Klassik bedeutet Frieden

Avis Gretes, Dirigent, Francesco Piemontesi, Klavier, NDR EO  Elbphilharmonie, 15. Dezember 2023

Foto: (Patrik Klein)

Avis Gretes   Dirigent
Francesco Piemontesi   Klavier
NDR Elbphilharmonie Orchester

LUDWIG VAN BEETHOVEN (1770 – 1827)
Konzert für Klavier und Orchester Nr. 4 G-Dur op. 58

Entstehung: 1804–06 | Uraufführung: Wien, März 1807 | Dauer: ca. 35 Min.

I. Allegro moderato
II. Andante con moto
III. Rondo. Vivace

WOLFGANG AMADEUS MOZART (1756 – 1791)
Sinfonie Nr. 41 C-Dur KV 551 „Jupiter“

Entstehung: 1788 | Dauer: ca. 40 Min.
I. Allegro vivace
II. Andante cantabile
III. Menuetto. Allegretto Trio
IV. Molto allegro

Elbphilharmonie, 15. Dezember 2023

 

von Harald Nicols Stazol

Einmal haut es ihn fast vom Hocker, diesen Himmelpianisten, da hat es uns alle schon vom Hocker gehauen ob seines Spiels, und dann befürchte ich, „Jetzt haut es ihn aus der Kurve“, jenen Francesco Piemontesi, da wirft er die Linke nach präzis-pretiosem Anschlag im dritten Satz von Beethoven 4, nach einem dieser ohnehin unglaublichen trillernden Läufe, den Arm in die Linkskurve des Hohen Hauses über der windigen Elbe noch höher, und obschon tiefer Verbeugung vor allem Diesen, versteht man, warum er den Kopf im Auf- und Abgehen von der Bühne so hoch erhoben hält, voller Künstlerstolz, der Mann weiß schon, was er kann, und ist stolz drauf, und das darf er auch sein!

Wer noch stolz sein kann? Und auch ein bisschen eitel? Der Paukist Stefan Cürlis. Der bei Mozarts „Jupiter“, KV 551, – ohne Noten! – so dermaßen auf beide Pauken draufhaut, wie ein Rockkonzert-Drummer, dass er geradezu bejubelt werden wird,  und natürlich und extra ganz am Schluss und sinnvoll vom Meister des Ganzen, Aivis Greters, zum Aufstehen dirigiert wird, vom Letten, der in letzter Sekunde für Herbert Blomstedt eingesprungen ist, eine dieser Zweitbesetzungen, ähnlich Bernstein oder der Callas, die unerwartet und plötzlich eine Brillanz vorzuweisen haben, dass es einen wiederum aus dem Sessel haut!

So beginnen Weltkarrieren.

Aber wir wollen nicht alles vorwegnehmen. Denn der wirkliche Star des Abends ist das kleine Mädchen im Pünktchenkleid, keine 10 Jahre, die neben treusorgender, schutzvoller Maman in meiner Reihe sitzt, und meiner heiteren Frage, „gefällt es Dir“, beim Einfädeln in die Sitzreihen schüchtern nickt – da, my Lords, Ladies and Gentlemen, sitzt die Zukunft dessen, was uns alle klassisch begeistert. Her mit der Jugend, her, her, her! Denn das Parkett hat an Lebenszeit auf den ersten und auch den zweiten Blick 4000 Jahre auf dem Buckel, die 4000, die Napoleon Bonaparte seinen Soldaten vor den Pyramiden sagen lässt, „4000 Jahre blicken auf euch herab“ – nichts gegen Geriatrie, Ehrfurcht und Ehre dem Alter, aber man muss auch in die Zukunft der Klassik blicken.

Denn noch so einer ist Nandor, 16, der Sohn des CEO von Ricard Pernod Swiss, der – reine Zufallsbekanntschaft vom illegalen Rauchen auf dem Elphibalkon vor einem Jahr, ein Vater, der morgens in Budapest losfliegt nach München, die Familie einsammelt, dann nach Hamburg jettet, gerade noch rechtzeitig – so sehr ist die Elphi außer Landes wie im Inland Privileg, „Ich habe zwei Dauerkarten meiner Mutter, die habe ich behalten, das geht aus Zürich“ – und unsereins steigt nur in den 5er Bus, dann in die U3 bis Baumwall, Beethoven 4 auf Kopfhörer, wenn man die heißumkämpften Tickets denn überhaupt in die Hände bekommt… gelobt sei klassik-begeistert.de!

„Für mich war der Pianist Welt-Welt-Klasse, so zärtlich, so warm… wunderbar…“ schreibt die Herausgeberschaft, und wie (fast) immer behält sie recht, man trifft sich an der Abendkasse, wo der Chef die Bediensteten anherrscht, die Karten gefälligst-füglichst SOFORT auszuhändigen, man könne sonst niemanden sprechen, ich stelle ihm den Dritten, neuen Hoffnungsschimmer unserer Passion vor, meinen neuen Freund Mahri, 28, den Prinzen aus Äthiopien, voll Rasta, bald wird er Vater, noch ein Nachwuchs-Hörer, ganz im Sinne meiner „Mission Impossible“, die Jugend und auch Laien an die Klassik zu führen, ohne überbordend pädagogisch zu werden, da er zum ersten Mal in einem Konzert ist, und dann so eine Glanzvorstellung! „Ich denke die ganze Zeit, das klingt ja besser, als eine Aufnahme, bis ich schnalle, ja klar, ist ja live“ – so denkt eben die Jugend von heute.

Die Schwierigkeiten des 4. Klavierkonzertes konnte am 22. Dezember 1808 im Theater an der Wien nur der Meister selbst meistern, wobei eben hervorzuheben ist, dass das Klavier den Beginn des Konzertes gestaltet, was zu einem fast liebevollen Blickkontakt zwischen Piemontesi und Greters führt, dem Schweizer und dem Letten, die nun einen Deutschen aufführen – wie international kann man denn noch werden? Klassik bedeutet Frieden.

Ach, das Pianissimo! Dieses Einfühlsame, dieses über Beethoven-Nachdenken, das nach oben strebende Antlitz dabei – für Mahri, für das kleine Mädchen, und für mich Elysium:

 „Im Falle jenes „wunderbarsten, eigentümlichsten, künstlichsten und schwierigsten“ Beethoven’schen Klavierkonzerts – wie es ein zeitgenössischer Kritiker der „Allgemeinen Musikalischen Zeitung“ formulierte – kein Wettstreit zwischen Klavier und Orchester, beide verschmelzen, mit solchem Schmelze, dass man sich nur wundern kann, wie sie sich alle trotz Besetzungswechsel so schnell zusammengefunden haben – denn plötzlich, da Blomstedt ausfällt, wurden ja Karten frei, und dann so ein „Ersatz“, heute Abend ein doppelter Glücksfall für die sie noch Erheischenden.

Ich kann die Virtuosenhände des Genies an den Tasten von meiner Warte aus nicht sehen, aber seine innigen Kopfneigungen, und seine schwarzen Lackschuhe an den Pedalen am lackschwarzen Flügel, und auch da herrschen Sanftheit und Gewalt, je nach Forderung und Gelegenheit.

Die Zugabe, ein leis-leiser Schumann, wenn ich und mein Nachbar zur Rechten richtig liegen, noch feiner, noch leiser, „wie eine Pusteblume“ habe ich notiert,  – der Saal wird schon vor der Pause frenetisch.

Unser Orchester, live gestreamt, muss inzwischen, ich schrieb es schon, keinen Vergleich mehr scheuen oder gar fürchten. Stolz der Stadt, und zum Stolze der Stadt. Ich sags Euch, die gehen noch auf Tournee, am besten in die Carnegie Hall, noch besser, in den Hollywood Bowl, „mark my words!“

Und ich selbst platze vor Stolz gerade, aus reinem Patriotismus, als bayerischer Exilant. Ich weiß nicht warum, aber die Hingabe des Konzertmeisters der Cellisten, Andreas Grünkorn, erscheint mir der besonderen Bemerkung wert, vielleicht, weil der Schwung des Ganzen, auch ohne Einsatz, zu einer körperlichen Begeisterung führt, die das ganze NDR Elbphilharmonie Orchester um 20.48 Uhr eben zum schön-schönsten Erlebnis mitschwingen lässt.

Niemand weiß so genau, warum die „Jupiter“ Jupiter heißt, fest steht nur, dass Wolfgang Amadé sie quasi über Nacht aufs Notenpapier warf, und sie selbst niemals hörte.

Nun ja, nun hat er ja uns. Und Jupiter? Das ist der Mann am Pult.

Der immer wieder und voll-vollster Leidenschaft und in großen, ja quadratmetergroßen, quatsch, kubikmetergroßen Gesten samt Stampfen und Treten und Lächeln, alles ausführt, alles andeutet, alles regiert, der Mann, der einfach so aussieht, wie der Prototyp eines Dirigenten, der „Ersatzmann“ Aivis Greters – energetisch, ein wenig beleibt, und bei „Jupiter“ beben auf das Entzückendste seine Haare, – ich habe zwei Saisons lang solchen Gesamtkörpereinsatz nicht gesehen. Nicht bei Currentzis, nicht bei Mäkelä, und schon gar nicht bei dem Doyen Gardiner. Man hätte – und gute Besserung vom ganzen Team! – Blomstedt dagegen mal gerne erlebt.

Hier kann man nur dem Mozart-Forscher Stefan Kunze beipflichten: „Die Vollendung ist in Mozarts Musik von der Art, dass sich hinter ihr leicht das Unerhörte des musikalischen Geschehens verbirgt und als Selbstverständlichkeit des bloß Schönen, der formalen Ausgewogenheit erscheint.“

Und diese „Selbstverständlichkeit“ herzustellen, unser Orchester vermag es.

„Movement is in da House“, da bewegt sich was, generationsübergreifend würde ich mal sagen! Das merkt auch das kleine Pünktchenkleid.

Und vielleicht gilt auch für sie:

So beginnen Weltkarrieren.

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