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Die Entführung aus dem Serail, Wolfgang Amadeus Mozart
Deutsche Oper Berlin, 30. November 2016
Wer tolle Solisten, ein dynamisches Dirigat, eine überragende Olga Peretyatko und eine witzige wie unterhaltsame Inszenierung an der Deutschen Oper Berlin sehen möchte, der sollte sich zum Nikolaustag am 6. Dezember 2016 eine schöne Opernkarte wünschen und „Die Entführung aus dem Serail“ im Haus an der Bismarckstraße in Berlin verfolgen.
Mit diesem Deutschen Singspiel, einer vom österreichischen Kaiser Joseph II. geförderten Operngattung, erlebte Wolfgang Amadeus Mozart (1756 – 1791) im Jahre 1782 seinen größten Erfolg zu Lebzeiten. Johann Wolfgang Goethe resümierte: „Die Entführung aus dem Serail schlug alles nieder.“
Ja, und die „Entführung“ ist auch noch im Jahre 2016 eine wunderbare, facettenreiche, melodische und fein instrumentierte Oper. Dies sahen auch die Besucher in der Deutschen Oper Berlin so: Die Darbietung bekam sehr großen Applaus und zahlreiche Bravo- und Brava-Rufe. Und das von einem Publikum, das größtenteils unter 50 Jahre alt war – sehr viele Besucher waren gar jünger als 30 Jahre.
Die moderne, lebendige Inszenierung von Rodrigo García scheint vor allem jüngere Klassik-Liebhaber anzusprechen – leider waren am 30. November nur gut zwei Drittel der 1859 Sitzplätze besetzt. Das mag auch an den vielen schlechten Kritiken gelegen haben, die nach der Premiere am 17. Juni 2016 geschrieben worden waren.
Zu unrecht. Selten hat sich klassik-begeistert.de in einem Opernhaus so gut unterhalten gefühlt, wie in der „Entführung“ von Mozart/García. Das liegt vor allem an den tollen Video-Projektionen in den großen Ball in der Bühnenmitte. Das liegt auch an den schönen Fahreinheiten mit dem roten Riesenwagen auf der Bühne. Der Einfall, die Sänger spielen zu lassen, sie schnupften Christal Meth, ist brillant. Das weiße Pulver wird auch in großen Kanistern auf der Bühne hergestellt. Der Hintergrund ist ein ernster: Kaum eine Partydroge ist so gefährlich wie Crystal Meth – das weiße Pulver macht Menschen krank und zerstört Leben.
Inhaltlich interessant sind auch die modernen Dialoge während des Singspiels. Warum die Darsteller sie teilweise auf Englisch sprechen, bleibt Geheimnis des Regisseurs. Das ist sicherlich „very stylish“ und modern, allein, ein Großteil der überwiegend ja deutschsprachigen Zuschauer wird diese lebensklugen Konversationen nicht vollends verstanden haben, es sei denn, man hat einmal in London oder New York gelebt. Also, Herr García: Bitte nächstes Mal auf Deutsch, der Sprache des Jahrtausendgenies Mozart, wenn Sie in Deutschland an der Deutschen Oper Berlin ein Stück in Szene setzen.
Dieser Fauxpas blieb allerdings der einzige dieser ansonsten berauschenden und beglückenden Opernvorstellung. Der Stern des Abends war die Russin Olga Alexandrowna Peretyatko. Die 36-Jährige aus St. Petersburg ist schon seit einiger Zeit ein Weltstar und eine der international gefragtesten Koloratursopranistinnen. Sie legte als Konstanze einen makellosen, bezaubernden, strahlenden, ja: umwerfenden Auftritt hin.
Im Gegensatz zu ihrer Landsmännin Anna Netrebko spricht die St. Petersburgerin fast perfekt Deutsch, da sie an der Hochschule für Musik „Hanns Eisler“ in Berlin studiert hat und zunächst Mitglied des Opernstudios an der Hamburgischen Staatsoper war. Seither ist sie an allen großen Bühnen daheim, in Berlin und Wien an der Staatsoper, an der Metropolitan Opera New York, dem Teatro alla Scala di Milano, dem Festspielhaus Baden-Baden und dem Royal Opera House Covent Garden in London.
Olga Peretyatko überstrahlte – physisch, stimmlich und psychisch – alle anderen Sänger des Abends. Ihre Höhe war brillant klar und schön, die Koloraturen kamen bombensicher, die Tiefe hatte Resonanz. Das war ein Weltklasseauftritt, Frau Peretyatko. Klassik-begeistert.de hatte die Sangeskunst schon im Januar 2016 als Gilda im „Rigoletto“ von Giuseppe Verdi an der Wiener Staatsoper und um Juni 2016 in ebendieser Partie an der Deutschen Oper Berlin bewundern können. Die Krönung in diesem Jahr war aber das Solo-Konzert im Wiener Konzerthaus, wo sie Partien aus ihrem Album „Via Rossini“ vortrug und zwischendurch noch witzig auf Deutsch moderierte. Das war Klassik pur, modern und begeisternd.
Tolle Leistungen boten auch Tobias Kehrer als Osmin und Matthew Newlin als Belmonte. Der Bass Kehrer, Ensemblemitglied an der Deutschen Oper Berlin, hat bereits einen ganz starken, kräftigen und resonanzreichen Bass mit einer enormen Tiefe. Der junge Dessauer hat bereits bei den Salzburger Festspielen debütiert und sang den Osmin, den Aufseher über das Landhaus des Bassa, bereits 2015 bei den Festspielen in Glyndebourne. Klassik-begeistert war von Kehrer bereits im Februar 2016 als Steffano Colonna in Richard Wagners „Rienzi“ und im Juni 2016 als Sparafucile in Verdis „Rigoletto“ begeistert. Dieser Bass, das ist so sicher wie der Schlussvorhang in der Oper, wird noch eine ganz große Karriere machen. Er sollte aber noch ein wenig an Souveränität und Glanz im höheren Register arbeiten. Im April 2017 ist er an der Deutschen Oper als Fafner in Wagners „Das Rheingold“ und „Siegfried“ zu hören sowie als Hunding in „Die Walküre“. Alle Vorführungen sind leider ausverkauft.
Ja, und der Tenor Matthew Newlin als Belmonte, der Geliebte Konstanzes: Der US-Amerikaner aus Georgetown wird auch einmal ein sehr guter Tenor werden, wenn er das Einmaleins von wahrhaften Opernstars beherzigt: Man muss mit den Kräften haushalten und darf sich nicht verheizen lassen. Newlin begann, im roten Auto sitzend, recht blass und leise, lief dann aber nach einem englischen Sprechmonolog zu erstaunlicher Form auf – mit einer raisonablen Höhe und einer schönen Mittellage. Dieser Tenor macht Lust auf mehr.
Der Tenor James Kryshak als Pedrillo, Diener des Belmonte und Aufseher über die Gärten des Bassa, bot auch eine schöne Partie, war allerdings nicht ganz so stark wie Matthew Newlin. Der US-Amerikaner hat im November an der Deutschen Oper Berlin, bei Anja Harteros’ Zauberauftritt als Tosca in Giacomo Puccinis gleichnamiger Oper, einen sehr guten Spoletta gesungen.
Ensemblemitglied Siobhan Stagg als Blonde, Zofe der Konstanze, bot eine gute Leistung, war allerdings nicht bei allen Tönen in den Höhen ganz sicher. Der australische Sopran wird im Januar 2017 an der Deutschen Oper Berlin die Marguerite von Valois in Giacomo Meyerbeers Oper „Die Hugenotten“ geben.
Das Orchester der Deutschen Oper Berlin bot eine wunderbar leichte und genaue Vorstellung im Geiste Mozarts und folgte den präzisen Anweisungen des New Yorker Dirigenten Arthur Fagen sehr gut. Fagen dirigiert sonst meist in den USA in der Atlanta Opera und in der Indianapolis University Opera.
Der Berliner Architekt und Mozart-Kenner Felix Geffe, 53, resümierte die Eindrücke des Abends trefflich: „An der Seite von Olga Peretyatko sieht jede Hausbesetzung nicht überwältigend aus. Ich liebe Mozart, und Frau Peretyatko hat heute wirklich ganz außerordentlich schön gesungen. Früher war ich ein Anna-Netrebko-Fan – ich habe mit der Netrebko im Juli 2009 im Münchner Hotel Sofitel schon einen Drink an der Bar zu mir genommen. Heute Abend war ich von Olga Peretyatko richtig geflasht. Dieser Sopranistin gehört die Zukunft.“
Andreas Schmidt, 1. Dezember 2016
klassik-begeistert.de
Olga bewundere ich seit Ihrem Auftritt 2012 in Baden-Baden,als Sie für
Mia Persson einsprang. Seit dem durfte ich sie mehrmals in Berlin und
Baden-Baden bewundern. Sie hat eine wunderbare Stimme, eine tolle
Bühnenpraesens und ein großes Repertoire. Sie kann alles singen, von
Oper, Lied bis Operette in fünf Sprachen. Sie ist die beste Sopranistin.
Es war eine grauenvolle Inszenierung! Hat die Deutsche Oper es nötig, mit Nacktszenen das Publikum anzulocken? Wenn es ein zeitgemäßes Bühnenbild sein soll, dann aber bitte ästhetisch. Wären die Stimmen nicht so gut gewesen, hätte ich die Oper nach dem ersten „Porno“ verlassen. Nur mit geschlossenen Augen war es möglich die Schönheit der Stimmen wahrzunehmen.
B. Heymen