Camilla Nylund /Angélique Kidjo © Daniel Dittus
Zwei Sängerinnen aus zwei Musikwelten, ganz in der Musik vereint
Es muss auch nicht immer Klassik sein… das zeigt nun auch die weltbeste Wagner-Isolde im teuersten Klassik-Konzertsaal der Welt. Mit Auszügen aus The Great American Songbook begeistert sie das Hamburger Elbphilharmonie-Publikum ebenso wie die Singer-Songwriterin Angélique Kidjo mit feurigem Gesang und Tanz. So kann auch die Elbphilharmonie mal richtig grooven!
Reflektor André Heller
Camilla Nylund, Gesang
Angélique Kidjo, Gesang
Florian Sitzmann, Klavier
Amen Viana, Gitarre
David Donatien, Perkussion
Hamburger Camerata
Christian Reif, Dirigent
Elbphilharmonie Hamburg, 21. März 2024
von Johannes Karl Fischer
Regelmäßig berichtet die Presse teils sehr kritisch über das Publikumsverhalten in der Hamburger Elbphilharmonie.
Klatschen zwischen den Sätzen? Geht gar nicht. Das muss man doch als Klassik-Konzertbesucher wohl wissen! Nun wird mal andersrum ein Schuh draus. Zwischen zwei federleicht gesungenen Nummern ihres Programms aus The Great American Songbook erklärt die Sopranistin Camilla Nylund – die erst kürzlich die hochdramatischen Wagnerpartien Isolde und Brünnhilde zu grenzenloser Begeisterung sang – ganz entspannt in einem kleinen Einschub, anders als in Klassik-Konzerten dürfe man hier nach jeder Nummer klatschen.
Und was passiert? Die grenzenlose Begeisterung des Publikums übertrifft sich nach jeder Nummer aufs Neue, der Saal wird im Laufe des Abends wie ein Sog von der Musik mitgenommen! Das lag sicherlich auch an Frau Nylunds wunderbar sanften Gesang, mit dem sie durch die jazzigen Cole Porter oder George Gershwin-Schlager segelt. Vor Florian Sitzmanns champagnerperlender Klavierbegleitung singt sie jede noch so kurze Melodie bis zum Ende hin völlig mühelos aus und gibt dieser sehr unterhaltsamen Musik nochmal eine völlig neu dimensionierte Eleganz.
Ein bisschen – nein, sogar sehr viel – Jazz-Lounge-Feeling in der Elphi. Oder das Vorzimmer einer Rosenkavalier-Marschallin des 20. Jahrhunderts. Fehlen noch rote Plüschsofas und der Klang von hupenden New Yorker Taxen…
Leider ist das ganze schon nach nicht mal einer Stunde wieder zu Ende… viel zu kurz für meinen Geschmack. Von dieser chilligen Entspannung bräuchten wir angesichts der tobenden Außenwelt deutlich mehr…
Nach der Pause geht’s mit einer ebenso begeisternden, stilistisch völlig anderen Musik weiter. Kaum eine Sängerin könnte so stark mit Frau Nylunds feingeputzten, seindensanften Lyrik-Sopran kontrastieren wie Angélique Kidjos feurige, leicht raue – gar nicht im negativen Sinne – und bewegende Stimme. Wo Frau Nylund das Publikum zum Applaus ermutigt hat, fordert die beninisch-französische Singer-Songwriterin den Saal zum Mitsingen und Tanzen auf – einige haben das schon vor ihrer Bitte getan und ihre Begeisterung in den Gängen und Treppen ausgelebt. Da wird es auch in der Elphi mal richtig groovy!
Und es ist immer wieder bewundernswert, was für eine grenzenlose Energie man mit Musik quer durch ein Publikum schicken kann, wenn die Musik sichtlich im ganzen Saal lebt. Nicht ganz unbeteiligt an daran waren auch der Gitarrist Amen Viana und der Perkussionist David Donatien, dessen äußerst kunstvolles Musizieren der Stimmung nochmal einen extra Schwung gab.
Ich muss sagen: Ich komme eigentlich stark aus der Klassik-Ecke, mein Schwerpunkt hat sich im Laufe meiner noch nicht so vielen Jahre von Beethoven zu Wagner und Richard Strauss gewandelt. Gut, für Jazz habe ich auch so das eine oder andere übrig, entsprechend waren jetzt auch Cole-Porter-Schlager-Arrangements nicht der ganz große Sprung ins Ungewisse.
Aber vor allem Frau Kidjos mitreißende, energetische Musik hat mich regelrecht umgehauen. Das ist mir völlig egal, ob in ihrem Programmtitel „African Symphony“ die Bezeichnung einer meiner klassischen Lieblingsgattungen drinsteckt oder nicht. Das ist einfach verdammt gute und stimmungsvolle Musik, die in einem eine völlig freie und feurige Freude auslöst. Da spürt man den Rhythmus voll und ganz in seinen Armen und Beinen…
Ähnlich schien es der Hamburger Camerata unter Christian Reif zu gehen, das Hamburger Klassik-Kammerorchester fand sich in allen stilistischen Ecken dieser Musik zurecht und begleitete mit viel und zugleich nicht zu viel Einsatz. Die Musiker und Musikerinnen schienen auf jeden Fall mächtig Spaß zu haben, spielten durchwegs mit einem stets sehr sauberen Klang und schienen in der zweiten Konzerthälfte Frau Kidjos Aufforderung zum Tanz deutlich folgen zu wollen.
Um am heutigen Heute-Heute-Tag durften natürlich auch ein paar Eröffnungsworte des genialen Künstlers und der treibenden künstlerischen Kraft hinter diesem Konzert, André Heller, nicht fehlen. Wie er damals mit seiner Mama auf dem nie benutzten elterlichen Ehebett sitzend die Opernübertragung der Salzburger Festspiele angehört hat. Mit Elisabeth Schwarzkopf und Hilde Güden. Was kann man sagen, Oper verbindet eben…gerade Frau Nylunds Great American Songbook-Projekt ist im Rahmen seiner Berliner Rosenkavalier-Inszenierung entstanden.
Und ohne einen genialen Alleskönnerkünstler wie André Heller wäre es wohl kaum zu einem gemeinsamen Konzert von Frau Nylund und Frau Kidjo gekommen. Am Ende traten die beiden Sängerinnen des Abends nochmal gemeinsam auf und stimmten auf „We shall overcome“ ein. Das war ein wahrhaftig magischer Moment…zwei völlig unterschiedliche Stimmen, auf einmal ganz in Musik vereint.“
Johannes Karl Fischer, 22. März 2024 für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
»A Mood Swing Reunion« Jazz in der Elbphilharmonie Elbphilharmonie, Großer Saal, 29. Oktober 2022
Kenny Barron Quartet Jazz in der Elbphilharmonie, Elbphilharmonie, 10. August 2022
Interview mit Camilla Nylund von Johannes Karl Fischer klassik-begeistert.de, 2. Oktober 2023
Eine Anmerkung zum „teuersten Konzertsaal der Welt“, wobei die Kosten für das gesamte Gebäude mit seinen 4.000 (!) Räumen stets dem einen Großen Saal zugerechnet werden.
Der Konzertbetrieb belegt ca. 500 Räume, es gibt ja noch ein 5*-Hotel mit allen Fazilitäten, Spa Restaurants, andere Restaurants, 42 bis zu 400 m² große Wohnungen, die Plaza, das Parkhaus…
Wenn man das alles betrachtet, gibt es zwei Elbphilharmonien, und die Kosten für den Großen Saal sind gar nicht so hoch!
Johannes Capriolo
Zum 21. März in der Elphi:
Ich bin gerade bestürzt: eine derart mitreißende, platische und heißglühende Rezension führt doch dazu, dass mein Bedauern über den verpassten Abend in höchste Höhen steigt…!
Will sagen: so schön, so glutvoll, so lebendig geschrieben sollen sie sein, die Rezensionen. So, dass man denkt: nächstes Mal MUSS ich dabei sein!
Danke!
Elisabeth Champollion