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Kulturförderung, das sei nur verbranntes Geld. Es ist ein Rätsel, wieso sich dieses Gerücht so hartnäckig in das Gehirn des ein oder anderen gebrannt hat. Vor allem dann, wenn man mal ernsthaft das Internet nach fundierten Berichten durchforstet. Subventionen, die in die Kultur fließen, haben einen enormen Mehrwert für andere Branchen.
von Jürgen Pathy
Nur einer kleinen Elite vorbehalten, die sich in ihrer eigenen Überheblichkeit suhlt. Auf diesen Konsens stößt man immer wieder, liest man vor allem eines in großen Tageszeitungen: die Kommentare. Der Standard, eine österreichische Tageszeitung, hat sich dieser Tage zu einem Resümee verpflichtet gefühlt. Thema des etwas fragwürdigen Berichts, dessen Absicht nicht ganz klar ersichtlich wird: die Salzburger Festspiele 2023.
Das Schaulaufen an der Salzach habe zwar seine Lichtblicke gehabt – explizit hervorgehoben werden Krzysztof Warlikowskis Inszenierung von „Macbeth“ oder Simon Stones Deutung von „The Greek Passion“. Dennoch seien die Salzburger Festspiele ein Ort der Routine. Frischer Wind und junge Künstler zwar nicht Fehlanzeige, aber etwas vernachlässigt. Ein heißes Thema, das sich dieser Tage, wo das Festival in die Zielgerade biegt, natürlich anbietet. Viel mehr Aufmerksamkeit hat allerdings mal wieder der Blick in die Kommentare verdient.
Vor Inbetriebnahme des Mundes, Gehirn einschalten
Der einhellige Tenor des ein oder anderen, der sich dort unreflektiert den Frust von der Seele schreibt: Die Salzburger Festspiele würden Unsummen an Subventionen verschlingen. Das sei insofern verwerflich, weil der Otto-Normal-Verbraucher davon ja keinen Nutzen ziehen würde. Außer Spesen nichts gewesen, könnte man den unüberlegten Rundumschlag auf einen Satz herunterbrechen. Nutznießer dieser Steuergeldverbrennung seien sowieso nur die Reichen und Schönen, von denen man letztere immer seltener antreffen würde. Völliger Schwachsinn, möchte ich an dieser Stelle hier mal konstatieren.
Vorerst sei einmal festgehalten: Die Salzburger Festspiele finanzieren sich „nur“ zu einem Drittel aus Steuergeldern. Den Rest des Budgets füllen Einnahmen aus Kartenverkäufen, Sponsorings und private Förderer, ohne die es im Kulturbereich sowieso generell bald finster werden würde. Milliardär Martin Schlaff hat es vor wenigen Wochen erst in einen Bericht geschafft. Der österreichische Unternehmer mit einem geschätzten Vermögen von rund 3 Milliarden Euro zählt zu den größten Kunstmäzenen des Landes. Ob und wie viel von dessen Zuwendungen auch in die Salzburger Festspiele fließen, ist zwar unklar. Den Osterfestspielen Salzburg dürfte er auf jeden Fall unter die Arme greifen. In Wien wäre das ein oder andere Projekt ohne den finanzstarken Kulturliebhaber auch nicht zu stemmen. Die Stelle des neugeschaffenen Musikdirektors an der Volksoper Wien, die zurzeit noch Omer Meir Wellber besetzt, ist auch nur aufgrund seiner Finanzspritzen zu realisieren.
Wiener Staatsoper: Rettung um jeden Preis!
Überhaupt zeigt der Blick nach Wien auch etwas anderes. Dass man, mit rund einem Drittel des Budgets aus Steuergeldern, in Salzburg noch lange nicht im Spitzenfeld angelangt ist. Ganz im Gegenteil: Als rekordverdächtig niedrig könnte man das im Vergleich zu anderen sogar bezeichnen. An der Wiener Staatsoper sitzt der Steuerzahler mit rund 50 Prozent und noch mehr im Boot. Gerüchten zufolge, habe die Wiener Staatsoper während der Corona-Pandemie sogar die Absicherung erhalten: Egal, was auch geschehen mag, man werde den staatlichen Zuschuss für die nächsten fünf Jahre soweit ausdehnen, soweit es eben notwendig sei.
Das erinnert fast schon an Mario Draghis berühmte Worte, die der damalige EZB-Chef am 26. Juli 2012 bei einer Rede gehalten hatte. „The ECB is ready to do whatever it takes to preserve the euro“. Man werde also alles Notwendige tun, um den Euro zu retten. Mit diesen Worten hatte Mario Draghi die verunsicherten Finanzmärkte stabilisiert, die sich seit Ausbruch der Finanzkrise 2008 im Chaos befanden. Damals hatten faule hypothekengesicherte Wertpapiere fast die ganze Welt in den Ruin gerissen.
Anfangs 2020 schien es fast wieder so weit. Immerhin bangten zu Beginn der Corona-Pandemie viele nicht nur um das kulturelle Erbe, sondern teilweise um das nackte Überleben. Ein gewisser Hauch von Weltuntergangsstimmung lag in der Luft. Somit kann man Draghis rettende Worte durchaus auf eine Ebene heben, mit dem, was man der Wiener Staatsoper angeblich zugesichert hatte.
Rekordsubventionen, die sich lohnen
An diesen enormen Förderungen gibt es wirtschaftlich auch nichts zu kritisieren. Dass man damit nämlich nicht nur die Wiener Staatsoper gestützt hätte, sondern gleich den gesamten Wirtschaftsstandort Wien, sollte man nicht unter den Tisch kehren. Betrachtet man nämlich die nackten Zahlen – von denen es, zugeben, keine Unmengen gibt –, wird dennoch schnell klar: Jeder Euro, den der Steuerzahler in die Kultur investiert, ist ein gut investierter Euro! Erhebungen des deutschen Tourismusverbands haben nämlich belegt, dass in Kulturmetropolen, wie Wien oder Dresden, auch andere Branchen erheblich von der Kultur profitieren. Wenig überraschend, werden da der Tourismus und die Gastronomie hervorgehoben. Aber auch die regionalen Verkehrsbetriebe und der Handel, die durch Kuturveranstaltungen florieren, streichen ein Stück vom Kuchen ein.
Dass man deshalb nun so weit gehen kann, wie ein berühmter Heldentenor einst mal auf einem seiner Social-Media-Kanäle. Dort hatte der gebürtige Österreicher einmal verkündet: Jeder Euro in die Kultur würde sich dreifach rentieren. So weit möchte ich mich gar nicht aus dem Fenster lehnen. Dazu sind die Zahlen nicht eindeutig genug. Ziemlich nahe liegt allerdings: Der ROI, der Return on Investment, den diese Kultursubventionen einspielen, dürfte jeden Hedgefondsmanager vor Neid erblassen lassen. Dessen kann man sich ziemlich sicher sein. Nicht nur in Wien, Salzburg oder Dresden.
Bei den Bregenzer Festspielen spricht man zum Beispiel von einem besonderen „wirtschaftlichen Impuls“, den das Festival auf die Beschäftigungszahlen im Tourismus ausübe. Zugegeben: Der Bericht stammt aus dem Jahr 2006, was man in Anbetracht der zwischenzeitlichen Ereignisse auch als Jahre Schnee bezeichnen könnte. Dazwischen liegt Corona und womöglich gar eine sozioökonomische Entwicklung, die den Zustand der Gesellschaft von damals gar nicht mehr zeitgerecht abbilden könnte.
Zieht man allerdings die Wechselwirkung zwischen Tourismus und Kultur in Erwägung, schaut die Sache schon wieder viel rosiger aus. Aufmerksamen Nachrichtenhörern dürfte nicht entgangen sein, dass sich die Nächtigungszahlen – zumindest in Wien – fast schon wieder auf Vor-Corona-Niveau befinden. 7,5 Millionen Gästenächtigungen hat man im ersten Halbjahr 2023 zu verzeichnen. Das entspricht rund 94 % des Niveaus von 2019. In Anbetracht dessen, sollten sich die kulturellen Subventionen wieder zigfach rentieren.
Nicht jeder subventionierter Euro ist ein Gewinn
Das bedeutet aber nicht, dass man alles blind in einen Topf werfen könnte. Man muss hier schon ganz klar differenzieren. Festival ist natürlich nicht gleich Festival. Die Gefahr der Sättigungserscheinung, sei nämlich nicht zu unterschätzen, erhebt genau derselbe Bericht. Dass allerdings die Anziehungskraft von renommierten Kulturveranstaltungen wie den Salzburger Festspielen oder der Wiener Staatsoper erheblichen Umsatz in andere Branchen spült, dem kann eigentlich keiner etwas Fundiertes entgegensetzen.
Wer bei diesen Fakten noch immer auf seiner Meinung beharrt, man sollte Kultursubventionen kürzen, der beweist nur eines. Dass er sich auf das wirtschaftliche Abstellgleis schießt und dort lieber verharren sollte. Dort kann er nämlich keinen Schaden anrichten.
Jürgen Pathy (klassikpunk.de), 2. September 2023, für klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Jürgen Pathy, Baujahr: 1976, lebt in Wien. Von dort möchte der gebürtige Burgenländer auch nicht so schnell weg. Der Grund: die kulturelle Vielfalt, die in dieser Stadt geboten wird. Seit 2017 bloggt und schreibt der Wiener für Klassik-begeistert. Sein musikalisches Interesse ist breit gefächert: Von Bach über Pink Floyd, Nick Cave und AC/DC bis zu Miles Davis und Richard Wagner findet man fast alles in seinem imaginären CD-Schrank. Zur „klassischen Musik“, wie man sie landläufig nennt, ist der Rotwein-Liebhaber und Fitness-Enthusiast gekommen, wie die sprichwörtliche Jungfrau zum Kind: durch Zufall – aber auch relativ spät. Ein Umstand, weswegen ihn ein Freund wie folgt charakterisiert: „Du gehörst zu derjenigen ideellen Art der Zuhörer, die ich am meisten bewundere. Du verbindest Interesse, Leidenschaft und intelligente Intuition, ohne von irgend einer musikalischen Ausbildung ‚vorbelastet‘ zu sein.“
Pathys Stehplatz (38): Gstaad Conducting Academy klassik-begeistert.de, 19. August 2023
Ein sehr scharfer und wohl pointierter Beitrag, der letztendlich aber auch nur deshalb notwendig wird, weil der Kulturbetrieb in gewisser Weise den Kontakt zur Allgemeinheit verloren hat. Ich halte es zwar für schlüssig, dass jede Subvention in Kultur und gerade auch Klassische Musik sich (noch) auszahlt. Meine Beobachtung ist bei immer mehr vergreisendem Publikum und fehlendem Nachwuchs aber auch, dass der Effekt schwindet. Wer in einer Altersklasse unter 50 greift denn noch ins Portemonnaie, um 100 € und mehr für ein Konzertticket auszugeben, wenn anstatt Hardrock oder Pop Mozart oder Beethoven auf der Bühne erklingen? Ganz zu schweigen von all den modernen Klangbrimborium-Experimenten, die zumindest in Deutschland regelmäßig das Publikum aus dem Saal jagen, während ambitionierte Komponisten, wie ich, die sich noch an melodisch einprägsamer, harmonisch ans Ohr angepasster und intuitiv selbsterklärender Musik versuchen, geradezu ignoriert werden?
Ich hoffe, ich übertreibe hier. Mein Eindruck ist aber wirklich, dass sich – bis auf wenige Ausnahmeformate – die klassische Konzertbranche mindestens innerhalb Mitteleuropas in eine Sackgasse aus Repertoire-Schlagern und ideologiebesetzten Chaoskompositionen manövriert hat, zu der ihr die Motivation fehlt, einen Weg heraus zu finden. Insofern halte ich solche Kommentare, wie sie hier zurecht auseinandergenommen werden, für ein weiteres Indiz dafür, dass sich im klassischen Konzertbetrieb etwas Grundsätzliches verändern muss. Denn sonst ist das in diesen Kommentaren geschilderte Szenario der Eliten-Musik, die (wie schon zu Mozarts Zeiten) nur noch zur Selbstbeweihräucherung einer gewissen Bildungs- und Finanzschicht herhält, nicht mehr allzu weit entfernt.
Daniel Janz
Lieber Kollege,
dem ist im Grunde nichts hinzuzufügen. Dennoch schreibe ich Mal eine Antwort, um auf den ausführlichen Kommentar auch Mal zu reagieren. Ich danke vielmals dafür.
Liebe Grüße
Jürgen Pathy