Ligeti und Bruegel schlagen mit dieser Oper dem Tod ein Schnippchen

György Ligeti, Le Grand Macabre, Georg Nigl, Marina Prudenskaya, Slowakischer Philharmonischer Chor, Pablo Heras-Casado  14. November 2023, Wiener Staatsoper

Ein Meisterstück des Operndirektors war es, dieses superbe Opus mit ins Programm zu nehmen. Natürlich ist der 100. Geburtstag des Komponisten der richtige Anlass dazu – aber man darf sich nichts vormachen. „Le Grand Macabre“ ist absolut nicht repertoiretauglich wie eine „Zauberflöte“ und „La Traviata“. Das Werk braucht ein spezielles Orchester, die Tänzer, den Chor und durchwegs hervorragende Solisten, die das Werk durch und durch kennen. Da wird es vielleicht einmal einen Block als Wiederaufnahme geben. Die Zukunft dieser Oper im Spielbetrieb kann man indes mit Zweifeln betrachten. Aber nichtsdestotrotz war diese Aufführung zu Recht ein totaler Triumph und man kann froh sein, das erlebt haben zu dürfen.

Aufführung am 14. November 2023 in der Wiener Staatsoper

György Ligeti, Le Grand Macabre
Inszenierung: Jan Lauwers

Georg Nigl, Gerhard Siegel, Wolfgang Bankl, Marina Prudenskaya, Sarah Aristidou, Andrew Watts

Slowakischer Philharmonischer Chor
Orchester der Wiener Staatsoper

Dirigent: Pablo Heras-Casado

Bunter Abend mit Weltuntergangsfantasien: Sarah Aristidou (Chef der Gepopo/Venus), Georg Nigl (Nekrotzar), Gerhard Siegel (Piet vom Fass, re.) © Wiener Staatsoper/Michael Pöhn

von Herbert Hiess

„Verkauft’s mei’ G’wand, I fahr’ in’n Himmel“. Der Spruch, der die berühmte Wiener Todessehnsucht charakterisiert, dürfte offenbar György Ligetis Motto für seine einzige Oper „Le Grand Macabre“ gewesen sein.

In vier Bildern erzählt der 1923 in Rumänien und 2006 in Wien verstorbene Komponist vom Umgang der Menschen mit dem Tod. Die Oper basiert auf dem Gemälde von Pieter Bruegel dem Älteren „Der Triumph des Todes“, das heute im Madrider Prado hängt.

In vier starken Bildern, wobei das dritte sogar „Breughelland“ heißt, können sich der Trinker Piet vom Fass (großartig hier die gewaltig-umfangreiche Stimme Gerhard Siegels) und Astradamor (hier der imposante Wiener Haudegen Wolfgang Bankl) so richtig austoben und geradezu den Tod verspotten.

Exzellent die Regie von Jan Lauwers, der auch für die Bühne verantwortlich war. Eigentlich bestand die Bühne „nur“ aus langen, senkrecht hängenden Streifen, die je nach Beleuchtung und Hintergrund schlagartig den Charakter wechseln konnten. Wie gesagt, im dritten Bild war das sogar Bruegels „Triumph“ zu sehen.

Alle Protagonisten waren ständig in Bewegung; hier gab es keine Sekunde auch nur einen Anflug von Langeweile. Ganz phantastisch pauschal die Tänzerinnen und Tänzer, die offenbar über eine unerschöpfliche Kondition verfügten. Die Leute waren andauernd mit morbiden, fast epileptischen Bewegungen auf der Bühne. Je nach Situation entweder im Vordergrund oder im Hintergrund. Und natürlich darf man nicht den Chor (dieses Mal der Slowakische Philharmonische Chor) vergessen, der die hoch anspruchsvollen Passagen mit Bravour bewältigte.

Gesanglich schenkte Ligeti den Sängern absolut nichts; die Partitur brachte die Protagonisten oft fast an ihre Grenzen. Ganz hervorragend Marina Prudenskaya als zänkische Herrin Mescalina, die mit ihrem runden und fülligen Mezzo eine Lehrstunde an Gesangskunst zeigte. Und so „nebenbei“ war sie noch eine hervorragende Schauspielerin.

Exzellent auch Georg Nigl als großer „Makabre“ mit seinem schönen Bariton, der sich schon öfters als Charakterdarsteller bewies. Vor allem als „Wozzeck“ bei den Wiener Festwochen hinterließ er einen nachhaltigen Eindruck, den er hier wieder schlagkräftig bewies (evolver.at || Wozzeck). Lustig übrigens, dass damals auch Wolfgang Bankl mit auf der Bühne stand.

Andrew Watts mit seinem perfekten Countertenor und die Damen Sarah Aristidou, Maria Nazarova und Isabel Signoret konnten das hohe Niveau der Darsteller komplettieren. Vor allem die junge französisch-zypriotische Frau Aristidou sollte man beobachten; sie konnte mit ihrem hohen und schwebenden Koloratursopran auftrumpfen. Wie sie auch bravouröse Partien wie die Konstanze oder Zerbinetta bewältigt, wo sie doch einiges an stimmlicher Substanz braucht, wird die Zukunft zeigen.

György Ligetis Musik ist facettenreich, farbenreich – im „Macabre“ versuchte er offenbar, die ganze Musikgeschichte in die vier Bilder einzupacken. Manchmal ging es sogar humoresk zu; das erste Bild begann mit einer Art Foxtrott von Autohupen, das dritte sogar mit einem Tanz, der von Telefonklingeln gespielt wurde.

Der Komponist überließ nichts dem Zufall; fast millimetergenau setzte er die Partitur, was manchmal zu einer Art Konstruktivismus führt. Vor allem die ersten beiden Bilder waren musikalisch eher statisch – da war das Orchester eher eine Art „Klangteppich“ und Begleitung für die Sänger. Erst ab dem dritten Bild (und vor allem das dritte!) zeigte Ligeti, was kompositorisch in ihm steckt. Da gab es plötzlich ein Feuerwerk an Klangfarben, wo die Sänger dem Orchester und das Orchester den Sängern Impulse zuspielten. Da war plötzlich Bewegung im musikalischen Geschehen und das Statische der ersten beiden Bilder war verschwunden. Leider zeigte musikalisch das Finale (Passacaglia) wieder Längen; da war der Triumph vom dritten Bild plötzlich verschwunden.

Mit Pablo Heras-Casado hat der Operndirektor einen wirklich guten Griff gemacht; der 46jährige Maestro, aus Granada (Andalusien) stammende Dirigent hat sich als äußerst vielseitig herausgestellt und konnte mittlerweile viele Triumphe einheimsen. Der sympathisch wirkende Mann konnte auch das Staatsopernorchester zu einer virtuosen Wiedergabe von Ligetis Musik motivieren. Man merkte beim Zusehen, dass er die komplexe Partitur sozusagen „im kleinen Finger“ hat. Ligeti hat das Orchester übrigens ungewöhnlich besetzt, ganz wenige Streicher stehen einer Vielzahl von Bläsern und Schlagwerkern gegenüber. Da ist schon das Halten der Balance allein ein Kunststück, was aber Heras-Casado hervorragend gelang.

Ein Meisterstück des Operndirektors war es, dieses superbe Opus mit ins Programm zu nehmen. Natürlich ist der 100. Geburtstag des Komponisten der richtige Anlass dazu – aber man darf sich nichts vormachen. „Le Grand Macabre“ ist absolut nicht repertoiretauglich wie eine „Zauberflöte“ und „La Traviata“. Das Werk braucht ein spezielles Orchester, die Tänzer, den Chor und durchwegs hervorragende Solisten, die das Werk durch und durch kennen. Da wird es vielleicht einmal einen Block als Wiederaufnahme geben. Die Zukunft dieser Oper im Spielbetrieb kann man indes mit Zweifeln betrachten.

Aber nichtsdestotrotz war diese Aufführung zu Recht ein totaler Triumph und man kann froh sein, das erlebt haben zu dürfen.

Herbert Hiess, 15. November 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

György Ligeti, Le Grand Macabre Wiener Staatsoper, 11. November 2023 (Premiere)

3. Philharmonisches Konzert, Ligeti / Wagner / Widmann / Beethoven, Elbphilharmonie Hamburg, 5. November 2018

Anton Bruckner, György Ligeti, Christian Tetzlaff, Gürzenich-Orchester Köln, Kölner Philharmonie

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