Elbenita Kajtazi glänzt als Violetta neben schwächeren Partnern

Giuseppe Verdi, La Traviata  Staatsoper Hamburg, 24. Oktober 2023

Eine strahlende Elbenita Kajtazi nimmt den Jubel des Publikums entgegen © Dr. RW

Was diese junge Sopranistin vor allen anderen von mir bisher als Violetta gehörten Sängerinnen auszeichnet, ist neben einer intensiven physischen Rollengestaltung ihr unglaubliches seelisches Ausloten dieser jede Sängerin fordernden Partie. Es sind nicht die gesungenen Noten, die fesseln, sondern die seelischen Empfindungen, die mit diesen von ihr direkt zum Herzen der Zuhörer dringen.

Giuseppe Verdi
La Traviata

Staatsoper Hamburg, 24. Oktober 2023

von Dr. Ralf Wegner

Das Haus war gut besucht, ca. 1.500 Zuschauer füllten den knapp 1.700 Plätze fassenden Saal der Hamburgischen Staatsoper, und das bei einer Repertoirevorstellung mitten in der Woche. Es geht also doch, trotz einer wenig gefälligen Inszenierung. Voraussetzung: Die besonderen Meriten der am Ende umjubelten Sängerin der Hauptpartie macht diese Aufführung zu einem singulären Ereignis, auch wenn die Rollen von Vater und Sohn Germont nicht adäquat besetzt waren.

Dem noch jungen, schlanken und gut aussehenden neuseeländische Tenor Thomas Atkins fehlte es schlichtweg an Stimmkraft, um als Alfredo das Rund des Opernhauses hinreichend zu füllen. Außer im Forte war er selbst in der zweiten Loge im ersten Rang, also recht weit vorn, kaum zu hören. Man hatte geradezu den Eindruck, dass ihm im mezzo piano bis hin zum mezzo forte der Ton wegblieb bzw. die Stimme ihren Klang verlor.

Zeitweilig hätte er genauso gut leise sprechen oder flüstern können. Jedenfalls hat man ihn über weite Strecken kaum gehört, obwohl das Orchester (Leitung Matteo Beltrami) durchaus Rücksicht auf die Stimmen nahm. Auf YouTube klingt seine Stimme gewiss angenehm (Kuda Kuda aus Tschaikowskys Eugen Onegin), da singt er allerdings in einem kleinen Raum und vor Mikrophon. Einschränkend bleibt aber auch zu sagen, dass die zu den Seiten, nach hinten und nach oben weitgehend offene Bühne viel Schall verschluckt. Nicht sehr stimmkräftige Tenöre, wie zum Beispiel auch Stefan Pop im Premierenjahr 2013, sollten daher diese Inszenierung von Johannes Erath meiden.

Deutlich kräftiger und kaum durch ein stärkeres Vibrato getrübt kam der Bassbariton Lukasz Goliński als Giorgio Germont über die Rampe. Er sang mit seiner für den Père Germont recht tief liegenden Stimme durchaus gut, aber ohne wirkliche Stimmschönheit oder genügenden Höhenglanz, zum Beispiel in der berühmten, eigentlich für Bariton vorgesehenen Arie Di provenza il mar im zweiten Bild. Da vermochte Artur Ruciński im letzten Jahr doch gesanglich erheblich mehr zu fesseln. Auch blieb Goliński in der gesanglichen Darstellung sehr zurückhaltend, was natürlich besonders neben der großartigen Gesangsdarstellerin Elbenita Kajtazi auffiel.

David Minseok Kang (Il Dottor Grenvil), Claire Gascoin (Annina), Elbenita Kajtazi (Violetta Valéry), Thomas Atkins (Alfredo Germont), Kady Evanyshyn (Flora Bervoix), Lukasz Goliński (Giorgio Germont), Peter Galliard (Gastone) © RW

Wie soll man die Leistung von Elbenita Kajtazi beschreiben. Sie ist keine jener voluminösen Schönsängerinnen, wie es z.B. Joan Sutherland war, die ihre Sangeskünste wie ein barockes Gemälde in den Vordergrund rücken. D.h. nicht, dass Kajtazi nicht über ein unglaublich schönes Piano verfügt oder ihre Koloraturen wie eine Rubinkette im Sonnenlicht glänzen können.

Was diese junge Sängerin, die noch zum Hamburger Ensemble gehört, vor allen anderen von mir bisher als Violetta gehörten Sängerinnen auszeichnet, ist neben einer intensiven physischen Rollengestaltung ihr unglaubliches seelisches Ausloten dieser jede Sängerin fordernden Partie. Es sind nicht die gesungenen Noten, die fesseln, sondern die seelischen Empfindungen, die mit diesen von ihr direkt zum Herzen der Zuhörer dringen, wie etwa beim Piangi, piangi im Duett mit Giorgio Germont. Man glaubt Kajtazi alles, was sie singt, ihre Einsamkeit am Anfang des Stücks, ihr Liebesglück, ihre Freude genauso wie ihre Furcht und tiefe Verzweiflung, die sie als Violetta durchlebt. Niemals war Violettas Wehklage im dritten Bild Du wirst meine Liebe nie verstehen, Alfredo so intensiv nachzuvollziehen wie bei der gestrigen Vorstellung. Im Grunde muss sich jede Schönsängerin an dieser Leistung messen lassen.

Dr. Ralf Wegner, 25. Oktober 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Giuseppe Verdi, La Traviata, Teatro La Fenice, Venedig, 10. September 2023

Giuseppe Verdi, La Traviata (konzertant), Anna Netrebko, Yusif Eyvazov, Étienne Dupuis, Wiener Konzerthaus, 6. September 2023

Giuseppe Verdi, La Traviata Arena di Verona Opera Festival, 19. August 2023

Giuseppe Verdi, La Traviata Macerata Opera Festival, 13. August 2023

Ein Gedanke zu „Giuseppe Verdi, La Traviata
Staatsoper Hamburg, 24. Oktober 2023“

  1. Sehr geehrter Herr Wegner,

    Vielen Dank für den ausführlichen Kommentar zu La Traviata in der Staatsoper Hamburg.
    Ja, besonders durch Elbenita Kajtazi war diese Aufführung ein besonderes Erlebnis.
    Allerdings hat mir auch Thomas Atkins sehr gut gefallen. Seine Stimme war zwar etwas schmal, aber insgesamt sehr schön klingend. Sauber artikulierend, passte er gut in die Rolle.

    Herzliche Grüße aus Hamburg,

    Berthold Knicker

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