© Jörg Simanowski – Markenfotografie
„Über allen Gipfeln ist Ruh“ – aber dann bricht der Sturm los: Musik von Hindemith und Strauss in Vollendung. Umjubelter Auftritt der Sächsischen Staatskapelle Dresden unter Christian Thielemann in der Alten Oper in Frankfurt am Main.
Bei beiden Werken des Hauptprogramms dachte man: Schade, dass es schon vorbei ist. Besonders eindrücklich war die Stille im Publikum nach dem Ende der Alpensinfonie.
Frankfurt, Alte Oper, 14. September 2023
Paul Hindemith (1895-1963) – Der Schwanendreher
Richard Strauss (1864-1949) – Eine Alpensinfonie op. 64
Antoine Tamestit, Viola
Sächsische Staatskapelle Dresden
Christian Thielemann, Dirigent
von Brian Cooper, Bonn
„In Alpennähe leichte Schauer“, erzählt der DLF-Wetterfrosch im Autoradio auf dem Weg zum Siegburger Bahnhof. Was mir angesichts des bevorstehenden Programms zur Saisoneröffnung in der Frankfurter Alten Oper ein kurzes Lachen abringt.
Christian Thielemann ist erwiesenermaßen einer der Strauss-Dirigenten unserer Tage. Und sämtliche Erwartungen an die Aufführung der Alpensinfonie – sicher eine der bedeutendsten Tondichtungen des gebürtigen Münchners – wurden hier erfüllt und übertroffen. Die Musikerinnen und Musiker der Sächsischen Staatskapelle Dresden, eines Orchesters, das Richard Wagner als seine „Wunderharfe“ bezeichnete und das in diesen Tagen seinen 475. Geburtstag feiert, waren großartig aufgelegt.
Es gibt zwei wunderbare Sonnenaufgänge in der zu Beginn des 20. Jahrhunderts komponierten Musik. Und gerade mal drei Jahre liegen sie auseinander. Da ist zum einen der Beginn von Ravels Daphnis et Chloé, 1912 komponiert, ein durch und durch französischer Sonnenaufgang: leichtfüßig, sinnlich, mit Vogelgezwitscher in den Flöten. Ich lege das gern – selten genug – nach einer durchquatschten und manchmal auch durchzechten Nacht mit guten Freunden auf, wenn’s draußen hell wird.
Und zum anderen ist da der Beginn der Alpensinfonie von Richard Strauss, 1915 komponiert, ein deutscher Sonnenaufgang: gravitätisch, fast aus dem Nichts kommend.
Aber eben nur fast. Der Beginn und der Schluss erklingen unter Christian Thielemann in einem durchaus gut hörbaren piano. Und am Ende dieser einstündigen Bergbesteigung hat man so vieles geradezu physisch mitgemacht: Die musikalische Darstellung all dieser Fährnisse des Lebens, aber auch der Schönheiten der Natur, diese grandiose musikalische Landschaftsmalerei, ließen das Frankfurter Publikum jubeln, wie ich es dort nur selten erlebt habe. Sie lieben halt „ihren“ Maestro. Und der genießt das sichtlich.
Keine Instrumentengruppe soll hier und heute hervorgehoben werden. Alle spielten sie auf einem unglaublichen Niveau. Und auch wenn wir hierzulande eine so reiche Kultur- und Orchesterlandschaft haben: Ein solcher Abend bleibt immer als etwas Besonderes in Erinnerung. Und wir sollten das niemals für etwas Selbstverständliches erachten.
Der auswendig dirigierende Thielemann entlockte der Dresdner Wunderharfe eine „Durchhörbarkeit“, so das erste Wort meines Begleiters nach der Aufführung, die einem ob der Riesenbesetzung den Atem verschlug. Von der dräuenden Nacht über den glanzvollen Sonnenaufgang, vom Anstieg, der voller Tatendrang und Mut erklang, über die nervösen Vögel, die instinktiv Gewitter und Sturm erahnen (herrlich die Windmaschine!), bis hin zum Abstieg: Alles war durchhörbar und unglaublich transparent.
Zuvor hatten wir das große Vergnügen, das selten gespielte Bratschenkonzert Der Schwanendreher des Bratschisten Paul Hindemith zu hören. Hindemith, gebürtig aus Hanau (das hat er mit Rudolf Völler gemeinsam), und gestorben in Frankfurt, wählte vier Lieder aus dem Altdeutschen Liederbuch des Volksliedforschers Franz Magnus Böhme als Basis für sein durchweg fest in der Tonalität verhaftetes Werk, das von Antoine Tamestit begeisternd, mit vollem Bratschenklang, bewältigt wurde.
Der Solist nahm letztes Jahr den Paul-Hindemith-Preis der Stadt Hanau entgegen. Jeder Doppelgriff funkelte, und mit jeder Melodie, jedem Einsatz, bewies Tamestit seine Meisterschaft. Die Orchesterbesetzung ist klein. Keine Geigen, keine Bratschen (!), dafür sind die Bässe und Celli vorn postiert, ebenso die Harfe, die mit dem Solisten im zweiten Satz („Nun laube, Lindlein, laube“) ein herrliches Wiegenlied-Duett zauberte.
Thielemann ließ die Dresdner selbstbewusst spielen, wenn Tamestit gerade Pause hatte. Doch sobald er spielte, nahm der Dirigent das Orchester gerade genug zurück, um eine perfekt ausbalancierte Klangwirkung zu erzeugen.
Paul Hindemith hat eine hörenswerte Bratschensonate komponiert, die ich vor vielen Jahren zum ersten Mal mit der Lehrerin des Franzosen, Tabea Zimmermann, gehört hatte. Die Sonate hat einen rasanten Satz mit der wunderbar humorvollen Satzbezeichnung „Tonschönheit ist Nebensache“. Und genau diese zweiminütige Kostbarkeit gab der Solist noch vor der Pause zu.
Bei beiden Werken des Hauptprogramms dachte man: Schade, dass es schon vorbei ist. Besonders eindrücklich war die Stille im Publikum nach dem Ende der Alpensinfonie.
Dr. Brian Cooper, 15. September 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Blu-ray-Rezension: Bruckner 11, Wiener Philharmoniker, Christian Thielemann 9. September 2023