Musikverein Wien © Franks Travelbox
Wenn nach dem „Dies irae“ der Chor leise „Auferstehn, ja auferstehn“ anstimmt, und das Sopransolo vom Orgelbalkon aus sich über Orchester und Chor in himmlische Höhen emporschwingt, dann ist das für mich eine der ergreifendsten Stellen in der gesamten symphonischen Literatur. Die letzte Steigerung zur Schlussapotheose mit Orgel und Glocken war absolut überwältigend interpretiert. Nach einer kurzen Pause der Ergriffenheit brach großer Jubel aus; Solistinnen, Dirigent und Chorleiter dankten mit vielen Verbeugungen. Ein großer Abend mit einem großen, unvergleichlichen symphonischen Werk!
Gustav Mahler
Symphonie Nr. 2 c-moll „Auferstehung“
Wiener Symphoniker
Dirigent: Alain Altinoglu
Sopran: Chen Reiss
Alt: Nora Gubisch
Singverein der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien
Künstlerische Leitung: Johannes Prinz
Musikverein Wien, Großer Saal, 24. Februar 2024
von Dr. Rudi Frühwirth
Mahlers Auferstehungssymphonie steht nicht allzu oft auf dem Programm der beiden großen Wiener Konzertsäle. Verständlicherweise, denn eine Aufführung des in ein christliches Jenseits weisenden Werks ist ein Unternehmen, das den üblichen Repertoirebetrieb sprengt, an die Ausführenden höchste Anforderungen stellt und der Zuhörerschaft ein einzigartiges Musikerlebnis bescheren kann, wenn sie sich dem Werk vorbehaltslos hingibt.
Das Konzert im „Goldenen Saal“ des Wiener Musikvereins wurde meinen Erwartungen vollkommen gerecht. Die Wiener Symphoniker lieferten eine glänzende Orchesterleistung. Den Musikern und Musikerinnen gelangen auch die heikelsten Passagen perfekt. Der Dirigent hat in Mahlers zweiter Symphonie zwei große Aufgaben zu bewältigen. Erstens muss er die orchestrale Dynamik, die vom zarten Ländler zu Beginn des zweiten Satzes bis zu den ohrenbetäubenden Ausbrüchen im ersten und letzten Satz reicht, richtig abstufen und disponieren und zweitens muss er den Spannungsbogen über die fast neunzig Minuten des Werkes aufbauen und halten.
Beides gelang dem Dirigenten Alain Altinoglu ganz ausgezeichnet. Überzeugende Wahl der Tempi, sorgfältiger Aufbau der dynamischen Steigerungen, und präzise Koordination der Orchestergruppen ließen mich in der Musik aufgehen wie sonst selten.
Schon der erste Satz durchmisst ein Spektrum der Emotionen, das seinesgleichen sucht. Von tiefer Trauer über wild auffahrenden Trotz bis zu verklärender Erinnerung an früheres Glück ist hier in der typisch Mahler’schen Diktion alles zu hören.
Der zweite Satz bietet dem Zuhörer Erholung von der Tragik der vorangehenden „Totenfeier“. Der fast Schubert’sche Ländler zu Beginn wandelt sich im Lauf des Satzes zu einem gespenstischen Scherzo, um dann gegen Ende wieder zum Ländlerton zurückzufinden. Hier waren die Symphoniker ganz in ihrem wienerischen Element.
Der dritte Satz ist das eigentliche Scherzo der Symphonie. Er lehnt sich an das bereits früher von Mahler komponierte Lied über die Fischpredigt des heiligen Antonius an, dessen Vorlage aus „Des Knaben Wunderhorn“ stammt. Aus einem Fugato des Themas entwickeln sich grelle, grotesk wirkende Bläserpassagen, die wie nicht selten bei Mahler an Militär- oder Jahrmarktsmusik erinnern. Auch dieser Satz kehrt zum Ende zur sanft fließenden Thematik des Anfangs zurück.
Mit dem folgenden vierten Satz, dem „Urlicht“, beginnt die Auferstehungsmystik, die der Symphonie ihren Beinamen verliehen hat. Das rührende Gedicht aus „Des Knaben Wunderhorn“ schildert in wenigen Zeilen das Verlangen, aus dem irdischen Jammertal in ein himmlisches ewiges Leben zu gelangen. Es treibt mir in Mahlers einfach gehaltener inniger Vertonung jedes Mal die Tränen in die Augen. Die Altstimme von Nora Gubisch mit ihrem warmen, tiefen Timbre verfehlte auch diesmal ihre Wirkung nicht.
Die Wirkung des letzten Satzes übersteigt alles bis dahin Gehörte und lässt sich mit bloßen Worten nicht beschreiben. Neben dem Orchester werden Sopran- und Altsolistin und ein großer Chor aufgeboten, um Mahlers Vision der Auferstehung in Musik zu fassen. Der Singverein, einstudiert von Johannes Prinz, die Sopransolistin Chen Reiss und Nora Gubisch boten eine makellose, beeindruckende Leistung.
Wenn nach dem „Dies irae“ der Chor leise „Auferstehn, ja auferstehn“ anstimmt, und das Sopransolo vom Orgelbalkon aus sich über Orchester und Chor in himmlische Höhen emporschwingt, dann ist das für mich eine der ergreifendsten Stellen in der gesamten symphonischen Literatur. Die letzte Steigerung zur Schlussapotheose mit Orgel und Glocken war absolut überwältigend interpretiert.
Nach einer kurzen Pause der Ergriffenheit brach großer Jubel aus; Solistinnen, Dirigent und Chorleiter dankten mit vielen Verbeugungen. Ein wunderbarer Abend mit einem großen, unvergleichlichen symphonischen Werk!
Dr. Rudi Frühwirth, 25. Februar 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at