Solide, aber wenig spannungsreich: Bachs Matthäuspassion unter Francesco Corti

Johann Sebastian Bach, Matthäuspassion BWV 244  Frankfurt, Alte Oper, 16. März 2024

Alte Oper Frankfurt © Norbert Miguletz

Johann Sebastian Bach: Matthäuspassion   BWV 244

Maximilian Schmitt, Evangelist
Yannick Debus, Christus
Kateryna Kasper, Sopran
Philippe Jaroussky, Alt
Zachary Wilder, Tenor
Andreas Wolf, Bass

Zürcher Sing-Akademie
Freiburger Barockorchester
Leitung: Francesco Corti

Alte Oper Frankfurt, 16. März 2024

von Kirsten Liese

In der Regel verlasse ich Konzerte mit dem Freiburger Barockorchester begeistert. Und wenn es allein um seinen Part geht, war die jüngste Matthäuspassion in der Alten Oper, engagiert musiziert, allemal hörenswert. Und doch blieb diese Aufführung – ich sage das schweren Herzens – hinter meinen Erwartungen zurück.

Das fängt damit an, dass Francesco Corti als musikalischer Leiter  zu wenig mit den Solisten und der Züricher Sing-Akademie an der Auslegung des teils sehr dramatischen Texts gearbeitet hat. So gleichförmig alles klang, hatte es den Anschein, als hätte man sich damit begnügt, die Töne einzustudieren.

Dieser Eindruck wurde dadurch verstärkt, dass Corti, viel beschäftigt zwischen Dirigat und Continuospiel am Cembalo, wenig dynamisierte, vielmehr die ganze Passion in einem Mezzoforte abfeierte.

Wenn zwei Choräle mit derselben Melodie dicht aufeinander folgen wie zum Beispiel  O Haupt voll Blut und Wunden und Wenn ich einmal soll scheiden in Unklammerung der Arie Komm süßes Kreuz, macht es Sinn, wenn der zweite, der wie eine Reprise anmutet, im Gegensatz zum ersten sehr leise gesungen wird. Das hat dann etwas sehr Berührendes. Viele Dirigenten machen das, an diesem Abend in der Alten Oper harrte man solche Abstufungen jedoch vergebens.

Auch  farblich tönte alles recht monochrom, was allerdings dem Umstand geschuldet war, dass sich die Solisten im Timbre wenig unterschieden.

Maximilian Schmitt durchlebte seinen Text als Evangelist durchaus emotional, wiederum aber nicht so ergreifend, dass man an einer Stelle wie Judas’ später Reue über seinen Verrat  „und ging hinaus und weinete bitterlich“ den Atem angehalten hätte wie einst bei einem Karl Erb, Peter Schreier oder Ian Bostridge. Zudem verfügt Schmitt über keinen hellen Tenor, seiner Kehle entströmen eher Töne in gedeckten Farben. Der Christus von  Yannick Debus setzte sich davon wenig ab. Das ist angesichts der dichten rezitativischen Wechsel zwischen den beiden eher unvorteilhaft. Im Idealfall singt den Christus ein tiefer Bass und nicht wie hier ein Bariton.

Weiterhin ungünstig erschien mir die überschaubar kleine Größe des Chores. Man braucht sicherlich keine so riesigen Phalanxen wie sie Karajan beanspruchte, ein bisschen mehr Volumen an dramatischen Stellen wie beim Lass ihn kreuzigen  fände ich schon wünschenswert. Da tönte mir die Zürcher Sing-Akademie einfach zu dünn.

So sehr ich die Transparenz in den großen polyphonen Stimmgeflechten zu schätzen weiß, die sich dank kleinerer Besetzungen in der jüngeren historisch informierten Aufführungsgeschichte durchgesetzt hat: Mit wachsendem Alter sehne ich mich doch nach dem etwas üppigeren, satteren  Bachklang eines Karl Richters zurück.

Auch wenn Corti immerhin im Eingangschor sehr schön die räumlichen Stereo-Effekte im Dialog der beiden Chöre (- Seht!- Wohin? – Auf unsere Schuld)  herausstellte.

Philippe Jaroussky © Marco Borggreve

Den gleichwohl etwas spannungslosen Abend konnte auch Counterstar Philippe Jaroussky nicht herausreißen. Es ließ sich nicht überhören, dass sein Zenit überschritten ist. Die Geschmeidigkeit im Modulieren ist ihm abhandengekommen, seine mühsam erreichten hohen Töne muten nicht mehr schön an, in der Tiefe tönt sein Countertenor ziemlich dünn.

Da bahnt sich wohl – abzüglich einer womöglich nicht allzu guten Tagesform –  das tragische Ende einer großen, bedeutsamen Karriere an.  Nachdem diese Schwächen vor allem in der ersten Altarie  Buss und Reu  erschütternd  ohrenfällig wurden, gelang Jaroussky zumindest aber das  berühmte, tiefer gelegene Erbarme Dich  halbwegs respektabel.

Die übrigen Vokal-Solisten verfügten über durchaus schöne Stimmen, allein was ihren Vorträgen fehlte, war ein lebendigeres Gestalten des Texts.

Kateryna Kasper mit ihrem strahlend hellen, luziden Sopran hat mich von allen mit  ihren Arientexten am meisten bewegt.

Zachary Wilder sang seine Arien solide, wobei sein Tenor in der Höhe ein wenig herb tönte. Mit Andreas Wolff komplettierte ein junger Bassist die Sängerriege, der seine nicht allzu große Stimme schlank durch alle Register zu führen wusste. Seine Arie Komm süßes Kreuz  ließ vor allem auch dank der virtuosen, enervierend aufspielenden Gambistin besonders aufhorchen, die ihre Extraklasse zuvor schon mit ihrem instrumentalen Solo zur Arie Geduld, wenn mich falsche Zungen stechen unter Beweis gestellt hatte.

Ein wenig schade fand ich es bei alledem, dass die Sängersolisten, die hinter dem Orchester auf Stühlen Platz nahmen,  für jede Arie und jedes Duett nach vorne neben den Dirigenten auf- und abtreten mussten, zumal sie jeweils schon in den instrumentalen Nachspielen ihren Abgang machten. Ich finde es schöner, wenn sich die Sänger bis zum Verklingen des letzten Tons einer Arie nicht von ihrem Platz rühren. Deshalb bevorzuge ich Aufstellungen, bei denen die Sänger entweder neben dem Dirigenten oder hinter dem Orchester Platz nehmen und von dort aus auch singen.

Mit dem Schlusschor Wir setzen uns mit Tränen nieder endet die Passion.  In sehr guten Aufführungen, die ich im Laufe von Jahrzehnten erlebte, war ich dann selbst den Tränen nahe. Ein solch starkes Gefühl überwältigte mich diesmal nicht, aber trotz der genannten Abstriche war es schön, diese geniale Musik einmal wieder gehört zu haben.

Kirsten Liese, 18. März 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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