Elektra, Nina Stemme © Monika Rittershaus
Auch die Dernière der drei Aufführungen von Elektra im Festspielhaus Baden-Baden spielen die Berliner Philharmoniker unter Kirill Petrenko fulminant. Ostern 2025 sind sie zum letzten Mal hier zu Gast. Aber mit dem Concertgebouworkest ist ab 2026 bereits die Weltklasse gebucht.
Baden-Baden, Festspielhaus, 31. März 2024
Richard Strauss (1864-1949) – Elektra Oper in einem Aufzug. Text von Hugo von Hofmannsthal
Musikalische Leitung: Kirill Petrenko
Berliner Philharmoniker
Regie: Philipp Stölzl, Philipp M. Krenn
Bühne, Licht: Philipp Stölzl
Co-Bühnenbild: Franziska Harm
Kostüme: Kathi Maurer
Video: Judith Selenko, Peter Venus
Klytämnestra: Michaela Schuster
Elektra: Nina Stemme
Chrysothemis: Elza van den Heever
Orest: Johan Reuter
Aegisth: Wolfgang Ablinger-Sperrhacke
von Brian Cooper, Bonn
„Ach, und schisch ja noch hell!“, konstatiert die Dame hinter mir beim Verlassen des Festspielhauses, die offenbar aus dem badisch-alemannischen Sprachraum kommt, die nächtliche Umstellung auf Sommerzeit wahrgenommen hat und wie ich vollkommen benebelt schien von der glanzvollen Aufführung der Elektra von Richard Strauss. Es klang wie eine der Lebensweisheiten des von mir hochverehrten Christian Streich.
Nach Überfliegen der ersten Berichte von der Premiere des Einakters hatte ich große Sorge, dass das Projizieren des gesamten Librettos auf die Bühne – Übertitel gab es auch – ablenken würde vom Geschehen, von Hass und Rache. Dem war nicht so – sofern man sich freilich auch nicht ablenken ließ.
In Zeiten, da man schier an der Doofheit der Menschen verzweifelt, tut es gut, sich immer wieder vor Augen zu führen, dass der Mensch als solcher ein paar Dinge auch herausragend hinbekommen hat. Da ist zum einen das kongeniale Gespann von Berliner Philharmonikern und ihrem charismatischen Chefdirigenten, Kirill Petrenko. Zum anderen sind da die Opern von Richard Strauss, die Hugo von Hofmannsthal mit seinen Libretti veredelt hat, von Elektra bis Arabella, und die haben etwas, was die Werke des anderen Richard nicht haben: gute Texte. Darauf ein Hojotoho!
Zum vorletzten Mal sind die Berliner Philharmoniker bei den Osterfestspielen in Baden-Baden. Nach der Frau ohne Schatten im letzten Jahr steht in diesem Jahr wieder einmal Richard Strauss auf dem Programm. Wer Strauss nicht mag, ist arg gebeutelt: Nächstes Jahr gibt’s unter Klaus Mäkelä die Alpensinfonie. (Von wegen die Chemie stimme nicht mit den Berlinern, den lüden sie nie wieder ein: Schöne Grüße an die Besserwisser…)
Um es vorwegzunehmen: Wie gewohnt spielen die Berliner grandios auf, Petrenkos überaus elegantes Dirigat begeistert. Wir sitzen mittig im Parkett und lugen ab und an auf die Monitore, die den auf der Bühne Agierenden dienen. Nur so ist Petrenko nämlich in Reihe 15 im Parkett sichtbar. Herausragend besetzt sind die großen Rollen. Auch die fünf Mägde zu Beginn beeindrucken.
Philipp Stölzl ist ein wahrer Tausendsassa. Mit Philipp M. Krenn führt er hier Regie und ist auch für Bühne (zusammen mit Franziska Harm) und Licht verantwortlich. Er hat als Regisseur Filme gemacht, darunter Schachnovelle, dann Musikvideos u.a. für Rammstein (nicht ohne Kontroverse), einiges an Theater und seit etwa zwanzig Jahren auch Oper.
Betrachtet man die Idee der Videoprojektion nüchtern, fließt diese als weitere (graphische) Kunstform in die Inszenierung ein. Die Schrift ändert sich ständig, und es ist nicht so irritierend wie nach der Lektüre einiger Kritiken befürchtet. Sinnvoll ist es aber wohl aber nur für Leute, die die gesamte Bühne sehen. Jene Bühne ist eine Treppe, auf der die Figuren agieren.
Nina Stemme bewältigt mit flammendroter Perücke diese mörderische, in mehrfacher Hinsicht hochdramatische, Partie mit Bravour. Lässt sie zum Ende leicht nach, ist sie gar über den Zenit ihres Schaffens hinaus? Nein! Ihr Ruf nach Agamemnon geht durch Mark und Bein, und das ist nicht die einzige Stelle in dieser Aufführung, da das passiert. Nicht jeder hohe Ton dringt durch, aber das wird von Petrenko aufgefangen.
Michaela Schuster ist für mich der heimliche Star des Abends: Ihre Klytämnestra ist grandios, süffig, manchmal gleitet sie fast in den Sprechgesang ab. Und wie sie spielt! Charisma selbst im kleinen Finger. Die Worte „und schlachte, schlachte, schlachte Opfer um Opfer“ lösen Gänsehaut aus. Obendrein versteht man jedes Wort, das sie singt. Die Szene zwischen Mutter und Tochter („Ich habe keine guten Nächte“) gerät berückend. Und ihre Todesschreie sind erschütternd.
Elza van den Heever, letztes Jahr die Kaiserin in FroSch, beeindruckt nun als Chrysothemis mit frisch-jugendlichem Sopran, der mühelos alle Höhen erklimmt, wenn auch nicht ganz so durchdringend den Saal ausfüllt wie Nina Stemmes Elektra.
Die Videoprojektionen liefern – vor allem, nachdem sie sich vom lange anhaltenden Grau des Beginns gelöst haben – einen Farbenreichtum, der fast die kaum vorhandene Personenregie wettmacht. Nur fragt man sich, wie so oft: Warum müssen die Akteurinnen und Akteure so viel im Liegen singen?
Johan Reuters sonorer Bariton verschmilzt grandios mit dem tiefen Blech. Bei den ersten Worten des Orest – „Ich muss hier warten“ – denkt man gar an Mozarts Komtur. Pure Intensität. Und bei LASS MICH und ORESTES LEBT kommt Farbenpracht aus dem Graben. Aber Krücken und Prothese des Kriegsversehrten (dieser Euphemismus regte meinen Geschichtslehrer am Gymnasium Herkenrath auf!) machen ihn als beilschwingenden Rächer eher unglaubwürdig.
Den Aegisth verkörpert Wolfgang Ablinger-Sperrhacke mit Witz im Spiel und glänzender Charaktertenorstimme.
Es gibt so gut wie keine Requisiten. Nicht einmal ein Beil sieht man. Die Worte, die mir während der Aufführung durch den Kopf gehen, sind: düster, dekadent, dystopisch, dysfunktional, brutal, rauschhaft. Die Bühne wirkt klaustrophob. Aber die knapp zwei Stunden Musik sind ein einziger Rausch.
In blutrotem Schriftzug sieht man am Ende die Worte „Diese Zeit, sie dehnt sich vor uns wie ein finstrer Schlund“. Und das wiederum erinnert an den Rosenkavalier, wo die Zeit als „sonderbar’ Ding“ apostrophiert wird.
Es waren die vorletzten Osterfestspiele mit den Berlinern, die ab 2026 wieder in Salzburg spielen. In Baden-Baden werden die Osterfestspiele von Concertgebouworkest und Mahler Chamber Orchestra geadelt. Die Weltklasse bleibt also. Ersetzbar sind alle im Festspielbetrieb. Wohl dem, der die Berliner durch solche Hochkaräter ersetzen kann. Aber die Opern von Richard Strauss unter Kirill Petrenko, für den der Applaus einmal mehr besonders laut ausfiel – das können nur ganz wenige auf diesem Weltklasse-Niveau. Liebe Berliner Philharmoniker, wir vermissen Euch schon jetzt!
Dr. Brian Cooper, 6. April 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at