ erotischer Fantasien machen konnte. Und dazu sang sie die Partie in all ihren Facetten makellos schön. „Patricia Nolz kann mit ihrem runden Mezzo einen äußerst überzeugenden Cherubino auf die Bühne bringen. Mit warmer Stimme kommuniziert sie rührend die ganze Bandbreite an Emotionen, die in dem jungen Pagen vorgehen“, so schrieb Johannes Karl Fischer in seiner Rezension für Klassik begeistert. Man kann ohne Zweifel davon ausgehen, dass die junge Künstlerin ein ganz außergewöhnliches Potenzial für eine erfolgreiche Entwicklung hat.
Geboren wurde Patricia Nolz 1995 in Neidling bei St. Pölten. Ihre Eltern lebten in einem Dorf mit 48 Einwohnern und hatten keinen Bezug zur klassischen Musik. Doch dank des guten Angebots der nahegelegenen Musikschule erhielt sie schon im Alter von sieben Jahren Unterricht auf der Querflöte und begeisterte sich für die große Bandbreite der Stilepochen, die ihr die Lehrerin nahebrachte. Der frühe Start mit dem Flötenspiel ist eine frappierenden Parallele zur kürzlich als Rising Star Nr. 45 vorgestellten Flötistin Ana de la Vega. Doch anders als bei dieser überwogen bei Patricia die Zweifel an den Erfolgsaussichten einer Solistenkarriere. Als sie dann Tonaufnahmen von Maria Callas hörte und fasziniert war, welche Emotionen diese alleine mit ihrer Stimme zum Ausdruck bringen konnte, entdeckte sie für sich einen anderen Weg. Sie nutze die Chance, als Schülerin eines Musikgymnasiums mit 14 Jahren Gesangsunterricht zu nehmen und dies als 17-Jährige am Konservatorium für Kirchenmusik der Diözese St. Pölten zu vertiefen. Bald darauf wechselte sie an die Universität für Musik und darstellende Kunst in Wien. Dort erwarb sie 2019 einen Bachelor in Sologesang mit Auszeichnung und begann im gleichen Jahr das Studium Lied und Oratorium bei Florian Boesch.
Schon 2020 kam sie fulminant aus den Startlöchern, als sie am Theater an die Wien als Cherubino einspringen musste. Da kam ihr zu Gute, dass sie diese Rolle vorher für eine Hochschulproduktion einstudiert hatte. Von 2020 bis 2022 gehörte sie dem Opernstudio der Wiener Staatsoper an und konnte schon während dieser Zeit mit einem bemerkenswerten Debüt als Zerlina in Don Giovanni auf sich aufmerksam machen. Diese Rolle gilt als Sopranpartie, doch konnte die wandlungsfähige junge Künstlerin mit dem warmen Mezzoglanz ihrer jungen Stimme eine unvergleichlich intensive Wirkung erzielen.
Patricia Nolz, Zerlina, „Vedrai carino“, Don Giovanni, Wiener Staatsoper
Wie man aus Interviews erfährt, schafft sie sich eine ganz solide Grundlage, um mit ihrer Stimme passgenau in eine Figur hineinzuschlüpfen. „Dabei ist es für mich essenziell, dass ich jede Rolle erst mal mit meiner Stimme einstudiere, was impliziert, dass ich nicht sofort versuche, den Stil der Romantik oder des Barock zu treffen, sondern in erster Linie meine Stimme durch die Musik in meinem Körper verankere und ein Gespür dafür entwickle. Erst dann beschäftige ich mich mit den Themen: Was sind genau die Merkmale der Stilistik? Was verlangt die Musik und mit welchen Klangfarben kann ich mich hier zum Ausdruck bringen?“
Ähnliches sagt sie zur darstellerischen Komponente: „Eigentlich versuche ich nicht wirklich in eine Rolle hineinzuschlüpfen, sondern vielmehr möchte ich in jeder Figur etwas finden, was es mir ermöglicht, einen echten Menschen auf die Bühne zu bringen. […] Ich habe das Gefühl, ich kann nur dann überzeugend auf der Bühne sein, wenn ich eine ganz persönliche Haltung zur Figur finde.“
Um diese Haltung zu gewinnen, ist sie auch schon einmal bereit, zu ihren Gesangsübungen Seilspringen zu trainieren, wie es nötig war, um sich die Fitness für ihren quirligen Cherubino an der Wiener Staatsoper anzueignen. Jeder Satz, den sie im Interview sagt, belegt eine ganz klare Vorstellung, nach der sie gewissenhaft und gründlich ihre Rollen vorbereitet. Und der Wille, dies immer aus den eigenen Möglichkeiten heraus zu leisten, ergibt dann das ungekünstelte Ergebnis, mit dem sie das anspruchsvolle Publikum der Wiener Staatsoper schon mehrmals überzeugt hat. Dieses ist schon in froher Erwartung, da sie für die nächste Spielzeit als Annio in La clemenza di Tito und als Rosina im Barbier von Sevilla angekündigt ist.
Doch ebenso wichtig wie die Opernbühne ist ihr der Konzertsaal. Sie ist überzeugt, dass sich Liedgesang und Wirken im Musiktheater gegenseitig befruchten. Deshalb freut sie sich sehr darauf, im nächsten Jahr neben herausfordernden Rollendebüts auch Liederabende zu geben. Mit warmer Mezzosopranstimme, exzellenter Textverständlichkeit, Feingefühl für die musikalischen Details und auch mit der in großen Opernrollen trainierten Ausdauer hat sie die allerbesten Voraussetzungen, auch in diesem Genre das Publikum zu begeistern.
Patricia Nolz – Suleika – F. Schubert (2020)
Dabei war der Karrierestart zuerst einmal ein Hindernislauf gegen die Coronabeschränkungen. Da war Probenarbeit teilweise gar nicht oder nur unter einschränkenden Bedingungen möglich und man lebte mit der Unsicherheit, ob geplante Aufführungen überhaupt stattfinden würden. Es wurde vor leeren Sälen für Videos gesungen und gespielt, ohne Reaktion des Publikums, die doch gerade für junge Künstler eine wichtige Motivationsquelle ist. Genau zu wissen, was sie will, und aus sich selbst die Kraft zu schöpfen, war wohl der entscheidende innere Halt, mit dem Patricia Nolz gegen all diese Widrigkeiten so kraftvoll aus den Startlöchern kommen konnte. Dass viel für das Streaming produziert werden musste, hatte vielleicht wenigstens den Vorteil, sie überregional bekannt zu machen. So es kann es inzwischen auch einiges an Anziehungskraft entfalten, wenn man sie zusammen mit anderen Überfliegern für ein Galakonzert auf die Bühne holt.
Sous le dôme épais (Lakmé) – Patricia Nolz & Regula Mühlemann [Wien 2022]
Gerade drei Jahre öffentliches Wirken haben Patricia Nolz genügt, um einen Spitzenplatz unter den Hoffnungsträgern der ganz jungen Sängergeneration einzunehmen. So rational und gewissenhaft, wie sie zu Werke geht, wird sie sich den schnellen Erfolg aber gewiss nicht zu Kopfe steigen lassen, sondern als Grundlage einer organischen Weiterentwicklung nutzen. Ich bin sicher: man wird noch viel von ihr hören!
Dr. Lorenz Kerscher, 17. August 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Weiterführende Information:
Im Lied kann ich wirklich meine Seele sprechen lassen, Interview in Operaversum, 2022
Vom Dorf in die Welt, Interview im Bühne Magazin, 2023
Biografisch sortierte Playlist in Youtube
Agenturprofil bei Machreich Artists Management
Dr. Lorenz Kerscher
„Musik ist Beziehungssache,“ so lautet mein Credo. Deshalb bin ich auch als Chorsänger aktiv und treffe mich gerne mit Freunden zur Hausmusik. Eine neue Dimension der Gemeinsamkeit eröffnet sich durch die Präsenz vieler, vor allem junger Künstler im Internet, wo man Interessantes über ihre Entwicklung erfährt, Anregungen zur Entdeckung von musikalischem Neuland bekommt und auch in persönlichen Kontakt treten kann. Man ist dann kein Fremder mehr, wenn man ihnen als Autogrammjäger begegnet oder sie sogar bei einem Konzertbesuch im Publikum trifft. Das ist eine schöne Basis, um mit Begeisterung die Karrieren vielversprechender Nachwuchskünstler mitzuerleben und bei Gelegenheit auch durch Publikationen zu unterstützen.“
Rising Stars 45: Ana de la Vega, Flöte – ein Naturkind von der Farm erobert die Konzertsäle
Rising Stars 44: Cristina Gómez Godoy, Oboe klassik-begeistert.de, 22. Juni 2023