Christian Tetzlaff und das Gürzenich-Orchester verstören mit Ligeti, bevor sie mit Bruckner begeistern

Christian Tetzlaff Violine
Gürzenich-Orchester Köln
François-Xavier Roth Dirigent
György Ligeti – Konzert für Violine und Orchester (1990/92)
Anton Bruckner – Sinfonie Nr. 3 d-Moll WAB 103 (1872–73) – 1. Fassung
Kölner Philharmonie, 3. Oktober 2017

von Daniel Janz

Die Übernahme des Gürzenich-Orchesters Köln 2015 durch François-Xavier Roth markierte auch einen stilistischen Umbruch. Der französische Dirigent hat sich vor allem der Neuen Musik verschrieben. Er will dem Publikum neue Klangwelten eröffnen und sie in Verbindung mit den bekannten Werken der Klassik bringen. Das kann gut gehen. Was da aber am Tag der Deutschen Einheit in der Kölner Philharmonie zu hören war, brachte selbst erfahrene Konzertbesucher an ihre Grenzen.

Das Violinkonzert von György Ligeti stellt sowohl an Spieler als auch an Zuschauer eine Herausforderung dar. So muss der extra für dieses Werk angereiste Violinvirtuose Christian Tetzlaff sein Instrument verstimmen. Die daraus folgende Mikrotonalität betrachtete Ligeti als Aspekt seiner Klangwelt. Der Einsatz weiterer verstimmter Instrumente wird vom Publikum jedoch als schräger Witz aufgefasst. Schon nach wenigen Takten ist Gelächter zu hören. Diesen Eindruck verstärkte der österreichisch-ungarische Komponist zu Lebzeiten selbst durch seine Freude über die „total falsche Intonation“.

Dem grotesken Schaffen werden immer neue reißerische Elemente hinzugemengt. Kreischende Holzbläserlaute sowie dröhnend pochende Schläge auf Marimba, Xylophon und Glocken donnern den Solisten regelrecht zusammen. Okarinen werden als plärrendes Klanggemenge darüber gelegt. Horn, Fagott und sogar Pauken vollführen ein Glissandi nach dem anderen. Einzelne Musiker müssen gar mit Lotus-Flöten Effekte ausführen, die man sonst nur im Cartoon als Lach-Nummern kennt. Eine Hochachtung, dass keiner dieser knapp 30 Märtyrer während des Spiels kapituliert.

Brillieren kann der 51 Jahre alte Solist bei diesem Werk kaum, dafür ist sein tadelloses Spiel zu sehr eingedeckt vom dem Orchesterbrimborium. Nur vereinzelte einfühlsame Episoden lassen das Talent dieses renommierten Künstlers erahnen. Ein Einsatz, der von den Besuchern nicht gewürdigt wird. Spätestens am Ende des zweiten Satzes wird es zunehmend unruhig. Vereinzelt beginnen die Zuschauer, sich laut zu unterhalten und das Spiel auf der Bühne zu stören.

Am Ende ist das Publikum zwiegespalten. Während die einen anständig klatschen, verharren die anderen mit verschränkten Armen. „So etwas nennt man wohl technisch interessant“ – „dafür würde ich nicht wieder herkommen“ – „gleich kommt ja das Anhörbare“ sind nur einige der gemäßigten Statements. Vereinzelt fallen bei einer späteren stichprobenartigen Befragung auch Worte wie „Zumutung“, „ein schlechter Scherz“ und „Schrott“.

Trotz dieser gemischten Resonanz lässt Christian Tetzlaff sich zu einer Zugabe hinreißen. Hier setzt er bereits mit den ersten Klängen von Béla Bartóks „Melodia“ Maßstäbe. Plötzlich ist es präsent, Tetzlaffs unbeschreibliches Talent und seine große Sensibilität. Diese vier Minuten Solo-Violine ergreifen hundert Mal mehr als 30 Minuten Ligeti. Seine Interpretation ist an Ausdruck und Empfindsamkeit nicht zu übertreffen. „Der kann ja wirklich spielen“, sagt ein Zuschauer. Ein anderer sagt, „mit der Zugabe hat er es noch einmal rausgerissen“.

Nach der Pause präsentiert sich das Orchester wie ausgewechselt. Wie das nun doppelt so große Ensemble in Anton Bruckners 3. Sinfonie einstimmt, hätte man nach der verworrenen ersten Vorstellung nie für möglich gehalten. Eine Klarheit füllt plötzlich den Raum und baut sich in einem Ausbruch roher Gewalt bis zu einem Wagner-Zitat auf, um dann ins Nichts zu verschwinden. Ein Muster, das sich Satz für Satz wiederholt.

So abgehackte Passagen sind typisch für den Personalstil Bruckners. Während andere Komponisten auf einen regen Fluss ihrer Musik bestanden, baute er stets ein Thema mit höchst möglicher Spannung auf, um es dann abrupt abbrechen zu lassen. Auch deshalb erlebte der im oberösterreichischen Ansfelden geborene Komponist und Organist bei der Uraufführung seiner „Wagner“-Symphonie ein regelrechtes Fiasko. Deshalb überarbeitete er die Symphonie mehrfach.

Von einem solchen Skandal ist das Gürzenich-Orchester weit entfernt. Die erste Fassung der Sinfonie besitzt zwar einige Längen, vor allem im zweiten Satz. Der 45 Jahre alte Dirigent überspielt diese aber durch seine betont lockere Art und das rasche Aufführungstempo. Seine Interpretation brilliert vor allem im Gesamtklang. Malerische Soli von Horn und Trompete lenken das durch Akkordlast geprägte musikalische Geschehen.

Besonders genial ist die Verwebung eines Ländler-Tanzes mit einem Choral im letzten Satz. Bruckner selbst stellte sich dazu eine ausgelassen feiernde Tanzgesellschaft vor, während in einer Kapelle nebenan ein Sarg aufgebahrt wird. Hier lebt das Ensemble so richtig auf. François-Xavier Roth zelebriert diese Gegensätze regelrecht. Voller Elan führt er seine Musiker bis zu einem euphorischen Schluss. Begeistert schenkt das Publikum ihnen danach Applaus. Diese Bruckner-Aufführung war wirklich ein Genuss.

Das Gürzenich-Orchester Köln stellt online einen Live-Mitschnitt von Bruckners 3. Sinfonie zur Verfügung. Dieser kann unter folgender Adresse aufgerufen werden:

http://www.guerzenich-orchester.de/konzert/sinfoniekonzert-1/286/

Daniel Janz, 8. Oktober 2017, für
klassik-begeistert.de

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