Hansjörg Albrecht und der Carl-Philipp-Emanuel-Bach-Chor Hamburg bringen die Laeiszhalle in feierliche BACH-Uraufführungsstimmung… auch 250 Jahre nach dem Tod des Komponisten

Carl-Philipp-Emanuel-Bach-Chor Hamburg, Dresdner Festspielorchester  Laeiszhalle Hamburg, 12. März 2024

Laeiszhalle, CPE-Bach-Chor © Johannes Fischer

Ein Bach’sche Uraufführung im Jahr 2024… gibt’s das noch? Ja, und zwar in der Hamburger Laeiszhalle in Form einer brandneuen Rekonstruktion der kaum gespielten Lukas-Passion. Sogar die Tagesthemen waren da! Bei der Uraufführung der Matthäus-Passion werden die wenigsten von uns dabei gewesen sein, doch gerade in so einer fantastischen Aufführung klingt auch dieses Werk nicht weniger souverän.  

Carl-Philipp-Emanuel-Bach-Chor Hamburg

Dresdner Festspielorchester

Julia Sophie Wagner, Sopran
Bettina Ranch, Alt
Daniel Johannsen, Evangelist
Andreas Post, Tenor
Matthias Winckhler, Bassbariton
Klaus Mertens, Bass

Hansjörg Albrecht, Leitung

Johannes Sebastian Bach: Lukas-Passion, Rekonstruktions-Pasticcio von Lorenz und Christoph Eglhuber

Laeiszhalle Hamburg, 12. März 2024

von Johannes Karl Fischer

Bachs Lukas-Passion ist so eine Sache. Also wissenschaftlich. Denn anders als die verschollene Markus-Passion – ja, der Thomaskantor hat ganz kirchentreu jedem Evangelisten eine Passion gewidmet – ist sie zwar überliefert, allerdings mit einem ganz großen Aber. Überliefert, aber wahrscheinlich nicht ganz von Bach. Er hat sie nie fertig geschrieben. Das wurde jetzt korrigiert und von der Familie Eglhuber rekonstruiert. Und so kommt man auch 2024 noch einmal an Bach’sche Uraufführungsstimmung!

Natürlich ist eine Aufführung dieses Werkes nicht ganz so ausgefeilt wie jene der Matthäuspassion. Die Solistinnen und Solisten blättern während ihrer Pausen in der Partitur herum, auch der Chor scheint recht in den Noten fixiert und im Orchester klingt das eine oder andere ein wenig improvisiert.

Umso lebendiger wird die Stimmung. Eben nicht „wir singen zum 287. Mal den Schlusschor der Johannes-Passion“.

Hier herrscht Aufbruchstimmung, nach jeder Arie große Spannung, was wohl als nächstes kommt. Endlich macht auch eine große Bach-Passion mal wieder richtig Spaß. Genau wie zu Bachs Zeiten, als würde man der Matthäus-Passion-Uraufführung selbst beiwohnen. Wie sich das Publikum damals vor diesem Mammut-Werk gefühlt haben muss…

Maßgeblich verantwortlich für den großen Erfolg dieses musikhistorisch einmaligen Abends (klingt etwas übertrieben, ein zweites Ereignis dieser Klasse wird es aber erst geben, wenn die Markus-Passion auftaucht) war der Dirigent des Abends, Hansjörg Albrecht. Sichtlich begeistert jonglierte er Cembalo und Dirigat umher und spornte seine Musiker zu neuen Höchstleistungen an. In den schnellen Melodien geht die Post ordentlich ab, die etwas sentimentaleren Stellen gelangen stets mit großer Leidenschaft. Als wäre Bach hier auferstanden und würde diese Musiker selbst für sein Werk begeistern.

Das mit Feuer und Flamme spielende Dresdner Festspielorchester sowie der souverän singende Carl-Philipp-Emanuel-Bach-Chor waren voll und ganz bei der Sache dabei. Vor allem die sehr zahlreichen Choräle gerieten zu einer Paradeleistung des Bach’schen Chorgesangs, in diesen doch eher kurz gehaltenen Nummern steckte ein unglaubliches Maß an Freude und Leidenschaft drin! Die äußerst passionierten SängerInnen sangen gänzlich mit einer runden, seligen Stimme und brachten das Publikum in besten Osterfeierstimmung.

Laeiszhalle, CPE-Bach-Chor © Johannes Fischer

Bei den Gesangssoli räumte vor allem Daniel Johannsen als Evangelist ab. Wie ein orator perfectus, nein, cantor perfectus, rezitierte er die ganze Passionsgeschichte mit klarer Stimme in reinen, perfekten Melodien daher. In dieser hellen, segelnden Stimme steckte ein ordentliches Maß Klaus Florian Vogt-Infusion drinnen, die zeitlose Musik dieser Passion gewinnt neue Kraft!

Auch Matthias Winckhler erwies sich als bärenstarker Bach-Bariton. Seine Monologe hatten etwas mehr Farbe, etwas mehr Emotion als die des Evangelisten, waren dennoch ebenso textverständlich und wunderbar melodisch! Aus der ersten Chorreihe guckte er hoch über das Orchester hinaus, ein bisschen wie ein klagender Jesus auf dem Sinaiberg. Ganz unten, vor dem Orchester, stand wie auch alle weiteren Soli Bettina Ranch und gestaltete die Alt-Partie mit viel Farbe und Wärme. Ihre runde Stimme strahlte mir viel Brillanz die Bach’schen Melodien in den Saal, so dringt auch 250-Jahre alte Musik tief in die Herzen des Publikums.

Auch Klaus Mertens (Bass), Julia Sophie Wagner (Sopran) und Andreas Post (Tenor) erledigten ihre Partien mit souveräner Routine und Herzenskraft. Vor allem die Tenor-Arien glänzten selbst im Schatten der überragenden Rezitative in gleicher Stimmlage, auch Frau Wagners Sopran segelte im Verlauf des Abends immer sonnenheller durch den Saal.

Was Bach geschaffen hat, das darf nicht vergehen: Auch 250 Jahre nach dessen Tod ist diese Uraufführung nicht weniger eindrucksvoll als eine Darbietung der alt-bekannten, grandiosen Matthäus- und Johannes-Passionen. Einziger Schönheitsfehler: Die Auslastung. Viele Reihen waren nur sehr spärlich besetzt, einzelne Logen sogar komplett leer.

Ich muss sagen, fast vier Stunden (samt einer Pause) Bach an einem Dienstagabend, das ist auch schon sehr viel. Vielleicht wäre der Applaus noch begeisterter gewesen, wenn der Großteil des Publikums vor dem Konzert nicht schon einen ganzen Arbeitstag hinter sich gehabt hätte. Zumal eine Bach-Passion wirklich keine leichte Kost ist…

Johannes Karl Fischer, 13. März 2024 für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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